Deutscher Gewerkschaftsbund

09.06.2023

Künstliche Intelligenz und Arbeit: Ein komplexes Verhältnis

Wird künstliche Intelligenz Arbeitsplätze vernichten? Christian Kellermann analysiert, wie komplex die Studienlage ist und welche Aussagen über die Zukunft des Arbeitsmarktes möglich sind und welche nicht.

Menschen bei der Arbeit

Midjourney / Gegenblende

Jeder größere Entwicklungsschritt der KI wird mit einer gewissen Routine von gesellschaftlichen Verwerfungsszenarien begleitet. Vor zehn Jahren war es das maschinelle Lernen, das uns eine großangelegte technologisch getriebene Arbeitslosigkeit bescheren würde. Heute sind es Chat GPT & Co, die unsere Arbeit verändern oder vielleicht sogar vernichten. Weltweit könnte das Äquivalent von 300 Millionen Jobs, so die aktuelle Studie einer Investmentbank, durch die neuen Sprachmodelle überflüssig werden – eine allzu einladend verhetzbare Zahl, wie man das dystopische Medienecho auf diese Studie interpretieren kann. Dabei ist die Methodik und die Aussage der Studie selbst deutlich differenzierter, denn es geht ihr darum zu zeigen, welches Produktivitätspotenzial in den neuen KI-Modellen steckt. Dafür werden vor allem weltweit Großunternehmen befragt. Erst in einem weiteren Schritt rechnet sie dieses Potenzial auf Arbeit um, aber richtigerweise auf einzelne Bestandteile von Arbeiten, die durch die KI ersetzt oder ergänzt werden können.

Gegenblende - Debatten in Ihr Postfach

Jetzt den Gegenblende-Newsletter abonnieren. Aktuelle Debatten über Arbeit, Wirtschaft, Gesellschaft in der Transformation.

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen.

Künstliche Intelligenz und Arbeit: Auch Einfluss auf Berufe mit hohem Qualifikationniveau

Andere Studien, interessanterweise auch direkt aus dem Hause OpenAI, dem Schöpfer von Chat GPT, beziehen sich auf Berufsdatenbanken. Darin finden sich standardisierte Beschreibungen der Tätigkeiten, die einen Job ausmachen. Diese werden dann abgeglichen mit den Fähigkeiten der neuen KI-Modelle um zu vergleichen, ob eine Aufgabe auch durch die KI erledigt werden könnte – rein theoretisch und schematisch nach Schwierigkeitsgraden, die einer Aufgabe beigemessen werden. Hierbei geht es explizit um die brennende Frage, welche Aktivitäten einer KI-Automatisierung ausgesetzt sind.

Die Resarcher:innen von OpenAI stellen mit Hilfe dieser Methode fest, dass rund 80 Prozent der US-Arbeitskräfte zu mindestens 10 Prozent ihrer Arbeitsaufgaben von der Einführung von großen Sprachmodellen betroffen sind. Bei ca. 20 Prozent der Arbeitnehmer*innen sind mindestens 50 Prozent ihrer Aufgaben betroffen. Dabei geht es um die sogenannte Exposure. Also, zu welchem Anteil bin ich der KI „ausgesetzt“, definiert durch eine mindestens 50-prozentige Reduktion der Zeit für die Erledigung einer Aufgabe. Es geht im Kern ebenfalls um Arbeitsproduktivität, die mit den neuen KI-Methoden weiter ausgreift als frühere technologische Levels. Denn diesmal korrelieren vor allem höhere Einkommens- und Qualifikationsgruppen mit der Anwendbarkeit großer Sprachmodelle, was sicherlich einen Teil der Aufregung erklärt.

