Deutscher Gewerkschaftsbund

08.06.2021

Die AfD nutzt die Krise der Demokratie

Bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt hat die AfD gegenüber 2016 Stimmen verloren. Doch die rechtspopulistische Partei hat sich insgesamt, zumal im Osten, stabilisiert. Das verdankt sie nicht nur abgehängten Gegenden und Wähler*innen. Sie instrumentalisiert auch geschickt lokale Konflikte um Wohnen oder Verkehr.

 

Von Thomas Gesterkamp

Eine blaue Wand, auf der "Alternative für Deutschland" steht, mit Schatten von mehreren Personen und zwei Mikrophonen.

Die AfD radikalisiert sich seit Jahren und der Einfluss von Rechtsextremen wie Björn Höcke wächst. Doch sie stellen sich auch gern als Vertreter der Benachteiligten dar, obwohl sie wenig für sie tun. DGB/vfutscher/flickr

Podesta steht für "Populismus und Demokratie in der Stadt". An den Universitäten Jena und Tübingen beschäftigte sich eine Gruppe von Wissenschaftler*innen detailliert mit kommunalpolitischen Auseinandersetzungen am Beispiel von Leipzig und Stuttgart. Das Ergebnis ist ein interessanter Ost-West-Vergleich zweier ungefähr gleich großer Städte mit jeweils rund 600.000 Bewohnern, die gemeinsame, aber auch sehr unterschiedliche Probleme haben. Eine angespannte Situation auf dem Immobilienmarkt vor allem in zentrumsnahen Vierteln und die Verdrängung von einkommensschwachen Haushalten in periphere Ortsteile charakterisiert beide Kommunen. Während jedoch in Leipzig die langfristigen Folgen der ostdeutschen Transformation nach wie vor eine gewichtige Rolle spielen, entzünden sich im von der Autoindustrie geprägten Stuttgart die Konflikte eher an ökologischen Fragen wie den Fahrverboten für ältere Dieselfahrzeuge.

Die AfD nutzt klassische sozialdemokratische Themen zur Profilierung

Die AfD versucht, klassische sozialdemokratische Themen aufzugreifen und kommunalpolitische Beteiligungsdefizite für sich zu nutzen. So gab sie im Leipziger Stadtrat empörten Garagenpächtern eine Stimme, die dem Neubau eines Schulgebäudes weichen mussten. In Stuttgart kooperiert die Partei mit dem Zentrum Automobil. Die oppositionelle, gegen die IG Metall ausgerichtete Betriebsratsliste im Daimler-Konzern versteht sich als Anlaufstelle für den Unmut der Belegschaften in der Fahrzeugbranche. Viele Beschäftigte, auch in anderen ansässigen Großbetrieben wie Bosch oder Porsche, sind nicht einverstanden mit den aus ihrer Sicht übertriebenen Grenzwerten etwa bei der Feinstaubbelastung. Sie protestieren gegen die daraus folgenden Sanktionen eines grünen Oberbürgermeisters und einer grün geführten Landesregierung, weil sich Sorgen machen um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze.

Die jüngsten Wahlanalysen aus Sachsen-Anhalt zeigen, dass Rechtspopulisten in manchen Kleinstädten und ländlichen Gemeinden besonders hohe Stimmenanteile erzielen konnten. Doch ihre Erfolge beschränken sich keineswegs auf abgehängte Regionen. Der Gegensatz zwischen akademisierten und liberalen Großstädtern und fremdenfeindlichen und ungebildeten Provinzbewohnern ist ein gängiges politisches Erklärungsmuster. Das Forschungsteam widerspricht dieser Behauptung, die rückwärts gewandte Weltbilder vorrangig den Modernisierungsverlierern in deindustrialisierten Räumen zuordnet. Auch in Ballungsgebieten beobachten sie eine Verfestigung autoritärer Orientierungen und “eine daran anschließende politische Dynamik”, obwohl es die Menschen dort ja eher offen für Vielfalt, Pluralität und Neues sein sollen. Statt vereinfachend vom Gegensatz von Stadt und Land zu sprechen, lohne sich “ein genauer Blick, der kleinräumliche Differenzen erkennt”.

Auf dem Podium der Bundespressekonferenz sitzen vor einer blauen mit Abstand nebeneinander drei Männer.

