Deutscher Gewerkschaftsbund

17.01.2017

Unsere Antwort auf den Brexit

Der Brexit wird kommen - aber wie? Mit robusten Arbeitnehmerrechten, anständigen Jobs und guten Löhnen Frances O'Grady, Generalsekretärin des britischen Gewerkschaftsbundes TUC, skizziert, welche Anforderungen die britische Regierung erfüllen muss, um die Menschen in Großbritannien und Europa voranzubringen.

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Mit einer knappen Mehrheit, aber mit großer Entschiedenheit und hoher Wahlbeteiligung, haben die britischen Wähler dafür gestimmt, die Europäische Union zu verlassen. Der TUC hat gemeinsam mit allen großen Gewerkschaften Großbritanniens eine Kampagne zum Verbleib in der EU geführt, akzeptiert aber die Entscheidung der Wählerinnen und Wähler.

Die meisten Gewerkschaftsmitglieder haben gegen den Austritt aus der EU gestimmt, ein bedeutender Teil allerdings auch dafür. Wir müssen nun herausfinden, warum diese Menschen sich so entschieden haben.

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Brexit: Votum gegen schlechte Jobs

Viele der Austrittsbefürworter sind besorgt über die Zuwanderung und auch für die Brexit-Gegner ist dies ein wichtiges Thema. Bei der Abstimmung ging es aber nicht nur um Migration: Die Mehrheit der Wähler, auch die Mehrheit der Brexit-Befürworter, möchte, dass EU-Bürger auch weiterhin das Recht haben, in Großbritannien zu leben und zu arbeiten. Deshalb sind auch wir Teil einer von vielen Seiten unterstützten Koalition, die von der britischen Regierung eine diesbezügliche Regelung fordert, bevor die Verhandlungen über den Brexit beginnen.[1]

Viele Menschen haben sich mit ihrer Stimme auch gegen das Establishment gewendet. Doch unsere Umfragen zeigen, dass kein Wähler für weniger oder schlechtere Arbeitsplätze gestimmt hat und dass niemand – außer einer kleinen Minderheit von rechtsgerichteten Politikern und schlechten Arbeitgebern – die EU verlassen möchte, um Arbeitnehmerrechte zu unterwandern. Oberste Priorität des TUC ist es somit, die Arbeitsplätze, Lebensstandards und Rechte der Arbeitnehmer zu schützen.

Ein faires Abkommen für bessere Jobs...

Deshalb fordern wir, dass ein neues Abkommen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ins Zentrum der Brexit-Verhandlungen der britischen Regierung gestellt wird. Die meisten Menschen sind der Meinung, dass sich die Machtverhältnisse in unserem Land sehr zu Ungunsten der einfachen Leute verändert haben. Anzeichen sind für sie zu geringe Löhne, zu viele schlechte Jobs und Arbeitnehmerrechte, die nicht mehr den veränderten Bedingungen der realen Arbeitswelt entsprechen und die sie bei den hohen Prozesskosten von Arbeitsgerichtsverfahren nicht durchsetzen können. Es sind unter anderem diese Aspekte, die die Wähler für den Austritt aus der EU stimmen ließen.

Wir können nicht vorhersagen, wie die Brexit-Verhandlungen laufen werden und wie dann das neue Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU sein wird. Dem TUC ist klar, dass in jeder Verhandlung per definitionem Kompromisse gemacht werden müssen, auch wenn die jeweiligen Grundsätze respektiert werden. Wir wissen aber auch, wie ein faires Handelsabkommen aussehen würde.

... in Großbritannien und Europa

Ein guter Vertrag für die britischen – und auch alle anderen europäischen – Arbeitnehmer wird für mehr qualifizierte Arbeit sorgen, Arbeitsrechte schützen und den Einfluss der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz stärken. Ein schlechter Vertrag dagegen wird Arbeitsplätze vernichten, die Arbeitnehmerrechte schwächen und das Risiko erhöhen, dass öffentliche Dienstleistungen privatisiert werden.

Wir erwarten nicht, dass wir über den Stand der Verhandlungen ständig auf dem Laufenden gehalten werden. Doch das britische Volk hat ein Recht darauf zu wissen, welche Art von Abkommen die Regierung anstrebt, und die Regierung kann davon ausgehen, dass sie zur Verantwortung gezogen wird. Der TUC hat sich deshalb stets für Transparenz bei Handelsabkommen ausgesprochen – und die Verhandlungen mit der EU bilden dabei keine Ausnahme. Wir wollen, dass die Regierung den Staaten, den Bürgermeistern, den Gewerkschaften und auch der Wirtschaft Plätze am Verhandlungstisch für den Brexit einräumt.

