Deutscher Gewerkschaftsbund

23.01.2023

KI-Forscher: Künstliche Intelligenz ist kein Zaubertrick

In verschiedenen Bereichen der Arbeitswelt sind KI-Anwendungen im Einsatz. Florian Butollo forscht zu den Auswirkungen der Technologie auf Beschäftigte und Arbeitsbedingungen. Im Interview spricht er über das Risiko für verschiedene Berufsbilder, überflüssig zu werden und die Erleichterung sowie mögliche Abwertung von Arbeit.

Mind Domination-Konzept in Form von Frauen Umrisskontur mit Leiterplatte und binärem Datenfluss auf blauem Hintergrund

DGB/ryzhi/123rf.com

Von Julia Hoffmann

Auf Europäischer Ebene wird eine risikobasierte Beurteilung von KI diskutiert. Ist diese Unterscheidung für eine Nutzung im Arbeitsalltag sinnvoll?

Im Grundsatz ist der Ansatz gut und richtig. Allerdings müssen wir uns die Anwendungen im Detail ansehen. Was den Einsatz der Text-KI ChatGPT angeht, wurde diskutiert, ob sie generell als Hochrisiko KI eingestuft wird, was einen Einsatz natürlich sehr erschwert hätte. KI-Anwendungen in der Arbeitswelt landen dagegen meist in niedrigen Risikogruppen, obwohl sie mitunter größere soziale Effekte haben.

Ob KI Arbeitsplätze schafft oder vernichtet, wird heiß diskutiert. Welche Potenziale zur Substitution von Arbeit durch KI gibt es?

Momentan wird diskutiert, dass Fernfahrer in der Logistik durch selbstfahrende Trucks substituiert werden könnten. Dabei fehlen 50.000 Fernfahrer pro Jahr in der Logistik. Die Debatte um Massenarbeitslosigkeit geht also an der Realität vorbei. In den meisten Unternehmen ist es sogar so, dass KI eingesetzt wird, um der Arbeitskräfteknappheit zu begegnen, da es an allen Ecken und Enden an Personal fehlt. Doch auch dafür ist sie kein Zaubertrick, da die Substitutionseffekte sich in Grenzen halten.

Florian Butollo

Dr. Florian Butollo ist Forschungsgruppenleiter „Arbeiten mit Künstlicher Intelligenz“ am Weizenbauminstitut. Von 2018 bis 2020 war er Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zum Thema Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale. David Ausserhofer

Welche Arbeiten können künftig besonders gut automatisiert werden?

Oft sind es Tätigkeitsspektren, die sich verschieben, Kompetenzen, die sich verändern. Wenn wir bei dem Beispiel ChatGPT bleiben, dann kann die KI vielleicht Texte schreiben. Aber wer stellt die Fragen? Wer überprüft den Wahrheitsgehalt der Antworten? Da entstehen neue Anforderungen, wenn es darum geht mit diesen Instrumenten zu arbeiten. Ein Bereich, wo relativ viel automatisiert werden kann, ist die Sachbearbeitung. Aber auch hier übernimmt die KI nicht das gesamte Aufgabenprofil eines Mitarbeiters. Es sind vielmehr einzelne Arbeitsschritte, die der Mensch nicht mehr selbst erledigt. Bei Reisekostenabrechnung oder Personaleinsatzplanung können Verwaltungen zum Beispiel Arbeit einsparen. Im komplexen Arbeitskontext sind es also meist punktuelle Tätigkeiten, die automatisiert werden. Und gleichzeitig entstehen neue Anforderungen.

Kann auch die indische Näherin im Sweatshop von einem Roboter ersetzt werden?

Nein, das wird nicht passieren. Nährobotik ist unglaublich komplex und teuer. Von einem solchen Szenario sind wir meilenweit entfernt. Eher gibt es Versuche das Nähen an sich zu substituieren. Gerade im Mittel- und Niedrigpreissegment werden wir erstmal über die konventionellen Supplychains versorgt bleiben. Ein neues Problem sind auch die digitalen Sweatshops: beim Training von ChatGPT waren es schlecht bezahlte Kenyanische Arbeiter:innen, die unter psychisch belastenden Bedingungen dafür sorgten, dass KI-System von Gewaltfantasien und sexuellen Entgleisungen zu bereinigen.

Dort wo menschliche Arbeit also billiger ist als eine Maschine, wird es keine Automatisierung geben?

Das ist ganz sicher so und es trifft weite Strecken von gering qualifizierter Arbeit. Das sind Handling Tätigkeiten, Lückenfüllertätigkeiten, die nicht klar standardisiert sind. Ganz viel manuelle Arbeit. Das sind historisch gesehen die Bereiche, die am ehesten verlagert wurden, oft Bereiche von tendenziell weiblicher Arbeit, die in Entwicklungsländern angesiedelt ist. Daher ist es falsch anzunehmen, dass die Automatisierung generell bei gering qualifizierten Routinetätigkeiten am wahrscheinlichsten ist.

Kann die KI dennoch zu einem arbeitnehmerunfreundlichen Instrument werden?

KI-Projekte sind effizienzgetrieben und haben das Ziel Produktivität zu steigern. Sie werden auch nur dann umgesetzt, wenn das betriebswirtschaftliche Kalkül aufgeht. KI ist keine Humanisierungsagenda. Dennoch kann KI die Arbeit erleichtern. Auch kann sie uns überflüssige oder nervige Tätigkeiten abnehmen und eine Entlastung darstellen. Man sollte aber bedenken, dass die Erleichterung von Arbeit auch zu einer Abwertung von Arbeit führen kann.

Unter welchen Bedingungen ist die KI eine Entlastung für Beschäftigte?

Mit einer optimalen Verhandlungsmacht der Beschäftigten. Dazu muss die organisatorische Stärke von Gewerkschaften gegeben sein. Es muss Betriebsräte geben, die über die Technik und die Arbeitsqualität Bescheid wissen, die sich auch einschalten und im Zweifelsfall Stunk machen. Es muss entsprechen Betriebsvereinbarungen geben. Es ist aber auch eine Frage der Firmenphilosophie. Eine konsensorientierte Betriebsführung macht es leichter gemeinsame Vereinbarungen zu treffen. In der Logistikbranche, wo wir eher konflikthafte Arbeitsbeziehungen haben, ist das ungleich schwieriger als zum Beispiel im Maschinenbau.

Wie können sich Betriebsräte bei dem Thema einbringen?

KI ist nicht immer nur ein Instrument, um Arbeitsleistung zu maximieren und zu überwachen. Solche Fälle gibt es, sie sind aber nicht die Regel. Fast immer ist der Einsatz von KI aber mit Veränderungen in Arbeitsorganisation und –zuschnitten verbunden, was Auswirkungen auf die Arbeitsqualität hat. Es gibt bereits Betriebsvereinbarungen, bei IBM oder der Telekom, wo weitgehende Vereinbarungen über ethische Bedingungen des KI-Einsatzes getroffen wurden. Darin wurden Leitbilder und gemeinsame Vorgehensweisen definiert. Für Betriebsräte ist es aber auch wichtig, sich nach dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz Sachverständige bestellen können, um gegen ein Wissensgefälle vorzugehen.


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Kurzprofil

Julia Hoffmann
ist Politik- und Medienwissenschaftlerin. Sie arbeitet als freie Journalistin und Redakteurin zu den Themen Arbeitsmarkt, Digitalisierung und Medienwirtschaft.
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