Deutscher Gewerkschaftsbund

26.07.2018

Sozial, gerecht und cool

Soziale Dienstleistungen müssen endlich gesellschaftlich aufgewertet werden - vor allem durch höhere Löhne. Nur dann lassen sich genügend Fachkräfte finden, um den steigenden Bedarf an Pflege und Kinderbetreuung zu befriedigen. Zudem würde diese Aufwertung dazu beitragen, die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern zu verringern.

 

Von Flora Antoniazzi

Die Hand eines jüngeren Menschen hält die Hand eines Älteren.

Pflegeberufe verlangen fachliche und soziale Kompetenz. Sie werden immer wichtiger in einer alternden Gesellschaft. DGB/Colourbox/Børge Sandnes

"Es muss cool sein, Pflegefachkraft zu sein." Das zumindest sagte Familienministerin Franziska Giffey (SPD), als sie mit Arbeitsminister Hubertus Heil und Gesundheitsminister Jens Spahn kürzlich die „Konzertierte Aktion Pflege“ der Bundesregierung vorstellte. Doch lässt der Coolness-Faktor in den sozialen Dienstleistungsberufen zu wünschen übrig. Denn die Arbeit wird nicht nur schlecht bezahlt, sondern fordert viel, zumal es an Personal fehlt. In der Alten- und Krankenpflege beispielsweise sind rund 35.000 Stellen für Fach- und Hilfskräfte unbesetzt. Weil es nicht genug ErzieherInnen gibt, haben 30.000 Kinder unter drei Jahren keinen Betreuungsplatz, obwohl er ihnen rechtlich zusteht.

Die DGB-Gewerkschaften fordern deshalb bessere Arbeitsbedingungen und eine faire Bezahlung für die rund sechs Millionen Frauen und Männer, die in den frauendominierten sozialen Berufen arbeiten. Hinzu kommt, dass mehr Menschen einer Erwerbstätigkeit nachgehen könnten, wenn sie ihre Kinder und pflegebedürftigen Angehörigen in qualitativ hochwertigen Pflege- und Betreuungseinrichtungen wissen. Die Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit könnte somit gerechter gestaltet werden. Ohne die Aufwertung sozialer Dienstleistungen können wir keine Gleichstellung von Frauen und Männern erreichen.

Den Wert der Sorgearbeit anerkennen

Soziale Dienstleistungsberufe werden unterbewertet und in ihrer volkswirtschaftlichen Relevanz chronisch unterschätzt. Dabei machen sie schon jetzt 18 Prozent des Arbeitsmarktes aus, Tendenz steigend. Niedrige Löhne, eine hohe Quote, oft unfreiwilliger, Teilzeit und damit verbundene Altersarmutsrisiken, psychischer und körperlicher Stress spiegeln wieder, wie wenig die gesamtgesellschaftliche Bedeutung von Sorgearbeit anerkannt wird.

Eine Pflegerin hilft einer alten Frau beim Aufstehen aus dem Bett.

Physisch und psychisch sind soziale Berufe herausfordend, zumal es meist zu wenig Personal gibt. DGB/Colourbox.de/PetraD

Der Comparable Worth Index macht das durch einen Vergleich verschiedener Berufe deutlich: Obwohl Hilfskräfte in der Pflege ein gleiches Anforderungsniveau wie IngenieurInnen in der Elektrotechnik erfüllen, erhalten sie lediglich rund 40 Prozent des Stundenlohns. Das verwundert umso mehr, als soziale Dienstleistungen erst die Voraussetzung schaffen, dass viele Menschen produktiv einer Erwerbsarbeit nachgehen können. Dazu gehören neben Kinderbetreuung und Krankenpflege auch die haushaltsbezogenen Dienstleistungen wie Putzen oder Kochen.