Die neuen KI-Modelle verfügen über gute maschinelle Fähigkeiten im Bereich Übersetzung, Klassifizierung, dem kreativen Schreiben oder auch der Code-Generierung. Außerdem sind große Sprachmodelle in spezialisierte Anwendungen integrierbar und erweitern so das Anwendungsspektrum. Die Modelle entfalten ihre Wirkung vor allem als „Ko-Piloten“ für den Menschen und gehen dabei in ihrer Funktionalität einen Schritt über das Erledigen (repetitiver) Routineaufgaben hinaus. Auf dieser Beobachtung beruht auch das Neue im Vergleich zu den Szenarien für Arbeit und Beschäftigung von vor zehn Jahren, weil bislang damit kalkuliert wurde, dass ausschließlich Routineaufgaben (vor allem manuelle, aber auch kognitive) durch KI ersetzbar würden. Journalistinnen, Übersetzer, Schriftstellerinnen, Meinungsforscher oder PR-Fachleute gehören folglich zur neuen Zielgruppe der KI.

KI und Arbeit: Vorhersage kaum möglich

Das zunehmende Maß an komplementärem Technikeinsatzpotenzial in vielfältigen Arbeitskontexten, das in vielen Studien hochgerechnet wird, gibt die Tendenz der Entwicklung durchaus richtig wieder. Eine belastbare Aussage über den Grad der Substitution von Arbeit können die Studien aber nicht leisten – aus mehreren Gründen:

  • Zum einen erfasst die Datengrundlage auch auf der Ebene von Tätigkeitsbeschreibungen nicht das stillschweigende Wissen, das es auch bei Routinetätigkeiten gibt, geschweige denn das Arbeitsvermögen, das durch Erfahrung und flexible, fehleranfällige Arbeitskontexte aufgebaut wird.
  • Zudem kann das Beherrschen einer Tätigkeit wiederum eine Voraussetzung für die Erfüllung einer anderen Tätigkeit sein. Diese Komplexität von Arbeit ist anhand der zur Verfügung stehenden Datenbanken nicht abbildbar.
  • Ein weiterer limitierender Faktor ist die Technik selbst. So ist es nicht möglich, die künftige Anwendbarkeit generativer KI vorherzusagen.
  • Zum anderen muss die Projektion des Ist-Stands der Technik einem Zielzustand der vollständigen Akzeptanz, Implementierung und somit Nutzung der Technik folgen, was aber nicht nur den betrieblichen, sondern auch den (regionalen oder nationalen) regulatorischen Kontext ausblendet.

Beschäftigte und Betriebsräte mitnehmen

Am Beispiel der Automatisierbarkeit des Coding lassen sich Potenziale und Risiken der generativen KI gut demonstrieren: Für typische Wettbewerbs-Programmierprobleme erreichen heutige Sprachmodelle häufig Lösungsraten, die auf dem Niveau von oder sogar jenseits von Menschen sind. Allerdings kommt es bei der Verwendung verschiedener Sprachmodelle auch vor, dass Menschen mehr Sicherheitslücken in ihren Code bauen – und gleichzeitig glauben, dass sie weniger Sicherheitslücken produzieren. Ganz zu schweigen von den vielfältigen Fehlern der Modelle, die den professionellen Einsatz heute noch stark einschränken. Ferner existieren Probleme für Spezialanwendungen, da es in der Regel keine Trainingsdaten im Internet gibt. Daraus ergibt sich die Herausforderung, wie man den Kontext einer Spezialanwendung in ein KI-System bekommt, ohne das System mit vielen Daten neu trainieren zu müssen. Die Anwender im Spezialanwendungsbereich sind in Deutschland vor allem KMU, die entsprechende Kontextinformationen für ein Programm bereitstellen müssten. Diese Informationen sind jedoch sensibel. Sofern der User in größeren Prompts arbeiten muss („ich nutze System X, löse Problem Y“), liefert er sein Problem offen dem jeweiligen Systembetreiber aus.

