Wir müssen Kevin Kühnert dankbar dafür sein, dass wir uns endlich mal wieder auf die Suche nach unterschiedlichen Eigentumsformen und deren Gestaltung begeben. Doch was ist im Detail von seinen Vorschlägen zu halten? Eine Einordnung
Von Rudolf Hickel
Wer rettet jetzt nur das Großkapital? DGB/Heiko Sakurai
Kevin Kühnerts Thesen wirken schockartig. Das überrascht. Denn die Kritik an den Fehlentwicklungen des vor allem in den letzten Jahren finanzmarktgetriebenen Kapitalismus hat zu Recht massiv zugenommen. Seit Jahren boomt der Niedriglohnsektor mit der derzeit über 9 Millionen Betroffenen. Alters- und Kinderarmut nehmen zu. Die versprochene Teilhabe aller an der Wohlstandsmehrung durch gewinnwirtschaftlich getriebenes Wirtschaftswachstum entpuppt sich als Systemlüge.
Die Millionen von Kleinanlegern, die ausgerechnet von der rot-grünen Regierung durch den Abbau der gesetzlichen Alterssicherung gedrängt wurden, hoch spekulative Anlageprodukte zu kaufen, haben das noch nicht vergessen. Viele dieser Anlageprodukte erwiesen sich durch profitwirtschaftliche Zuspitzung als hochgradig vergiftet. Der den Kapitalismus schützende Staat wurde zum teuren Reparaturbetrieb.
Nach der noch immer präsenten Finanzmarktkrise spitzt sich die Vertrauenskrise nun zu, da viele Menschen die Erfahrung machen, dass die Immobilienwirtschaft mittlerweile ebenso von der Sucht nach höchst möglichen Profiten getrieben wird. Das öffentliche Gut bezahlbarer Wohnraum wird durch spekulative Finanzinvestoren verknappt. Hinzu kommt das totale Versagen eines ökologisch-nachhaltigen Wirtschaftens. Sinnbildlich wurde das deutlich durch die Betrugsmanöver einiger Großkonzerne zu Lasten der Umwelt (Beispiel Dieselskandal). Es wird sichtbar, wie die kurzfristig-aggressive einzelwirtschaftliche Profitjagd den Suchprozess nach Innovationen und Nachhaltigkeit in den Unternehmen hemmt.
Der Juso-Vorsitzende verteidigt seine Ideen und Utopien stets eloquent und schwungvoll. DBG/Screenshot/Jusos
Nicht nur in den Protestbewegungen sollte daher ernsthaft darüber nachgedacht, wie Wirtschaften effizient, sozial und ökologisch gestaltet werden kann. Auch die Parteien sind bei diesem Thema mehr denn je gefragt. Schließlich zerbröselt die soziale Marktwirtschaft, die über Jahrzehnte erfolgreich den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland sicherte, weil sie soziale und ökonomische – und zumindest in Teilen ökologische – Interessen verband. Unübersehbar ist heutzutage die Akzeptanzkrise, die unsere Demokratie gefährdet. Hier gewinnt ein rechter Diskurs Raum, der eine "völkische Nationalökonomie" propagiert.
Deshalb danke ich Kevin Kühnert für die Denkanstöße, die viele Proteste und Frustrationen unserer Zeit auf den Punkt bringen. Denken heißt immer Denken in Alternativen. Und dazu gehört die Vorstellung, dass der Sozialismus eine Alternative sein könnte. Aber auch die Kritik an Kühnerts Stichworten gehörens ins Zentrum des kritischen Diskurses. Denn: Er reduziert die Debatte auf den auch noch sehr nebulös daherkommenden Begriff der Kollektivierung, also vor allem der Vergemeinschaftung durch Produktionsgenossenschaften. Statt dieses Rohlings sollten die Alternativen je nach Branchen unterschiedlich definiert werden.
Dazu gehören auch die unterschiedlichen Instrumente der Bändigung der Kapitalmacht durch Demokratisierung. Kühnert unterscheidet nicht zwischen Privateigentum und der Verfügungsmacht darüber. Die Ordnungspolitik, mit der der Rahmen der Produktionsweise gesellschaftlich-staatlich gesetzt wird, schränkt die Verfügungsmacht ein. So darf ein Immobilien-Eigentümer in einem ausgewiesenen Wohngebiet keine Produktionsstätten einrichten. Heute kommen auch ökologische Ge- und Verbote bei der Eigentumsnutzung dazu. Gegen die Ausbeutung von Arbeitskräften richtet sich das verfassungsrechtlich gewollte Tarifsystem zur Lohnfindung und die Mitbestimmung.
