Deutscher Gewerkschaftsbund

02.12.2013

Die Evaluation der 150 familienpolitischen Leistungen

Wie die Politik sich weigert auf die Bedürfnisse von Familien einzugehen

Schatten einer Familie

Francesca Schellhaas / photocase.com

Mehr als 150 ehe- und familienpolitische Leistungen kommen in der Bundesrepublik zur Anwendung. Mit rund 200 Mrd. Euro investiert die Bundesregierung etwa ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Familien. Im OECD-Vergleich besetzt Deutschland damit einen Spitzenplatz. Hinsichtlich der Effizienz dieser Leistungen ist die Bundesrepublik jedoch weit abgeschlagen.

Welche Wirkungen zeigen die Leistungen bei den Familien, die sie erhalten? Und wie werden die Leistungen von den Familien selbst eingeschätzt? Zwischen 2009 und 2013 untersuchten namhafte deutsche Forschungsinstitute die ehe- und familienpolitischen Leistungen in Deutschland auf ihre Wirksamkeit. Noch von der letzten Großen Koalition (2005-2009) initiiert, ist es die erste Gesamtevaluation, die umfassend Wirkung und Ziele der Leistungen vergleicht. Grundlage der Analyse waren die von der Politik formulierten Ziele: Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität von Familien, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, frühe Förderung von Kindern, Erfüllung von Kinderwünschen und der Nachteilausgleich zwischen unterschiedlichen Familientypen.

Leistungen heben sich gegenseitig in ihrer Wirkung auf

Eindeutig belegt wurde nun: Die staatlichen Leistungen passen teilweise nicht zusammen oder heben sich gegenseitig in ihrer Wirkung auf. Die schlechtesten Bewertungen erhielten durchweg das Ehegattensplitting und die beitragsfreie Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Während der Ausbau der Krippenplätze die Arbeitszeiten der Mütter ansteigen lässt, bieten sowohl Ehegattensplitting als auch das Betreuungsgeld gegenläufige Anreize. Der verhaltenslenkende Einfluss des Ehegattensplittings führt zur verminderten Erwerbstätigkeit von Frauen. Auch das Betreuungsgeld, als Gegenleistung zur Krippenbetreuung initiiert, geht lediglich zu Lasten der Mütter und hat mit moderner Familienpolitik wenig zu tun. Dabei haben die Studien gezeigt: Ein Kinderbetreuungsplatz finanziert sich durch die höhere Erwerbstätigkeit der Mütter und die daraus resultierenden Steuereinnahmen, zwischen 40 und 100 Prozent von selbst.[1]

Das Fazit der Gesamtevaluation, welches die schwarz-gelbe Bundesregierung daraus zog, lautet: Die Familienpolitik, besonders in der vergangenen Legislaturperiode, sei richtig und erfolgreich gewesen. Man könne stolz sein. Die Vielfalt der Leistungen ermögliche Wahlfreiheit für Familien. Es sei anmaßend eine bestimmte Lebensweise vorzugeben. Leistungen streichen oder verändern? Nein.

Kritik aus den Reihen der Forschenden

Harsche Kritik kam umgehend aus den Reihen der Forschenden. Aus Protest auf Vereinfachungen und Fehlinterpretationen ihrer Forschungsergebnisse gaben Vertreter von drei beteiligten Forschungsinstituten (DIW, ZEW, Ifo)[2] eine eigene Zusammenfassung der Ergebnisse heraus. Aus dem Familienministerium hieß es, es sei das gute Recht der Wissenschaftler, ihre persönliche Überzeugung zu vertreten. Allerdings orientieren sich diese fast ausschließlich an den Interessen von Unternehmen und an dem Ziel der Vollzeiterwerbstätigkeit der Mütter. Obgleich die Gesamtevaluation, inklusive der zu untersuchenden Ziele, von der Politik vorgegeben wurden. Katharina Spieß vom DIW kritisiert darüber hinaus, dass das Kriterium „Wahlfreiheit“ erst nachträglich im Politischen Bericht als Ziel eingeführt wurde, es jedoch in den Studien nicht evaluiert worden sei.[3]