In der Summe geben auch die neueren Modellierungen der Effekte auf Arbeit wenig Aufschluss über zu erwartende Beschäftigungseffekte, weil sie den Arbeitskontext nicht hinreichend erfassen (können). Die Schätzungen der Produktivitätseffekte wiederum sind wichtig, weil sie das Komplementaritätspotenzial der generativen KI einordnen helfen. Hinter dem Indikator steht die qualitative Veränderung von Arbeit durch den vermehrten oder verbesserten KI-Einsatz, welche in der Folge empirisch untersucht werden müsste – im Sinne einer umfassenden Technikfolgenabschätzung, die insbesondere die Beschäftigten und die Mitbestimmungsakteure mit in den Blick nimmt. Sie müssen über das Potenzial und die Grenzen der KI-Modelle informiert werden, um einschätzen zu können, zu welchem Zweck sie konkret eingesetzt werden können: Um die eigene Arbeit aufzuwerten, von leidigen Pflichten zu befreien oder auch um weniger oder flexibler zu arbeiten – bei größtmöglicher Kontrolle über das Endergebnis der eigenen Arbeit mit einem KI-Kopiloten.

Gewerkschaften gefordert: Idealbild der menschenzentrierten KI

Gewerkschaften kommt dabei die elementare die Rolle zu, diesen Bildungsprozess aus der Perspektive der Beschäftigten zu institutionalisieren und der KI die notwendigen Grenzen zu setzen, damit aus dem Idealbild der menschenzentrierten KI keine leere Floskel wird. KI kann und wird ein wesentliches Werkzeug für die optimierte Gestaltung des digitalen Bildungsraums sein. Gewerkschaften sollten dieses Tool so nutzen und mitkonzipieren, dass der Ausgangspunkt eines „Matching“ von Bildungsangebot und -nachfrage nicht nur der Fachkräftemangel oder der konkrete Nutzen für den Praxiskontext im Vordergrund stehen. Sie sollten deutlich machen, dass es auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft um mehr als Qualifikationen geht: der Rationalität der KI stehen in zunehmenden Maßen die Soft Skills des Menschen gegenüber.  


Nach oben

Kurzprofil

Christian Kellermann
Christian Kellermann vertritt eine Professur für VWL an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Zudem ist er Senior Researcher am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz und Fellow am Institut für die Geschichte und Zukunft der Arbeit.
» Zum Kurzprofil

Meistgelesene Beiträge

Axel Hon­net­h: Der ar­bei­ten­de Sou­ve­rän
von Rudolf Walther
Arbeitnehmende und Demokratie
Midjourney / DGB
Transparente und fair geregelte Arbeitsteilung ist Voraussetzung für die Teilhabe an der demokratischen Willensbildung. So lautet die These des Sozialphilosophen Axel Honneth in seinem neuen Buch „Der arbeitende Souverän“. Eine Rezension von Rudolf Walther.
weiterlesen …

Yanis Varoufakis
Das Ban­ken­sys­tem ist ir­re­pa­ra­bel be­schä­digt
von Yanis Varoufakis
Skyline des Frankfurter Bankenviertels
DGB/Simone M. Neumann
Die momentane Bankenkrise ist schlimmer als die der Jahre 2007/2008. Damals konnten für den reihenweisen Kollaps der Banken noch Betrug im großen Stil, räuberische Kreditvergabe, Absprachen zwischen Rating-Agenturen und zwielichtige Banker verantwortlich gemacht werden. Der heutige Bankenkollaps um die Silicon Valley Bank hat damit nichts zu tun, erklärt Yanis Varoufakis und stellt seine Vorstellung für eine neue, "wunderbare Alternative" vor.
weiterlesen …

KI-For­scher: Künst­li­che In­tel­li­genz ist kein Zau­ber­trick
von Julia Hoffmann
Mind Domination-Konzept in Form von Frauen Umrisskontur mit Leiterplatte und binärem Datenfluss auf blauem Hintergrund
DGB/ryzhi/123rf.com
In verschiedenen Bereichen der Arbeitswelt sind KI-Anwendungen im Einsatz. Florian Butollo forscht zu den Auswirkungen der Technologie auf Beschäftigte und Arbeitsbedingungen. Im Interview spricht er über das Risiko für verschiedene Berufsbilder, überflüssig zu werden und die Erleichterung sowie mögliche Abwertung von Arbeit.
weiterlesen …

