Deutscher Gewerkschaftsbund

29.09.2023

Der Mythos der neuen Arbeit

New Work war einst ein emanzipatorisches Zukunftskonzept. Inzwischen ist der Begriff zur modischen Worthülse verkommen. Gern eingesetzt wird sie von Arbeitgeber*innen, die nicht wirklich etwas ändern wollen, kritisiert Thomas Gesterkamp.

Menschen im Büro-Flur

DGB/Konstantin Chagin/123rf.com

Wenn externe Unternehmensberater von “New Work” schwärmen und Vorgesetzte dadurch angeregt das “agile Arbeiten” propagieren, sollten bei den Beschäftigten die Alarmglocken klingeln. Denn bei solchen Floskeln, deren inflationäre Verwendung auf Abteilungskonferenzen oder in Mitarbeitergesprächen bisweilen an Realsatire grenzt, handelt es sich meist um alten Wein in neuen Schläuchen. Mit ihrem Motivations-Sprech versuchen die Führungskräfte, verbal gute Laune zu verbreiten. Positiv denken lautet ihre wichtigste Botschaft – auch und gerade dann, wenn sie an den betrieblichen Strukturen nichts Wesentliches ändern wollen.

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Der hippe Begriff New Work, das ist fast in Vergessenheit geraten, hat eine emanzipatorische Vorgeschichte. Geprägt hat ihn einst der amerikanische Sozialphilosoph Frithjof Bergmann. In der von General Motors geprägten Automobilstadt Flint bei Detroit im US-Bundesstaat Michigan zeichnete sich die Krise industrieller Arbeit früh ab. Bergmann ging dort ab 1984 in seinem “Center für New Work” alternative Wege gegen die stark steigende Erwerbslosigkeit. Keineswegs bescheiden war von der “Ökonomie des 21. Jahrhunderts” die Rede, der Urheber des Konzepts wollte das “Gold in den Köpfen” der Betroffenen heben. Ein später viel zitierter Kernsatz beschrieb die von ihm entwickelte Utopie als “Arbeit, die man wirklich, wirklich will”.

In der Praxis allerdings haben Bergmanns Ideen, etwa die Umverteilung von Erwerbsarbeit durch kürzere Arbeitszeiten, die durch ein Grundeinkommen finanzierte Tätigkeit für das Gemeinwesen oder die Utopie einer Selbstversorgung auf hohem technischen Niveau, weder in den Vereinigten Staaten noch anderswo langfristig funktioniert. Das Projekt in Flint wurde bereits 1986 wieder eingestellt. Trotzdem entwickelte das griffige Label New Work eine gewaltige Strahlkraft. Besonders häufig kursierte es im Kontext der Diskussionen um das “Ende der Arbeitsgesellschaft”, die einige Sozialwissenschaftler damals angesichts des technischen Fortschritts vorhersagten. In der Rückschau stellte sich diese Prognose als gravierende Fehleinschätzung heraus: Geschuftet wird heute wie eh und je. Die Wochenarbeitszeit ist nur geringfügig und auch nur in einigen Branchen gesunken; die Verdichtung betrieblicher Arbeitsprozesse und der damit einhergehende Stress haben sogar zugenommen.

New Work: Hoffnungen in Ostdeutschland

Vor allem in Europa fanden Bergmanns Thesen Anklang, zunächst unter Intellektuellen und in alternativen Zirkeln. Besonders viel Hoffnung machte das Konzept während der 1990er Jahre im durch die Treuhandgesellschaft abgewickelten Ostdeutschland. Die Hoffnungen der dort engagierten Initiativen, die in wirtschaftlich randständigen Regionen ein gänzlich anderes Verständnis von Arbeit propagierten, erfüllten sich jedoch nicht. Die wenigen Praxisprojekte scheiterten bald, oft kamen sie über das Planungsstadium kaum hinaus.

Mittlerweile ist New Work zu einer beliebig verwendeten, in viele Richtungen interpretierbaren Worthülse verkommen. Der Begriff kursiert jetzt vorwiegend in der Zukunftsforschung und in der Beraterszene. Bergmanns einstige Vorschläge, die sich auf die Gedanken von Karl Marx, Hannah Arendt oder André Gorz stützten, spielen dabei so gut wie keine Rolle mehr. Im Zentrum der Debatte steht heute, beschleunigt durch die Erfahrungen in der Zeit der Pandemie, die Digitalisierung der Arbeitswelt. 

Homeoffice als New Work-Modell? Funktioniert nur bedingt

Homeoffice wurde spätestens 2020 zum Zauberwort. Im ersten Corona-Lockdown wuchs die Zahl der Nutzer:innen sprunghaft von nur zwölf auf bis zu 40 Prozent der Beschäftigten - um danach schon bald wieder deutlich zu sinken. Viele Privathaushalte waren für ein professionelles Büro wenig geeignet, gerade in den eher kleinen Wohnungen hochpreisiger Großstädte fehlte schlicht der Platz. Schmerzlich vermisst wurde auch der alltägliche Kontakt zu den Kolleg:innen, den ständige Video-Calls nur notdürftig ersetzen konnten. Ganz abgesehen davon, dass die zuvor lange blockierte und nun plötzlich gepriesene Heimarbeit für Stahlwerker, Altenpflegerinnen, Busfahrer oder Verkäuferinnen ohnehin nie eine Option war.  

Die Möglichkeit zum Homeoffice kann vor allem in akademischen Berufen zu einer besseren Work-Life-Balance beitragen. Sie kann zum Beispiel den Eltern kleiner Kinder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern; auch bei der Pflege von Angehörigen können sich erweiterte persönliche Spielräume auftun. Die Arbeit von zu Hause aus erspart den Unternehmen allerdings auch erhebliche Kosten. Zusätzliche Belastungen werden individualisiert und damit auf die Beschäftigten abgewälzt. Vom Betrieb gestellte Smartphones und Laptops sollten eigentllich selbstverständlich sein, sie bleiben aber eher symbolische Gaben und sind viel billiger als die ständige Bereitstellung eines dem Gesundheitsschutz genügenden Arbeitsplatzes in der Firma. Um ihren ergonomisch gestalteten Schreibtisch daheim sollen sich die Beschäftigten bitte selbst kümmern.

Ist das die Arbeit, die man wirklich, wirklich will? Der von den Beratern herbeigeredete “Megatrend” New Work ist ein Mythos.


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Kurzprofil

Thomas Gesterkamp
Thomas Gesterkamp schreibt seit über 30 Jahren als Journalist über die Arbeitswelt und Familienpolitik.
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