Deutscher Gewerkschaftsbund

21.11.2019

Befreit die Libra von Facebook!

Eine Kryptowährung wie Libra könnte dem Internationalen Währungsfonds helfen, seinen ursprünglichen Zweck zu erfüllen: globale Handelsungleichgewichte verringern und internationale Kapitalflüsse ausbalancieren. Das wäre eine Chance für ein neues Bretton Woods. Einem privaten Unternehmen wie Facebook jedoch darf man dieses machtvolle Instrument auf keinen Fall überlassen.

 

Von Yanis Varoufakis

Lauter Pappaufsteller mit Mark Zuckerbergs Bild stehen vor dem Capitol Hill in Washington.

Facebooks Chef Mark Zuckerberg steht immer mehr in der Kritik; ein Grund, warum seine Libra-Initiative scheitert. DGB/Joe Flood/Flickr!CC BY-NC-ND 2.0

Die Libra Association zerfällt. Visa, Mastercard, PayPal, Stripe, Mercado Pago und eBay haben das von Facebook angeführte Unternehmensbündnis schon verlassen. Das ist ein schwerer Schlag für die geplante Kryptowährung, die das internationale Geldsystem revolutionieren soll. Weitere Unternehmen dürften folgen. Denn besorgte Regierungen, die entschlossen sind, die Libra zu stoppen, üben Druck auf sie aus.

Das ist gut so. Die Menschheit hätte gelitten, wenn man Facebook gestattet hätte, mittels der Libra das internationale Zahlungssystem zu privatisieren. Doch sollten die Behörden, die die Libra abwürgen, den Blick auf die Zukunft richten und etwas Innovatives, Nützliches und Visionäres mit ihr machen: Sie sollten die Libra (oder ihr Kernkonzept) zur Verringerung der globalen Handelsungleichgewichte und zur Neuausbalancierung der Kapitalflüsse dem Internationalen Währungsfonds übergeben. Tatsächlich könnte eine Libra-artige Kryptowährung dem IWF helfen, seinen ursprünglichen Zweck zu erfüllen.

Mit Libra ließe sich der Rest des internationalen Finanzsystems umgehen

Als Facebook-Chef Mark Zuckerberg die Libra mit großem Tamtam ankündigte, klang die Idee interessant und unverfänglich. Jeder mit einem Mobiltelefon würde unter Einsatz von gängigen Methoden wie Bankkarten und Online-Banking in seiner nationalen Währung Libra-Token erwerben können. Mit diesen Token würde man dann Zahlungen an andere Libra-Nutzer leisten, um Waren oder Dienstleistungen zu erwerben oder Schulden zu tilgen. Um vollständige Transparenz sicherzustellen, würden alle Transaktionen per Blockchain-Technologie abgewickelt. Und völlig anders als bei Bitcoin wären Libra-Token vollständig durch wertbeständige Vermögenswerte unterlegt.

Um die Libra an materielle Vermögenswerte zu knüpfen, versprach die Libra Association, ihre Erlöse, zusammen mit dem von ihren Mitgliedsunternehmen beigesteuerten Grundkapital (von jeweils mindestens zehn Millionen Dollar), zu nutzen, um hochliquide, hoch bewertete Finanzwerte wie US-Schatzanleihen zu kaufen. Angesichts der Führungsrolle von Facebook konnte man sich leicht vorstellen, wie 2,4 Milliarden monatlich aktive Facebook-Nutzer, plötzlich eine neue Währung hätten, die ihnen gestattete, miteinander Geschäfte zu tätigen und dabei den Rest des Finanzsystems zu umgehen.

Vortrag von Per Jacobsson, der an einem Pult links auf einer Bühne steht, die in blaues Licht getaucht ist. Vor ihm sitzen die Zuhörer.

