Deutscher Gewerkschaftsbund

22.05.2023

Auf Konfrontationskurs: Streit um US-Schuldenobergrenze

Im US-Schuldenstreit bekämpfen radikale Republikaner die Regierung um Präsident Biden. Doch der drohende Shutdown des Haushaltes ab dem 1. Juni hätte gravierende Folgen für Menschen und Wirtschaft, wie Thomas Greven analysiert.

US-Präsident Donald Trump an Rednerpult bei einer Rede; weist mit Zeigefinger zur Seite ins Publikum

flickr/Gage Skidmore, CC BY-SA 2.0

Bei einer umstrittenen öffentlichen Diskussionsveranstaltung in New Hampshire, verbreitete Ex-Präsident Donald Trump nicht nur die üblichen Lügen und Beleidigungen, er goss auch Öl ins Feuer einer Kontroverse, die zu einer ökonomischen Katastrophe führen kann: Beim Streit um die Erhöhung der Schuldenobergrenze des Bundes, so Trump, sollen die Republikaner auf keinen Fall einknicken und die Grenze nur anheben, wenn Präsident Biden massiven Haushaltskürzungen zustimmt. Bei diesem Erpressungsversuch könnte allerdings am Ende auch den treuesten Trump-Anhängern ihr Jubel im Halse steckenbleiben. Denn auf dem Spiel steht nicht nur die Zahlungsfähigkeit der Bundesregierung, die bereits seit Erreichen der Obergrenze von 31,4 Billionen US-Dollar am 19. Januar nur noch durch „außergewöhnliche Maßnahmen“ ihren Verpflichtungen nachkommen kann, sondern damit auch die Kreditwürdigkeit der USA, mit unabsehbaren Folgen für die amerikanische Wirtschaft. Wie konnte es dazu kommen, dass mehr und mehr Republikaner bereit zu sein scheinen, die amerikanische Wirtschaft vor die Wand fahren zu lassen, um die Biden-Regierung zu schwächen?

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Schuldenobergrenze als historisches Vermächtnis

Die Einführung einer Schuldenobergrenze war 1917 tatsächlich ein Fortschritt, weil der US-Kongress fortan nicht mehr jede Schuldenaufnahme einzeln beschließen musste. Die damalige Flexibilisierung war wegen des Kriegseintritts der USA notwendig geworden und sollte zudem die Sorgen derjenigen schmälern, die der Bundesregierung nicht komplett freie Hand lassen wollten. Eine solche Obergrenze ist allerdings sehr ungewöhnlich: Denn es ist ja ohnehin der Kongress, der den Haushalt verabschiedet, mit dem die Regierungsarbeit finanziert werden sollen – mit Steuern, aber eben auch mit Schulden. Und so scheint es widersinnig, dem Kongress mit der Schuldenobergrenze zugleich ein Mittel in die Hand zu geben, die bereits getroffenen eigenen Beschlüsse immer dann in Frage zu stellen, wenn zufällig im Verlauf eines Haushaltsjahrs die Schuldenobergrenze erreicht wird. Genau aus diesem Grund ist die Erhöhung gewöhnlich eine reine Routineangelegenheit. Darauf verweist die Biden-Regierung, um ihre Forderung nach einem „clean bill“, also einer bedingungslosen Erhöhung, zu begründen. Auch der nach der Wahl im November 2022 erfolgte Mehrheitswechsel im Repräsentantenhaus, also zwischen der Verabschiedung des Haushalts und der Erhöhung der Obergrenze, erklärt nicht allein den aktuellen Erpressungsversuch der Republikaner; auch in dieser Situation des „divided government“ ist die Obergrenze meist routinemäßig erhöht worden – schlicht, weil alle Beteiligten wissen, dass es viel Geld kostet, Zweifel an der Kreditwürdigkeit der USA entstehen zu lassen. Denn auch die reichen USA müssen ständig neue Schulden aufnehmen, um alte abzulösen, und sind damit abhängig von Ratingagenturen wie Standards & Poor und Moody’s, deren Bewertungen sich auf die Höhe der zu zahlenden Zinsen auswirken.

US-Schuldenstreit: Präsident Biden unter Druck

Die Biden-Regierung hat einen offensichtlichen Kompromiss ins Spiel gebracht: Zunächst wird die Schuldenobergrenze ohne Bedingungen erhöht oder für einen bestimmten Zeitraum ausgesetzt. Dann verhandelt man über den Haushalt für 2024 – und zwar ohne, dass eine Partei der anderen einen Revolver an die Stirn hält (wobei dieser angesichts der möglicherweise resultierenden Wirtschafts- und Finanzkrise in Wahrheit eben auf beide zielt). Die Biden-Regierung weiß, dass sie in den Verhandlungen mit dem Kongress Einsparungen akzeptieren muss, die auch Bidens Wunschprogramme betreffen werden. Doch zum einen weisen die Forderungen der Republikaner („Grand Old Party“, GOP) weit über den Spielraum hinaus, der nach Ansicht der Regierung besteht, und andererseits fehlt das für das skizzierte Kompromissverfahren notwendige Vertrauen, sowohl zwischen der GOP und Biden, als auch innerhalb der GOP. Biden muss befürchten, dass er nach einem Nachgeben bei der Obergrenze bei Budgetverhandlungen gleich noch einmal unter Druck gerät.

