Die öffentlich-rechtlichen Sender sind zunehmend auch auf kommerziellen Plattformen präsent. Das ist im Digitalzeitalter unvermeidlich - und gleichzeitig ein Problem. Denn die Beiträge sind oft nur einen Klick von Hassbeiträgen entfernt. Die Sender brauchen eigene Plattformen. Und sie brauchen mehr Beteiligung des Publikums.
Von Christine Horz
Die öffentlich-rechtlichen Sender stellen sich auf die veränderte Medienlandschaft ein und bieten mit "Funk" ein Programm speziell im Internet an. DGB/Screenshot/Funk
Die öffentlich-rechtlichen Medien stehen im Digitalzeitalter vor spezifischen Herausforderungen, die im Medienmarkt nur für sie gelten. Denn sie müssen aufgrund ihres gesellschaftlichen Auftrags die Allgemeinheit auch im Internet vielfältig mit Information, Kultur, Bildung und Unterhaltung versorgen. Sie konkurrieren hier um die Aufmerksamkeit der Mediennutzer – vor allem die jungen Generation – gegen die Angebote der Internetgiganten und sozialen Netzwerke. Um ihren Auftrag auch digital umzusetzen, haben ARD und ZDF das "Content- Netzwerk" Funk ins Leben gerufen, das seit Oktober 2016 auf Youtube, Snapchat, TikTok, Facebook und Instagram Programme für junge Menschen macht. Dank Funk sind die Öffentlich-Rechtlichen nun also „digital“ geworden und kommunizieren zudem direkt mit den Nutzer*innen.
Kritisch ist allerdings, dass sich die öffentlich-finanzierten Beiträge hier in einem kommerziell und inhaltlich teils hochproblematischen Umfeld befinden. Hate-Speech und Fake News sind nur einen Klick entfernt und gefährden die demokratische Meinungs- und Willensbildung. Es besteht zudem keinerlei Möglichkeit auf die Geschäftsbedingungen und –praktiken der Internetkonzerne Einfluss zu nehmen, was einer Enteignung öffentlich-finanzierter Beiträge gleichkommt.
Das ist im klassischen Fernsehen nicht der Fall. Doch hier fehlt weitgehend die Bürgerbeteiligung. Die Dialogmöglichkeiten von ARD und ZDF hinken dem medienkulturellen Wandel hinterher – sie verhalten sich überwiegend noch so, als wäre Bürgerbeteiligung nachrangig oder ließe sich auf Empfehlungssysteme bei der Nutzung der Mediatheken beschränken.
In anderen Ländern gehört der Dialog über das eigene Tun längst dazu. In der Schweiz etwa wird der Public Value – der öffentliche Mehrwert - öffentlich-rechtlicher Angebote längst von unabhängigen Kommunikationswissenschaftler*innen evaluiert. Wenn die politischen und ökonomischen Entwicklungen keine Sicherheiten mehr bieten, können neue Allianzen mit Bürger*innen und Wissenschaftler*innen sowie ein selbstkritischer Wille zur Veränderung helfen, den Medienpluralismus langfristig zu sichern.
MIt neueren Formaten experimentiert auch ZDF-Neo. Doch generell werden die Zuschauer*innen immer noch viel zu wenig nach ihren Wünschen gefragt. DGB/Screenshot/ZDF_Neo
Der Fokus auf die Beteiligung der Nutzenden an Medieninhalten greift jedoch zu kurz, es bedarf eines umfassenderen Konzepts, um Bürgerbeteiligung nachhaltig sicherzustellen. Drei Aspekte erscheinen dabei besonders wichtig:
1. Bürger*innen sollten sich zumindest beratend in Rundfunk- und Fernsehräten beteiligen können. Entsprechende Möglichkeiten könnte der Gesetzgeber schaffen. In europäischen Nachbarländern wie der Schweiz und ansatzweise in Österreich finden diese Prozesse seit Jahren statt und werden kontinuierlich weiterentwickelt.
2. Es gilt, die Bürger*innen stärker in die Programm- und Strategieplanung der Sender einzubeziehen. Das schließt Debatten über die Programmqualität und professionelle ethische Standards ein. Keinesfalls soll dabei die Programmautonomie aufgeweicht werden, es gäbe auch niedrigschwellige Beteiligungsformen wie Umfragen, Dialogplattformen und ähnliches. Entscheidend wäre die Beteiligung von allen Bürger*innen, um die kulturelle Diversität der Zielgruppen abzubilden. Auch hier bietet Funk ein beachtliches Experimentierfeld.