Long Co­vid und die Fol­gen: Vor al­lem Frau­en auf dem Ab­stell­gleis
von Christine Wimbauer, Mona Motakef, Franziska Jahn
Frau
Pexels
Etwa jede 10. mit Corona infizierte Person leidet unter Long Covid - also unter Symptomen, die länger als 4 bzw. 12 Wochen anhalten. Viele klagen über eine umfassende chronische Erschöpfung, die eine Rückkehr in das vormalige Leben unmöglich macht. Frauen im erwerbsfähigen Alter sind doppelt so oft betroffen wie Männer. Es ist höchste Zeit, die Krankheit auf die politische Agenda zu setzen.
weiterlesen …

Die Wirt­schaft­se­li­te und der Auf­stieg der NS­D­AP
von Prof. Dr. Paul Windolf
 Berlin 1934 - Sitz der Reichsgruppe Industrie
gemeinfrei / wikimedia commons / CC BY-SA 3.0
Die NSDAP ist zwischen 1928 und 1932 von einem obskuren politischen Verein zur stärksten Fraktion im Reichstag aufgestiegen – der bisher spektakulärste Aufstieg einer politischen Partei in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus. Doch wer hat diesen Erfolg finanziert?
weiterlesen …

Tarifrunde Öffentlicher Dienst 2023
War­nung vor Lohn-­Preis-Spi­ra­le ist öko­no­mi­scher Un­fug
von Dierk Hirschel
Zwei Miniaturfiguren Bauarbeiter und mehrere Stapel Münzen
DGB/Hyejin Kang/123rf.com
Die Gewerkschaften fordern 10,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 500 Euro, für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. Warum die Forderung berechtigt ist und die Warnung vor einer Lohn-Preis-Spirale ökonomischer Unfug ist, erklärt ver.di-Chefökonom Dierk Hirschel.
weiterlesen …

Oliver Nachtwey und Caroline Amlinger
Staats­kri­tik und die Pa­ra­do­xi­en des Fort­schritts
Studie über Querdenken
von Caroline Amlinger, Oliver Nachtwey
Corona-Testzentrum mit Querdenken-Sprayer
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/
Der Soziologe Oliver Nachtwey und die Literatursoziologin Caroline Amlinger untersuchen in ihrem Buch „Gekränkte Freiheit“ das Milieu der Querdenker und dokumentieren die Drift von vormals gefestigten Demokraten ins Autoritäre. Der Text ist ein Kapitel aus ihrem Werk und fasst die Ergebnisse der Studie zusammen.
weiterlesen …

Tho­mas Pi­ket­ty: Die Ge­schich­te der Gleich­heit
von Peter Kern
Ein Arbeiter im Sägewerk auf einer historischen Aufnahme
Flickr / Biblioteca de Arte / Art Library Fundação Calouste Gulbenkian CC BY-NC-ND 2.0
Nach liberaler Sicht baut das freie Spiel der Kräfte den individuellen Wohlstand auf und die gesellschaftliche Ungleichheit ab. Wie von selbst nehme diese Entwicklung ihren Lauf, vorausgesetzt, der Mechanismus der Konkurrenz funktioniere ungestört. Der französische Wirtschaftshistoriker Thomas Piketty formuliert in seinem Buch Eine kurze Geschichte der Gleichheit die Gegenthese.
weiterlesen …

Grundsteuer
In­fla­tion: Die zwei­te Mie­te
von Thomas Gesterkamp
Skyline Frankfurt am Main
DGB/Felix Pergande/123rf.com
In den kommenden Jahren dürften die Wohnnebenkosten deutlich steigen, wegen hoher Energiepreise und der Neufestsetzung der Grundsteuer. Gravierende sozialpolitische Probleme zeichnen sich ab.
weiterlesen …

Gegenblende Podcast

Karikatur mit einem Mann und einer Frau die an einem Tisch sitzen, auf dem Mikrofone stehen.

DGB/Heiko Sakurai

Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.

Unsere Podcast-Reihen abonnieren und hören.