Flächendeckende Tarifverträge gegen die Diskriminerung

Was also ist der Grund für die Unterbewertung der sozialen Berufe? Es ist vor allem die Trennung der Berufsfelder nach Geschlecht. In der Alten- und Krankenpflege arbeiten zu über 80 Prozent Frauen, Beschäftigte in privaten Haushalten sind zu 90 Prozent weiblich und ErzieherInnen im Kindergarten zu 95 Prozent. Sorgearbeit, die früher unentgeltlich, in der Familie und fast ausschließlich von Frauen geleistet wurde, wird heute auf einem Markt nachgefragt und ist für das Funktionieren von Gesellschaft und Staat unentbehrlich. Trotzdem setzt sich die tradierte Geringschätzung "weiblicher Sorge" in Form von geschlechtsspezifischer Diskriminierung auf weiblich dominierte Berufe in den personenbezogenen Dienstleistungen fort.

Das ließe sich ändern, wenn flächendeckende Tarifverträge abgeschlossen würden, die höhere Löhne und mehr Vollzeitstellen garantierten. Damit könnte die Entgeltlücke (Gender Pay Gap) deutlich reduziert werden. Die Beschäftigten hätten damit bessere Chancen auf eine eigenständige Existenzsicherung – im Erwerbsleben und im Alter. Ein größeres Angebot an Vollzeitarbeitsplätzen würde zudem den Wünschen der heute mehrheitlich Teilzeitbeschäftigten entgegenkommen und ihr Risiko der Altersarmut erheblich senken.

Gang auf einer Pflegestation. Alte sitzen im Rollstuhl, eine Pflegerin eilt entlang.

Eilig im Dienst der BewohnerInnen. Der Alltag auf einer Pflegestation kann bisweilen sehr stressig sein. DGB/Colourbox.de/Børge Sandnes

Entscheidend wäre allerdings auch, endlich mehr Personal einzustellen. Damit ließe sich die Arbeitsbelastung samt kurzfristig anfallender Überstunden reduzieren. Die MitarbeiterInnen blieben dann gesünder und müssten nicht so oft vorzeitig in den Ruhestand gehen. Obendrein würde sich die Qualität der Pflege und Betreuung verbessern, wenn es mehr und damit zufriedenere Beschäftigte gäbe. Mehr Menschen mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen könnten einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Letztlich sichert die Aufwertung sozialer Dienstleistungen damit die Qualität des gesellschaftlichen Zusammenlebens, weil sie einen wesentlichen Beitrag zur geschlechtergerechten Gestaltung unserer Arbeitswelt leistet.

Aufwertung und die Zukunft der Gewerkschaften

Daher sollten die Gewerkschaften das Thema Aufwertung auch aus einem frauen- und geschlechterpolitischen Blickwinkel betrachten und kommunizieren. Schließlich sagen aktuelle Arbeitsmarktprognosen voraus: Bis zum Jahr 2030 werden die Gesundheits- und Sozialberufe ein Viertel bis ein Drittel aller Erwerbstätigen ausmachen, weil die Gesellschaft immer älter wird und immer mehr Frauen erwerbstätig sind.

Wenn soziale Dienstleistungen nicht im gleichen Umfang wie andere Berufe vom allgemeinen Lohnwachstum profitieren, wird die geschlechtsspezifische Trennung am Arbeitsmarkt noch weiter verstärkt. Wollen die Gewerkschaften zukunftsorientiert arbeiten, müssen sie die mehrheitlich weiblichen Beschäftigten in den sozialen Dienstleistungen als potenzielle Mitglieder begreifen und Kampagnen zur Aufwertung verstärkt an deren Interessen auszurichten. Denn letztlich ist die Aufwertung ihrer Berufe eine Frage der Geschlechtergerechtigkeit, die uns alle etwas angeht.


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Kurzprofil

Flora Antoniazzi
war von April bis Juli 2018 Praktikantin in der Abteilung Frauen, Gleichstellungs- und Familienpolitik der DGB-Bundesvorstandsverwaltung. Sie studiert Sozialpolitik (Master) mit einem Schwerpunkt auf Geschlechterver-hältnissen im Wohlfahrtsstaat. Im Bachelor studierte sie Politikwissenschaft und Öffentliches Recht.
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