Wichtig wäre es außerdem, Ombudsstellen einzurichten, um die Bindung zum Publikum zu stärken. Hier sind vergleichbare europäische Länder wie die Schweiz längst weiter, wo Ombudsleute in einem Newsletter wöchentlich über Eingaben und Konflikte berichten. Auch das dient dem Bildungsauftrag.
3. Der gesellschaftliche Wert öffentlich-rechtlicher Angebote muss erhalten bleiben, um den Bürger*innen künftig weiterhin Orientierung zu geben und möglichst objektive Informationen zu liefern. Das stärkt die Demokratie.
In jedem Fall dürften die Sender ihre Programme nicht mehr über kommerzielle Plattformen verbreiten, sondern müssten langfristig eigene Plattformen auf europäischer Ebene schaffen. Bürgerbeteiligung würde so in ein größeres Gesamtkonzept eingebettet, um den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Medien unter den Vorzeichen des digitalen Zeitalters fortzuschreiben.
Die Richter des Bundesverfassungsgerichtes entschieden 2014, dass der Einfluss "staatlicher und staatsnaher Mitglieder" konsequent begrenzt werden muss. Ihr Anteil dürfe "ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Gremiums nicht übersteigen". Das schafft Platz mehr Publikumsbeteiligung. Bundesverfassungsgericht
Die Etablierung eigenständiger, unabhängiger Plattformen würde ein Umfeld schaffen, in dem die Öffentlich-Rechtlichen in Kooperation mit Museen, Universitäten und anderen öffentlich finanzierten Institutionen ausschließlich gemeinwohlorientierte Inhalte anbieten. Diese Idee eines European Public Open Space habe ich gemeinsam mit einem internationalen Forscherkonsortium als eine Möglichkeit vorgeschlagen. So könnten die Öffentlich-Rechtlichen unabhängiger von den Internetkonzernen werden und neue transnationale Allianzen mit Institutionen bilden, die einem ähnlichen Zweck wie die öffentlich-rechtlichen Medien dienen.
Die Bürger*innen wurden in der Vergangenheit kaum als Stakeholder betrachtet. Doch wer wenn nicht sie sind die Anspruchsberechtigten ihres öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Die Sender müssten daher ihre distanzierte Haltung zum Publikum weitaus überdenken, als bisher. Das klingt zunächst befremdlich, schließlich senden sie für die Allgemeinheit und vermessen die Interessen des Publikums in Einschaltquoten. Sie selbst als Institutionen bleiben jedoch distanziert, unnahbar. Heutzutage jedoch reicht es nicht mehr, demokratischen Prozessen in der Gesellschaft zu dienen und überwiegend quantitative Daten der Nutzer heranzuziehen. Die Sender müssen selbst zugänglicher, partizipativer und dialogischer agieren.
Eine zentrale Rolle werden in diesem Prozess die Gremien der Sender spielen. Zwar sind die meisten der Rundfunk- und Fernsehratssitzungen mittlerweile öffentlich, doch anwesende Bürger*innen haben kein Rederecht. Diese homöopathische Transparenz reicht nicht aus. Denn vielfach werden Entscheidungen vor den Gremiensitzungen in den geheim tagenden Freundeskreisen entschieden. Das ist an sich kein Problem, die Themen sind komplex und Demokratie braucht Raum für Entscheidungsfindung. Doch sollten die Protokolle anschließend öffentlich zugänglich und Rückmeldungen des Publikums möglich sein. Die Gremienmitglieder haben zwar schon jetzt die Möglichkeit, in Kontakt zu gesellschaftlichen Gruppen zu treten. Davon machen aber nur die wenigsten Gebrauch.
Die öffentliche Wahl der Gremienmitglieder wäre eine gute Idee, weil die Arbeit eigentlich ein Vollzeitjob ist. Dann müssten sie sich für ihre Entscheidungen legitimieren. Diesen Vorschlag haben wir mit der Initiative Publikumsrat e.V. bereits 2014, Monate vor dem "ZDF-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts, in die Debatte eingebracht, doch nur der WDR experimentiert derzeit damit. Die Initiative Publikumsrat e.V. hat das Ziel medienpolitische und kommunikationswissenschaftliche Erkenntnisse einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Schließlich ist es an der Zeit, endlich Publikumsräte zu etablieren und somit mehr Bürgerbeteiligung in den Gremien der Sender.
DGB/Heiko Sakurai
Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.