Investitionen in qualitativ hochwertige Betreuungsplätze

Im Mittelpunkt der Anfang Oktober vorgestellten Ergebnisse stehen der Ausbau und die Qualität der Kinderbetreuung, Kindergeld, Elterngeld und Ehegattensplitting. Dabei weisen die Forscher der Kinderbetreuung den höchsten Stellenwert zu, da sie als Einzige in keinen Zielkonflikt gerate. Die Subventionierung der Kinderbetreuung entlaste die Familien finanziell und führe besonders bei Frauen zu einer erhöhten Erwerbstätigkeit. Ohne diese würde die Erwerbsquote der Mütter mit zweijährigen Kindern von 37 Prozent auf 27 Prozent zurückgehen.[4] Denn es gilt noch immer: Die Berufstätigkeit der Mütter korreliert ungleich stärker mit der Nutzung von Betreuungsangeboten als die Berufstätigkeit der Väter.[5] In der Altersgruppe der Sechs- bis Neunjährigen liegt die Quote der Ganztagsbetreuung bei 31 Prozent. Dagegen besuchen nur 17 Prozent der Zehn- bis Dreizehnjährigen eine Ganztagsschule bzw. Ganztagseinrichtung.[6] Darüber hinaus bemängeln die Forscher, dass die Qualität der Kinderbetreuung in Deutschland nur im Mittelmaß liege. Daher müsse vermehrt in den Ausbau qualitativ hochwertiger Betreuungsplätze investiert werden.

Väter nehmen meist nur Partnermonate

Auch das Elterngeld hat einen positiven Einfluss auf Familien. Die einkommensbasierte Leistung bewahrt viele vor größeren finanziellen Einbußen in der Familienphase. Gleichzeitig führt die verkürzte Bezugsdauer zu einer schnelleren Rückkehr der Mütter in die Erwerbstätigkeit. Rund 40 Prozent der früheren Elterngeldbezieherinnen sind nach maximal einem Jahr in den Beruf zurückgekehrt. Bei den Müttern, die noch kein Elterngeld beziehen konnten, sind es dagegen 31 Prozent.[7] Kritisch sehen die Forscher, dass die Aufteilung der Partnermonate meist nur zu einer kurzen Elternzeit der Väter führt. Während Mütter durchschnittlich 11,7 Monate Elterngeld beziehen, sind es bei den Vätern 3,4  Monate.[8]

Monetäre Leistungen sind beliebteste Leistungen

Geld zählt zu den beliebtesten familienpolitischen Leistungen in Deutschland. Mehr als 75 Prozent der Nutzer schätzen diese Leistungen als besonders bedeutend für ihre Familie ein. So wird das Kindergeld, vor allem bei Alleinerziehenden und Geringverdienern, als grundlegend für die finanzielle Stabilität der eigenen Familie angesehen.[9] Das stimmt insofern, als das der Bezug von Kindergeld rund 1,2 Mio. Familien den Bezug von Arbeitslosengeld II erspart. Aber: Kinder von Hartz-IV-Empfängern erhalten durch die Anrechnung des Kindergeldes auf ALG II quasi kein Kindergeld. Daher verringert sich das Armutsrisiko für sie auch nicht.[10] Insgesamt sind die familienpolitischen Impulse des Kindergeldes sehr schwach.

Ehegattensplitting wirkt nicht zielgerichtet

Das Ehegattensplitting bietet hinsichtlich der politischen Ziele gegenläufige Anreize und wirkt dadurch nicht zielgerichtet. Statt zu einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf, führt es zu einer – meist geschlechtsstereotypischen - Zuweisung von Erwerbs- und Hausarbeit zwischen den Partnern. Eine überproportionale Besteuerung des gering verdienenden Ehepartners führt dazu, dass vor allem Frauen ihr Arbeitsvolumen verringern. Kurzfristig stellt das Ehegattensplitting Familien finanziell besser. Langfristig kann dieser Effekt durch die reduzierte Erwerbstätigkeit der Frau jedoch nicht kompensiert werden. Dadurch führt das Ehegattensplitting zu einer wirtschaftlichen Destabilisierung von Familien.

Ergebnisse nicht länger ignorieren

Ein Blick in den Koalitionsvertrag zeigt: Zu großen Reformen waren weder CDU noch SPD bereit. Der Ausbau einer qualitativ hochwertigen Kinderbetreuung soll vorangetrieben werden. Ein neues Programm zum Ausbau von Ganztagsschulen ist jedoch nicht vorgesehen. Die Ganztagsschule ist nicht nur ein notwendiger Beitrag, um Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem zu schaffen. Es ist inkonsequent nicht auch den Ausbau von Betreuungseinrichtungen für schulpflichtige Kinder voranzutreiben. Auch das umstrittene Betreuungsgeld bleibt erhalten.

Im Koalitionsvertrag bekennt man sich zu einer „modernen, lebenslauforientierten Zeitpolitik“. Elternzeit soll flexibler gestaltet werden und das Elterngeld durch ein ElterngeldPlus weiterentwickelt werden. Somit soll die Inanspruchnahme von Elterngeld, in Kombination mit einer Teilzeitarbeit, bis zu 28 Monate anteilig gewährt werden. Arbeiten beide Eltern 25-30 Stunden die Woche wird ein Partnerbonus gezahlt.