Auf die Finanzmarktkrise wiederum haben die Staaten europaweit reagiert, allerdings mit Regulierungen, die bei weitem nicht streng genug sind. Hier fordert Kühnert interessanterweise auch nicht (mehr) die Vergemeinschaftung der Deutschen Bank per Genossenschaft. Denn die hat auch durch Eigenverschulden ihre monopolistische Macht längst verloren.
Nach dem Krieg schrieb die CDU in ihrem Ahlener Programm von 1947: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden.“ Die CDU forderte daher eine „gemeinwirtschaftliche Ordnung“, in der „das Genossenschaftswesen (…) mit aller Kraft auszubauen“ sei. Kartelle und Monopole sollten bekämpft werden. Doch davon nahm die Union schon bald wieder Abstand. DGB/Archiv
In der Wohnungswirtschaft kann es ebenfalls nicht um die Totalkollektivierung gehen. Das zeigt bereits ein Überblick über die sehr unterschiedlichen Immobilienbesitzer und Vermieter. Vielmehr müssen die von Finanzmarktspekulanten profitwirtschaftlich missbrauchten Wohnungsbestände vergemeinschaftet werden. Dabei steht die Re-Kommunalisierung im Mittelpunkt. Das ist Wiedergutmachung für die Kommunen, die im neoliberalen Wahn Wohnungsbestände den Spekulanten übereignet haben. Auch in Bremen hat damals die Große Koalition diesen ordnungspolitischen Fehler begangen.
Es gäbe nicht die Probleme mit Großimmobilisten wie Vonovia, wären damals nicht große Wohnungsbestände an dubiose Investoren und Hedgefonds verhökert worden. Was Kühnert also hier fordert, ist doch die Rückkehr zum kommunalen Wohneigentum. Und das war bestimmt kein Sozialismus à la DDR. Meine wohnungswirtschaftliche Utopie: Wenn jeder seine Wohnung sein Eigentum nennen könnte, dann sind mir die Schlossbesitzer und Villenfürsten wohnungspolitisch egal. Allerdings könnten die mit einer wirksamen Vermögensteuer einen Beitrag zum Allgemeinwohl (Artikel 14 Grundgesetz) leisten. Warum durchsetzen wir nicht wieder die sozial-ökologisch regulierte Marktwirtschaft mit unterschiedlichen Eigentumsformen, um die einzelwirtschaftliche Profitgier zu bändigen?
Mit dem Vorschlag, die Großindustrie zu vergemeinschaften, gerät Kühnert jedoch ins Abseits. Das gilt auch für durch die Bremer Jusos nachgelieferte Forderung nach der Vergenossenschaftlichung des Stahlwerks ArcelorMittal in Bremen. Sicherlich muss die aggressive Profitlogik und die Shareholder-Gier über den Aktienbesitz zugunsten der wertschöpfenden Beschäftigten zurückgedrängt werden. Dazu dient am besten der Ausbau von Mitbestimmung in den Betrieben und den Unternehmen. Hinzukommen müssen wichtige staatliche Regulierungen, die etwa ökologische Ziele gegen kurzfristiges Profitieren präferieren.
Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, wie man ein international aufgestelltes Großunternehmen wie BMW, aber auch Unternehmen etwa aus der Versicherungswirtschaft, wie die Allianz SE, als Genossenschaften führen kann.
Die Überlegungen zeigen: Kevin Kühnert ist schon allein dafür zu danken, dass wir uns endlich mal wieder auf die Suche nach unterschiedlichen Eigentumsformen und deren Gestaltung begeben. Zurückgewonnen werden könnte am Ende eine moderne sozial-ökologische Marktwirtschaft, die den Stammtischverdacht, es gehe um die Rückkehr zur DDR-Wirtschaft mit zentralistisch verankerten Volkseigenen Betrieben (VEB) als agitatorischen Unfug entlarvt.
Ein Gespräch zu diesem Thema mit Rudolf Hickel kann man nun auch im Deutschlandfunk-Podcast "Der Tag" hören.
DGB/Heiko Sakurai
Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.