Deutscher Gewerkschaftsbund

12.02.2013

Durchsetzung von unten

Blockaden und Potenziale internationaler ArbeiterInnenrechte und Arbeitsstandards

Gesetzbuch

blackfish / photocase.com

Es gibt eine Vielzahl internationaler ArbeiterInnenrechte und Arbeitsstandards. Trotz dieses Netzwerkes an Normen wird ihnen oftmals Wirkungslosigkeit vorgeworfen. An dieser Stelle ist ein genauer Blick für die Durchsetzungsmöglichkeiten, die in internationalen Pakten, Übereinkommen und Konventionen vorgesehen sind, nötig. Dabei wird deutlich, dass internationale Arbeits- und Sozialstandards immer nur so effektiv sein können, wie es die internationale Staatengemeinschaft ihnen zubilligt. Darüber hinaus zeigt jedoch eine nähere Betrachtung der von JuristInnen viel beschworenen, manchmal vermeintlich gefürchteten Rechtswirklichkeit, das internationale ArbeiterInnenrechte und Arbeitsstandards auch auf anderen als den von den Normgebern intendierten Wegen umgesetzt werden können.

Bestandsaufnahme internationaler ArbeiterInnenrechte und Arbeitsstandards

Die Bandbreite der internationalen, regionalen und sub-regionalen Instrumente, in denen ArbeiterInnenrechte bzw. Arbeitsstandards enthalten sind, ist groß, wie diese (nicht abschließende) Übersicht zeigt:

Tabelle 1

Tabelle 1

Tabelle 2

Tabelle 2

Tabelle 3

Tabelle 3

Hinzu kommen zahlreiche durch private Akteure gesetzte Arbeitsstandards (beispielsweise Verhaltenskodizes von Unternehmen)[i], auf die hier nicht näher eingegangen werden kann.

Durchsetzungs- und Überwachungsmechanismen

Man könnte nun sagen, dass die Fülle dieser Rechte und Standards in Widerspruch steht zu ihrer unzureichenden Umsetzung. Hier ist es wichtig, sich das Verfahren zur Umsetzung näher anzusehen: Dazu sind zwei „Arten“ von Arbeits(rechts)standards zu unterscheiden, soft law- und hard law-Normen. Erstere können eher als Absichtserklärungen bzw. Empfehlungen ohne Verpflichtungscharakter angesehen werden. Dieser Beitrag konzentriert sich jedoch vor allem auf die letztgenannten Normen des „harten“ Völkerrechts: Dabei handelt es sich in erster Linie um völkerrechtliche Verträge zwischen Staaten. Wenn sie ratifiziert worden sind (und aber auch nur dann)[ii], entfalten sie eine rechtliche Bindungswirkung in dreierlei Hinsicht: Erstens verpflichten sich die Staaten (selbst durch Ratifikation) zur Gewährleistung und Umsetzung der jeweiligen ArbeiterInnenrechte bzw. Arbeitsstandards. Je nach Formulierung in den entsprechenden Abkommen besteht hier – als Ausdruck der Wahrung staatlicher Souveränität zur Regelung eigener Angelegenheiten – meist ein weiter Spielraum im Hinblick auf die Art und Weise der Umsetzung. Teilweise veröffentlichen die für die Überwachung der Einhaltung der Abkommen zuständigen Organe dazu normkonkretisierende Kommentare.[iii] Diese stellen ihrer Rechtsnatur nach jedoch lediglich völkerrechtliches soft law dar, d.h., sie sind Empfehlungen ohne Bindungswirkung.

Zweitens entstehen aufgrund der Ratifikation Berichtspflichten: Die Staaten sind verpflichtet, der das konkrete Abkommen überwachenden Stelle mitzuteilen, was sie im Bereich des Abkommens zur Einhaltung und Umsetzung des Abkommens unternommen haben und wie sie etwaige Schutzlücken schließen wollen. Diese Berichte werden dann ausgewertet und in den Gremien der jeweiligen Organisationen (zum Beispiel in der UN-Generalversammlung oder der Internationalen Arbeitskonferenz) diskutiert. Hier erfolgt die Durchsetzung nach dem Prinzip „name and shame“. Drittens sind in einigen Abkommen Beschwerde- und Klageverfahren – meist als Staaten-, selten als Individualbeschwerden – vorgesehen. Doch auch in diesen Verfahren geht es primär um das „naming and shaming“ und um die Hoffnung, die Verletzung internationaler ArbeiterInnenrechte oder die Nichteinhaltung von Arbeitsstandards im Wege des Dialogs zu beseitigen. Vollstreckbare Urteile sind in diesen Verfahren nicht vorgesehen.