Der Internationale Währungsfonds weiß um die Risiken der aktuelle Wirtschaftslage und könnte von einem Instrument wie der Libra profitieren. DGB/IMF/Flickr/CC BY-NC-ND 2.0

Die erste Reaktion der Behörden war seltsam negativ. Sie betonten vor allem die kriminellen Einsatzmöglichkeiten der Libra. Damit bestärkten sie lediglich den libertären Verdacht, dass Aufsichtsbehörden, Politiker und Notenbanker eine befreiende monetäre Innovation gern ersticken würden, weil sie fürchteten die Kontrolle über das Geld zu verlieren. Dies ist bedauerlich, weil nichts kriminelle Aktivitäten derart erleichtert wie altmodisches Bargeld. Wichtiger ist jedoch noch: die Libra wäre eine systemische Bedrohung für unsere politischen Ökonomien, auch wenn sie nie zur Finanzierung von Terrorismus oder Verbrechen genutzt würde.

Beginnen wir mit den üblen Auswirkungen der Libra auf den Einzelnen: Man erinnere sich, welche Anstrengungen die meisten Länder unternommen haben, um Kaufkraftschwankungen ihrer nationalen Währungen zu begrenzen. Dank dieser Bemühungen kann man mit 100 Euro oder Dollar heute mehr oder weniger dieselben Waren kaufen wie in einem Monat. Doch ließe sich dasselbe nicht für 100 in Libra umgetauschte Euros oder Dollar sagen. Denn da die Libra durch auf mehrere Währungen lautende Wertpapiere unterlegt wäre, würde die Kaufkraft eines Libra-Tokens in einem beliebigen Land jeweils deutlich stärker schwanken als die nationale Währung. Tatsächlich würde die Libra der internen Abrechnungseinheit des IWF ähneln: den sogenannten Sonderziehungsrechten (SZR), die einen gewichteten Durchschnitt der führenden Weltwährungen widerspiegeln.

Die Kaufkraft der Libra würde erheblich schwanken - zulasten der Kunden

Um zu verstehen, was das bedeutet, sollte sich bewusst machen, dass der Wechselkurs von US-Dollar und SZR 2015 um bis zu 20 Prozent schwankte. Hätte ein US-Verbraucher damals 100 Dollar in Libra umgetauscht, hätte er qualvoll mit ansehen müssen, wie sich die Kaufkraft der Token in seinem Heimatland auf und ab bewegte wie ein Jo-Jo. Was die Bewohner von Entwicklungsländern angeht, deren Währungen zur Abwertung neigen, so würde die Erleichterung des Geldumtauschs durch die Libra die Abwertung beschleunigen, die nationale Inflation anheizen und eine Kapitalflucht wahrscheinlicher machen sowie obendrein verschärfen.

Seit der Finanzkrise von 2008 haben sich die Behörden schwer getan, die Inflation, die Beschäftigung und die Investitionstätigkeit mit den geld- und fiskalpolitischen Hebeln zu steuern. Die Libra würde die Fähigkeit aller Staaten zur Glättung des Konjunkturzyklus weiter verringern. Die Wirksamkeit der Fiskalpolitik würde schwinden, weil die Steuereinnahmen zurückgingen, wenn jede Zahlung innerhalb eines bei Facebook angesiedelten globalen Zahlungssystems landete.

Schwarzweißbild von einer Konferenz. Die Teilnehmer sitzen an einem Tisch in U-Form. Hinter der Kopfseite stehen Flaggen in Rein und Glied.

Auf der Konferenz von Bretton Woods 1944 beschlossen die 44 Nationen: Die Wechselkurse zwischen den Währungen sollen stabilisiert werden, damit der weltweit problemlos und ohne Handelsbarrieren gehandelt werden kann. Zudem sollte es keine Schwierigkeiten bei Zahlungsvorgängen geben. Für so etwas könnte dem IWF heute auch die Libra dienen DGB/Archiv

Eine noch größere Erschütterung würde die Geldpolitik erwarten. Unsere Notenbanken steuern Menge und Fluss des Geldes, indem sie dem von privaten Banken gehaltenen Bestand Papierwerte entnehmen oder hinzufügen. Wenn sie die Wirtschaftsaktivität ankurbeln wollen, kaufen die Notenbanken den privaten Banken gewerbliche Kredite, Hypothekendarlehen, Einlagen und andere Vermögenswerte ab. Die Banken verfügen dann über mehr Liquidität zur Kreditvergabe. Wenn die Behörden die Konjunktur abkühlen wollen, machen sie es umgekehrt. Doch je erfolgreicher die Libra würde, desto mehr Geld würden die Leute von ihrem Bankkonto in ihr Libra-Konto überweisen und desto weniger wären die Notenbanken imstande, die Wirtschaft zu stabilisieren. Anders ausgedrückt: Je mehr die Flucht in die Libra zunähme, desto stärker würden Einzelne und Staaten von Volatilität und Krisen heimgesucht werden.