Republikanische Partei: Extremisten vereint im Streit um Schuldenobergrenze

Und die Republikanische Partei hat sich sehr grundsätzlich gewandelt, und zwar nicht erst seit Donald Trump. Tatsächlich muss man inzwischen an der Regierungsfähigkeit der GOP zweifeln. Im Repräsentantenhaus treiben die aus der Obama-feindlichen Tea Party-Bewegung hervorgegangenen Abgeordneten des Freedom Caucus den nur knapp gewählten Speaker Kevin McCarthy vor sich her. Niemand weiß, wie weit diese Extremisten zu gehen bereit sind, um die Bundesregierung zu bekämpfen, die gemäß ihrer kollektiven Wahnvorstellung von einer „deep state“ genannten Verschwörung von gottlosen Linken beherrscht wird, die das Land zerstören will.

In den Verhandlungen vor McCarthys Wahl zum Speaker setzten sie durch, dass ein einzelner Abgeordneter fortan dessen Absetzung beantragen kann. Da McCarthy bei solch einem Misstrauensantrag auf fast alle Stimmen seiner Fraktion angewiesen wäre, könnte er einen überparteilichen Kompromiss über die Schuldenobergrenze und den Haushalt für 2024 vermutlich nur um den Preis des eigenen Machtverlusts organisieren. McCarthy befindet sich damit faktisch in Geiselhaft, denn die Extremisten scheinen wie besoffen von ihrer Macht als Zünglein an der Waage und haben für die an konkreter Regierungsarbeit interessierten Republikaner nur Verachtung übrig. Inzwischen ist sogar fraglich geworden, ob Kevin McCarthy noch zu Letzteren gehört, oder ob er zu den Extremisten übergelaufen ist – sein scheinbar enges Verhältnis zur umstrittenen Abgeordneten und Verschwörungserzählerin Marjorie Taylor Greene deutet darauf hin.

Auch im Senat mehren sich die Stimmen in der GOP, die sich gegen eine bedingungslose Erhöhung der Schuldenobergrenze aussprechen. Es scheint, als hätten sich die Verschwörungserzählungen vom „deep state“ den traditionellen vulgärlibertären Vorstellungen derjenigen in der GOP angenähert, die die Bundesregierung für den Quell allen Übels halten.

US-Schuldenstreit: Es droht ein „Government Shutdown“

Sollte das US-Finanzministerium ab Anfang Juni den Schuldendienst gegenüber anderen Zahlungen priorisieren müsste, wäre mutmaßlich ein „Government Shutdown“ die Folge; die Bundesregierung müsste quasi im Notbetrieb arbeiten. Für Rentner*innen und Bundesbedienstete wäre dies unmittelbar katastrophal, und der Vertrauensverlust in die Institutionen würde weiter verstärkt – ohnehin ist das Vertrauen in das Bankensystem angeschlagen, seitdem die Bundesbank die Zinsen zur Bekämpfung der Inflation drastisch angehoben hat: Weil die Kurswerte der älteren Bundesanleihen gesunken sind, müssen die Banken sie mit Verlust verkaufen, wenn zu viele Kunden gleichzeitig ihre Einlagen abziehen. Einige Banken mussten bereits gerettet werden. Zudem prognostiziert der Internationale Währungsfonds dramatische negative Konsequenzen der amerikanischen Misere auch für die Weltwirtschaft. Deshalb ist zu hoffen, dass doch noch eine politische Lösung gefunden werden kann.

Manche Beobachter raten der Biden-Regierung, das Finanzministerium solle einfach eine Billion-Dollar-Münze prägen – das Prägerecht ist von den Haushaltsgesetzen unabhängig – und diese dann beleihen. Andere argumentieren, dass das Gesetz zur Schuldenobergrenze vermutlich ohnehin verfassungswidrig sei, weil die Bundesregierung von der Verfassung darauf verpflichtet wird, die Kreditwürdigkeit der USA stets zu sichern. Deshalb solle man die Obergrenze schlicht ignorieren. Tatsächlich hat die National Association of Government Employees (NAGE), eine Gewerkschaft, die 75.000 Regierungsangestellte vertritt, gerade eine diesbezügliche Klage gegen Finanzministerin Janet Yellen und Präsident Biden eingereicht.


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Kurzprofil

Thomas Greven
Thomas Greven ist Privatdozent für Politikwissenschaft an der FU Berlin.
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