Gewerkschaftliche Leitlinien für die Brexit-Verhandlungen

Die Regierung muss jetzt ihre Leitlinien für die Verhandlung festsetzen. Der TUC ist der Meinung, dass die Regierung Folgendes umsetzen sollte:

·    Gute Arbeitsplätze fördern, indem die EU als unserer größter Handelspartner erhalten bleibt; unsere Güter zollfrei und ohne umständliche Ursprungsregeln und andere nichttarifäre Handelshemmnisse in die EU exportieren; Dienstleistungen ohne Beschränkungen in anderen EU-Staaten bereitstellen

·    Arbeitnehmerrechte schützen, indem die höchsten gesetzlichen Standards in Europa durchgesetzt werden, besonders bei Arbeitsverhältnissen, aber auch im Verbraucher- und Umweltschutz

·    Migration besser managen[2], indem den Menschen vor Ort bessere Job- und Ausbildungschancen garantiert werden, näher am Wohnort, vor allem in Städten und Gemeinden, die von den letzten Konjunkturschwächen hart getroffen wurden; bei schlechten Arbeitgebern, die Migranten zu Niedriglöhnen beschäftigen, hart durchgreifen; Druck auf die Bereiche Wohnungsbau, Schulen, Krankenhäuser und andere öffentlichen Dienstleistungen senken, indem diese besser mit Steuermitteln versorgt werden[3]

Mehr Geld für öffentliche Dienstleistungen, Wohnungsbau und Infrastruktur

Wir sind überzeugt, dass diese Ziele gute Arbeitsplätze und gute Löhne für die Arbeitnehmer in der Fertigungs- und Dienstleistungsindustrie garantieren – auch entlang der Lieferketten, von denen die Exportsektoren abhängen. Mit den daraus entstehenden Steuereinnahmen könnte wiederum die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen gesichert werden, unter anderem ein starker Ausbau des Wohnungsbaus.

Die Regierung kann schon heute etwas dafür tun, die britische Wirtschaft darin zu unterstützen, im ganzen Land anständige Jobs und Löhne anzubieten. Seit langem argumentiert der TUC, dass Großbritannien eine Strategie für seine Industrie braucht, die verschiedene Aspekte vereint: Das sind zum einen Investitionen in die Infrastruktur. Dann ein Plan zur Qualifizierung der Arbeitnehmer sowie die Einbeziehung der Arbeitnehmer, damit sie ihre Fähigkeiten am Arbeitsplatz wirksam einsetzen können. Und schließlich eine clevere Politik, um so viele Arbeitsplätze wie möglich im eigenen Land zu schaffen, sowie eine klare Strategie, um die Möglichkeiten neuer Technologien dafür zu nutzen, dass wir unsere Klimaziele erfüllen können.

So könnte ein einzigartiges britisches Modell für das Verhältnis mit dem Rest der Europäischen Union entstehen, das genau auf die Bedürfnisse der britischen Wirtschaft und der britischen Bürger zugeschnitten ist. Zurzeit sieht der TUC nur einen Weg, wie wir die oben genannten Ziele erfüllen können: durch die weitere Teilnahme am Europäischen Binnenmarkt, zu dessen Verbesserung wir auch nach dem Brexit weiter beitragen sollten – nicht nur unmittelbar in unserem eigenen Interesse, sondern auch, damit der Rest der EU ein reicher und wachsender Markt bleibt, in den wir unsere Güter und Dienstleistungen exportieren können.

Bestehende Arbeitnehmerrechte nicht antasten

Die Teilnahme am Binnenmarkt würde uns nicht nur die Vorteile für Wirtschaft und Handel bringen, die wir anstreben, sondern auch weiterhin die Einhaltung der Arbeitnehmerrechte garantieren, die eines der am meisten geschätzten Elemente der EU-Mitgliedschaft sind. Die Regierung hat uns versichert, dass sie unsere bestehenden Rechte nicht untergraben wird, wobei hier noch Garantien statt Versprechungen nötig sind. Wir wollen jedoch auch sicherstellen, dass Großbritannien nicht hinter den Rest der EU zurückfällt, wenn neue Rechte festgeschrieben werden.

Hier geht es nicht nur um die Bedingungen für die britischen Arbeitnehmer. Wenn die Rechte der britischen Arbeitnehmer hinter die im Rest der EU zurückfallen, könnten wir uns zu einem Billiglohnland entwickeln, das die Rechte und Arbeitsplätze der Arbeitnehmer in ganz Europa in den Abgrund zieht. Gemeinsam können wir dieser Abwärtsspirale entgehen.



[1] Der Europäische Gewerkschaftsbund hat auch die Regierungen der verbleibenden EU-Staaten dazu aufgerufen, ähnliche Regelungen für britische Bürger einzuführen, die im Ausland arbeiten: https://www.etuc.org/documents/etuc-supports-right-remain-eu-citizens-living-and-working-uk-and-uk-citizens-living-and#.WGrnJU1vjDc

[2] Migration für Großbritannien besser managen (Managing migration better for Britain, auf Englisch), https://www.tuc.org.uk/sites/default/files/ManagingmigrationbetterforBritain.pdf

[3] Ein faires Migrationsabkommen (A fairer deal on migration, auf Englisch), https://www.tuc.org.uk/sites/default/files/A%20fairer%20deal%20on%20migration.pdf


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Kurzprofil

Frances O'Grady
Frances O'Grady ist seit 2013 Generalsekretärin des britischen Gewerkschaftsbundes TUC (Trades Union Congress). Zuvor war sie seit 2003 stellvertretende TUC-Generalsekretärin.
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