Nach der Wahl in Sachsen-Anhalt kann die AfD zwar nicht jubeln, aber sie hat auch keinen Grund zum Jammern. Vor allem in dern mittleren Altersgruppe und bei den Alten ist sie stärkste Partei geworden. DGB/dah

Aus soziologischer, politikwissenschaftlicher und ethischer Perspektive untersucht das Podesta-Projekt, "was Städte zu Orten der Demokratiekrise macht" und welche besonderen Bedingungen dort antidemokratische Bewegungen befördern. Zur Illustration lokaler Konflikte um Quartiersentwicklung, Wohnen und Verkehr dienen Interviews mit Expert*innen und Vertreter*innen sozialer Bewegungen sowie die Analyse rechter Diskurse. Ein besonders auffälliger Befund ist, wie die AfD mikropolitische Auseinandersetzungen und konkrete Erfahrungen von persönlicher Demütigung mit ihren rechten Kernbotschaften verknüpft. Am Mangel an bezahlbarem Wohnraum sind dann nicht etwa Hedgefonds und Immobilienspekulationen schuld, sondern "die Flüchtlinge". Wenn die Aufwertung oder gar Gentrifizierung eines Stadtteils den Abriss alter Bausubstanz nach sich zieht, hängt das angeblich damit zusammen, dass zu viele Asylbewerber in dem Quartier leben.

Die AfD verknüpft reaktionäre Denkmuster mit einem vermeintlichen Kampf gegen Privilegien

Nicht immer verfangen solche einfachen, oft migrationsfeindlichen Schuldzuweisungen: So machten sich, trotz der Unterstützung durch die AfD, keineswegs alle vom Abriss des Leipziger Garagengeländes Betroffenen die politische Gesamtorientierung der Partei zu eigen. Dennoch kann durch einen Mangel an Partizipationsmöglichkeiten ein gefährliches Demokratie-Defizit entstehen, das rechte Politik für ihre Ziele zu nutzen weiß. Den Interventionen aus diesem Umfeld, das belegen die Fallgeschichten der Untersuchung, fehlt dabei allerdings oft das wirkliche Interesse am Detail. Statt dessen überwiegen "antiurbane Visionen des Städtischen in eher pauschalen Bildern". Das Beispiel Stuttgart zeige, wie reaktionäre Deutungsmuster "überkommene Vorstellungen von Sozialräumen idealisieren, die sich auf Straßen und Autos kaprizieren und neue Ideen von Mobilität ablehnen". Hinter umweltpolitischen Kontroversen stecke häufig "das Gefühl verlorener Privilegien".

Im lokalen Nahraum bündeln sich unter dem Brennglas große Themen, die "sich um die wechselseitigen Beziehungen von Stadtentwicklung, Rechtsruck und Demokratie drehen", heißt es in einem aktuellen Sammelband, der die Podesta-Studie dokumentiert. Rechte Politik verknüpft die vermeintliche Abwertung von Lebensstilen mit kommunalen Auseinandersetzungen, die sie als Beleg für überregionale Probleme interpretiert. Mit dem Verweis auf das Thema Migration konstruiert sie einen Gegensatz zwischen “Volk” und Elite, urbane Konfliktfelder wie die Wohnungsnot werden ethnisiert. Auch in der Dieseldebatte vermischen sich Verkehrspolitik und nationalistische Deutungen. Hinter den Kulissen, so die These der Forscher*innen, gehe es nämlich um ganz andere Dinge – etwa "um deutsche Identität, um die Autostadt, männliches Fahren und hiesige Ingenieurskunst".


 

Buchumschlag, nur mit Text, zum angegebenen Buch

Westfälisches Dampfboot

Das Buch zur Studie:
Peter Bescherer/Anne Burkhardt/Robert Feustel/Gisela Mackenroth/Luzia Sievi: Urbane Konflikte und die Krise der Demokratie. Stadtentwicklung, Rechtsruck und Soziale Bewegungen. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2021, 248 Seiten, 28 Euro.


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Kurzprofil

Thomas Gesterkamp
Thomas Gesterkamp schreibt seit über 30 Jahren als Journalist über die Arbeitswelt und Familienpolitik.
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