Könnte sich die Staatengemeinschaft auf Solche einigen? Prinzipiell ja. Jedoch ist es aufgrund des im Völkerrecht geltenden Konsensprinzips eher unwahrscheinlich, dass sich diesbezüglich eine Mehrheit von Staaten findet. Darüber hinaus zeigen zum Beispiel die jüngsten Ereignisse in der ILO weitere systemimmanente Lücken im geltenden Mechanismus zur Überwachung von Arbeitsstandards. So hatten bei der Internationalen Arbeitskonferenz im Juni 2012 die VertreterInnen der Arbeitgeberschaft die öffentliche Diskussion einer Liste von 25 Staaten, denen nach Auswertung der Staatenberichte durch den Sachverständigenausschuss die schlimmsten Verletzungen von Arbeits- und Sozialstandards vorgeworfen wurden, bei der Konferenz verhindert und zudem das Mandat des Sachverständigenausschusses (für den Fall des Streikrechts) in Frage gestellt. Welche Konsequenzen dieser Akt des Widerstandes für den Überwachungsmechanismus der ILO-Übereinkommen und möglicherweise auch für die tripartäre Struktur der Organisation hat, bleibt abzuwarten.

 „Durchsetzung von unten“

Für ExpertInnen in diesem Bereich mögen die oben dargestellten Rechtsfolgen der Ratifikation ein „alter Hut“ sein, hinlänglich bekannt – vor allem im Hinblick auf ihre Ineffizienz. Die Darstellung dieses Überwachungsmechanismus geschieht jedoch absichtlich, um eine gemeinsame Informationsgrundlage für die Kritik an diesem Verfahren zu liefern. Viel zu oft wird hier oberflächlich kritisiert, ohne auf einen zentralen, oben bereits angedeuteten Punkt einzugehen: Der dargestellte Mechanismus ist kein von einer höheren Entität festgelegter und deswegen unumstößlicher. Auch wenn es derzeit unwahrscheinlich ist, dass er geändert wird, bedeutet das nicht, dass dies unmöglich ist. Was es braucht ist eine kritische Masse an Stimmen auf dem internationalen Parkett, die sich für eine solche Änderung aussprechen.

Wem das als zu utopische Vorstellung erscheint, dem sei alternativ ein etwas hoffnungsfroheres Szenario an die Hand gegeben. Ein Szenario, dass aus juristischer Sicht zunächst überrascht, da es sich aus der Perspektive der harten Völkerrechtsnormen um ein nicht intendiertes handelt. So hat beispielsweise die Untersuchung der nationalen Umsetzung internationaler Sozialstandards in Südafrika gezeigt, dass es selbst, wenn die entsprechenden völkerrechtlichen Abkommen nicht ratifiziert worden sind, Fälle gibt, in denen es doch zu einer Implementierung internationaler Standards (oder zumindest einer Annäherung an diese) gekommen ist:[iv] Hier wirkten beispielsweise Gerichte, die sich ihrer Rechtsprechungstätigkeit auf internationale Normen bezogen, WissenschaftlerInnen, die sich im Rahmen der Beratung von Gesetzgebungsverfahren an internationalen Standards orientierten, MenscherechtsanwältInnen und Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften, die internationale Arbeits(rechts)standards als Argumentationsgrundlage in ihrem Verhandlungen einbrachten, aktiv am Implementierungsprozess mit. Die Umsetzung internationaler Normen erfolgt auf diese Weise nicht durch die, sondern aus der Mitte der Staaten. Was es braucht, ist die Überzeugung, dass die Existenz dieser Normen zumindest davon zeugt, dass es diesbezüglich einen Konsens einer entsprechenden Staatenmehrheit gibt. Dies wiederum ist der Anker, an dem staatliche Akteure festgehalten werden können. Je größer der Bekanntheitsgrad dieser Normen ist, umso mehr Fälle dieser „Durchsetzung von unten“ sind denkbar.



[i]  Vgl. dazu Zimmer, Reingard, Soziale Mindeststandards und ihre Durchsetzungsmechanismen. Sicherung internationaler Mindeststandards durch Verhaltenskodizes?, Baden-Baden 2008.

[ii] Eine Ausnahme stellen die sog. Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation dar, vgl. Hofmann, Claudia/Hänlein, Andreas, Verankerung von Sozialstandards in internationalen Handelsabkommen aus rechtswissenschaftlicher Perspektive, in: Scherrer, Christoph/Hänlein, Andreas (Hrsg.), Sozialkapitel in Handelsabkommen - Begründungen und Vorschläge aus juristischer, ökonomischer und politologischer Sicht, Baden-Baden 2012, S. 103-145. (109 ff.)

[iii]  Vgl. beispielsweise die General Comments bzw. General Recommendations  der für die Überwachung der zentralen neun UN-Menschenrechtspakte zuständigen Ausschüsse.

[iv]  Vgl. dazu näher Hofmann, Claudia, Internationale Sozialstandards im nationalen Recht – Eine Untersuchung am Beispiel des Systems sozialer Sicherheit in Südafrika, Dissertation, Tübingen 2013 (im Erscheinen).

 

Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag vom 23.11.2012 an der Universität Kassel anlässlich der Tagung „Arbeitspolitik in globaler Perspektive: Konzepte, Befunde, Herausforderungen“.


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Dr. Claudia Hofmann
Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Regensburg am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Politik
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