Das Ehegattensplitting und die beitragsfreie Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben unangetastet. So wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiterhin zu Lasten der Frauen gehen. Beide Ehepartner haben das Recht auf eine selbstbestimmte Erwerbsbiographie. Mit dem Ehegattensplitting steht der Staat dem Ziel der stärkeren Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt jedoch entgegen. Fakt ist: Das Ehegattensplitting fördert nicht Familien, sondern Ehepartner mit möglichst großem Einkommensunterschied. Die negativen Arbeitsanreize für Frauen führen zu einem Rückgang der wirtschaftlichen Selbstständigkeit. Es ist Zeit für eine Reform des Ehegattensplittings hin zu einer schrittweisen Einführung einer Individualbesteuerung.

Die neue Bundesregierung muss den Mut haben eine moderne Familienpolitik zu schaffen, in der die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Vordergrund steht. Mit dem vorgelegten Koalitionsvertrag ist sie davon noch weit entfernt. Die Studien belegen: Junge Familien wollen sich nicht entscheiden. Beide Partner möchten Beruf und Familie und erwarten von der Politik, dass sie die nötigen Rahmenbedingungen schafft. Konzeptlosigkeit darf nicht länger die Familienpolitik bestimmen. Die Politik muss echte Wahl- und Chancengleichheit für alle Familientypen schaffen.

 

Literatur

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Zentrale Resultate der Gesamtevaluation familienbezogener Leistungen, DIW Wochenbericht, Nr. 40, 2013,   S.3-13. (https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.428678.de/13-40.pdf)

Vgl. Familienforscherin im Gespräch. „Wir haben uns falsch wiedergegeben gefühlt“, in Frankfurter Allgemeine Zeitung (Interview), 2.10.2013.

http://www.faz.net/aktuell/politik/familienforscherin-im-gespraech-wir-haben-uns-falsch-wiedergegeben-gefuehlt-12601200.html

Institut für Demoskopie Allensbach, Akzeptanzanalyse I – Staatliche Familienleistungen aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger: Kenntnis, Nutzung, und Bewertung, August 2012.

(http://www.ifd-allensbach.de/uploads/tx_studies/AKZ_I_Schlussbericht.pdf)

Institut für Wirtschaftsforschung, Kinderbetreuung offenbart großes Potenzial (Pressemitteilung), 15.04.2013.

(http://www.cesifo-group.de/de/ifoHome/presse/Pressemitteilungen/Pressemitteilungen-Archiv/2013/Q2/pm_20130415-fobr-59.html)

Statistisches Bundesamt, Öffentliche Sozialleistungen, Statistik zum Elterngeld. Gemeldete und beendete Leistungsbezüge für im 3. Vierteljahr 2009 geborene Kinder, Wiesbaden 2010.

(https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Soziales/Elterngeld/ElterngeldGeburtenVj5229208103244.pdf?__blob=publicationFile)

Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Forschungszentrum familienbewusste Personalpolitik (FFP), Zentrale Leistungen / Zentrale Leistungen im Lebensverlauf. „Evaluation zentraler ehe- und familienbezogener Leistungen in Deutschland“, 20. Juni 2013.

(http://ftp.zew.de/pub/zew-docs/gutachten/ZEW_Endbericht_Zentrale_Leistungen2013.pdf)



[1]       Vgl. Institut für Wirtschaftsforschung (ifo), Kinderbetreuung offenbart großes Potenzial (Pressemitteilung), 15.04.2013.

[2]       Eine Zusammenfassung der Forschungsergebnisse von DIW, ZEW und ifo erschien im DIW Wochenbericht, Nr. 40, 2013, S.3-13.

[3]       Vgl. Familienforscherin im Gespräch. „Wir haben uns falsch wiedergegeben gefühlt“, in Frankfurter Allgemeine Zeitung (Interview), 2.10.2013.

[4]       Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Zentrale Resultate der Gesamtevaluation familienbezogener Leistungen, DIW Wochenbericht, Nr. 40,  2013, S.4.

[5]       Institut für Demoskopie Allensbach ,Akzeptanzanalyse I – Staatliche Familienleistungen aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger: Kenntnis, Nutzung, und Bewertung, August 2012, S.124.

[6]       Vgl. ebd., S.118f.

[7]       Vgl. ebd., S.223.

[8]       Statistisches Bundesamt, Öffentliche Sozialleistungen, Statistik zum Elterngeld. Gemeldete und beendete Leistungsbezüge für im 3. Quartal 2009 geborene Kinder, Wiesbaden 2010, S.8.

[9]       Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach (2012), S.47f, S.58, S.63.

[10]    Vgl. Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Forschungszentrum familienbewusste Personalpolitik (FFP), Zentrale Leistungen / Zentrale Leistungen im Lebensverlauf. „Evaluation zentraler ehe- und familienbezogener Leistungen in Deutschland“, 20. Juni 2013, S.62-66.


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Kurzprofil

Rebecca Romes
Geboren am 19. Juli 1989 in Andernach
Studentin der Soziologie an der FU Berlin
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