Einziger Nutznießer wäre die Libra Association, die ein enormes Zinseinkommen aus den globalen Wertpapieren ziehen würden. Denn sie häufte die weltweiten Ersparnisse an, die ihr mittels ihrer Zahlungsplattform zuflössen. Die Libra Association würde dann sehr bald der Versuchung nachgeben, Privatpersonen und Unternehmen Kredite einzuräumen. So dürfte sie sich von einem Zahlungssystem zu einer gigantischen globalen Bank entwickeln, die keine Regierung je retten, regulieren oder auflösen könnte. Daher ist es gut, dass die Libra zerbricht – und mit ihr Zuckerbergs Traum von einem privaten globalen Zahlungsmonopol. Aber wir sollten die Idee nicht ganz verbannen. Der Trick besteht darin, ihre Umsetzung dem IWF anzuvertrauen, und zwar im Namen seiner Mitgliedsstaaten und mit der Absicht, das internationale Währungssystem auf eine Weise neu zu erfinden, die John Maynard Keynes’ Vorschlag wiederspiegelt, der auf der Konferenz von Bretton Woods 1944 abgelehnt worden war.

Ein Libra-artiges Konstrukt könnte unter Kontrolle des IWF sinnvoll sein

Um dieses neue Bretton Woods herbeizuführen würde der IWF ein auf Blockchain beruhendes Libra-artiges Token – nennen wir es den Kosmos – herausgeben, dessen Wechselkurs gegenüber den nationalen Währungen freigegeben würde. Die Menschen würden weiterhin ihre nationalen Währungen nutzen, doch alle grenzüberschreitenden Handels- und Kapitalflüsse würden auf Kosmos lauten und über das beim IWF geführte Konto ihrer Notenbank laufen. Auf Handelsdefizite und -überschüsse würde eine Abgabe für Handelsungleichgewichte anfallen, während private Finanzinstitute eine zum Anstieg der Kapitalabflüsse proportionale Gebühr zahlen würden. Diese Strafzahlungen würden einem auf Kosmos lautenden IWF-Konto zufließen, das als globaler Sovereign Wealth Fund geführt würde. Auf diese Weise könnten plötzlich alle internationalen Transaktionen reibungslos und absolut transparent ablaufen. Gleichzeitig ließen sich mit kleinen, aber signifikanten Strafzahlungen Handels- und Kapitalungleichgewichte im Zaum halten und grüne Investitionen sowie eine gerechtere Verteilung des Wohlstandes zwischen Nord und Süd finanzieren.

Brillante Ideen, die in den Händen räuberischer Privatiers katastrophale Folgen hätten, sollten in den Dienst der Öffentlichkeit gestellt werden. Auf diese Weise können wir von ihrer Genialität profitieren, ohne ihrem Design zum Opfer zu fallen.

 


Aus dem Englischen von Jan Doolan / © Project Syndicate, 2019


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Kurzprofil

Yanis Varoufakis
lehrt an der Universität in Athen Wirtschafts- wissenschaften. Er war 2015 Finanzminister in Griechenland. Heute ist er aktiver Blogger und Autor mehrerer Sachbücher. Zuletzt erschien von ihm auf Deutsch "Die ganze Geschichte. Meine Auseinandersetzung mit Europas Establishment" (Kunstmann Verlag, 2017).
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Karikatur mit einem Mann und einer Frau die an einem Tisch sitzen, auf dem Mikrofone stehen.

DGB/Heiko Sakurai

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