Der sozialdemokratische Finanzminister und kommissarische Parteichef Olaf Scholz steht auf Hartz IV und will trotzdem einen sozialen Arbeitsmarkt. Doch wie soll das zusammengehen?
Kommentar von Daniel Haufler
DGB/dah
Lernen Sozialdemokraten dazu? Diese Frage stellt sich immer mal wieder. Das ist keine Schande, denn bei der CSU oder der FDP fragt man sich das schon eine ganze Weile nicht mehr. Doch während die beiden Parteien mit ihrer Unbelehrbarkeit leben können, wird von der SPD von ihren potenziellen WählerInnen offenbar mehr erwartet. Deshalb muss sich die SPD gerade jetzt mit aller Macht wieder fragen lassen: Wann gibt sie endlich zu, dass die Agenda 2010 – und vor allem Hartz IV – ein Flop gewesen ist?
Konzentrieren wir uns auf Hartz IV: Eigentlich sollte die Regelung endlich viele Langzeitarbeitslose in Brot und Lohn bringen. Doch das hat nicht geklappt. Dieses Scheitern war schon nach kurzer Zeit offensichtlich und ist es heute, 15 Jahre später, umso mehr. Gleichzeitig hat Hartz IV dazu beigetragen, dass mehr Menschen in Armut abgerutscht sind – auch solche, die gar nicht langzeitarbeitslos sind. Ein Jahr Arbeitslosigkeit reicht seit 2003, um arm zu werden. Dieses Wissen macht zudem die Beschäftigten erpressbar und gefügig. Sie sind oft sogar zu Lohnverzicht bereit, wenn es darum geht, ihre Jobs zu retten.
SPD-Kanzler Gerhard Schröder wollte mit Hartz IV den klassischen Wohlfahrtsstaat in einen „aktivierenden Sozialstaat“ umbauen. Er ging wie seine Berater davon aus, dass die Langzeitarbeitslosen nur deswegen keine Stelle fänden, weil sie faul auf dem Sofa sitzen, Bier trinken und Unterschichten-TV gucken. Mit dem Ansatz „fordern und fördern“ wollte er diese Faulpelze zum Arbeiten bringen oder auch zwingen. Nur: Dieser Ansatz war von Anfang an falsch.
Tatsächlich war die weit überwiegende Zahl der Arbeitslosen ohne Arbeit, weil schlicht die Arbeit fehlte. Hinzu kamen Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten konnten. Doch diese simplen Wahrheiten wollten vor allem Schröder und sein Arbeitsminister Wolfgang Clement nicht wahrhaben. Seitdem könnten die Sozialdemokraten eigentlich gelernt haben, dass Hartz IV selbst in Boom-Zeiten das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit nicht gelöst hat. Und obendrein hat es politisch den Rechtspopulisten den Weg geebnet bei denen, die sich dank dieser Regelung sozial abgehängt fühlen.
Doch diese Erkenntnis kommt bei manchen in der SPD immer noch nicht an. Der neue sozialdemokratische Finanzminister Olaf Scholz ist entschieden dagegen, Hartz IV abzuschaffen. Vielleicht ja auch weil er seinerzeit als Generalsekretär unter Gerhard Schröder die Agenda-Politik miterfunden hat. Also redet Scholz lieber abstrakt von einem "sozialen Arbeitsmarkt" – was immer das sein soll –, statt einen sozialen Arbeitsmarkt wirklich zu schaffen, indem Hartz IV durch eine sozialere Regelung ersetzt wird.
Das wäre nicht nur wichtig, um aktuell wieder als echte "sozialdemokratische" Partei wahrgenommen zu werden, sondern um den Arbeitsmarkt für eine Zeit zu reformieren, in der die Wirtschaft nicht mehr so brummt wie jetzt. Ob diese SPD das noch lernt? Man kann es nur hoffen.
DGB/Heiko Sakurai
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