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Lange Zeit galten Genossenschaften als kompliziert, teuer und etwas verstaubt. Noch heute ist es eher selten, dass in Ratgebern zur Unternehmensgründung diese Rechtsform überhaupt vorkommt. Aber in den aktuellen Diskussionen um enkeltaugliches und globalverantwortliches Wirtschaften, um Postwachstum und Klimaschutz, haben Genossenschaften mittlerweile wieder einen festen Platz. Mitunter wird aber recht Unterschiedliches darunter verstanden.
Während die einen sich mit der Rechtsform (eG) und ihren besonderen Anforderungen befassen, betonen andere den Genossenschaftsgedanken, der sich in verschiedenen Rechtsformen (z.B. GmbH, e.V., GbR) umsetzen kann. Zum Beispiel das Mietshäuser Syndikat[1], das im Internationalen Jahr der Genossenschaften[2] 2012 den Klaus-Novy-Preis für Innovationen beim genossenschaftlichen Bauen und Wohnen[3] bekam. Beim Syndikat handelt es sich um einen wachsenden bundesweiten Zusammenschluss von derzeit etwa 80 Hausprojekten, die als Konstruktion aus GmbHs und Vereinen organisiert sind. Der Verbund soll sicherstellen, dass die Häuser nie wieder privatisiert werden können. Wohnraum soll keine Ware sein, aus der Investoren größtmögliche Rendite erzielen, sondern ein gutes und sicheres Zuhause. Das ist der klassische genossenschaftliche Fördergedanke, wie er auch von etlichen Wohnungsbaugenossenschaften gelebt wird: Die Wirtschaft soll den Mitgliedern dienen und nicht der Profiterzielung.
Genossenschaften sind Selbsthilfeunternehmen, „deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern“[4], so legt es das Genossenschaftsgesetz fest. Die sozialen und kulturellen Belange wurden mit der Genossenschaftsrechtsänderung im Jahr 2006 neu eingefügt, womit die Betätigungsmöglichkeiten von Genossenschaften deutlich erweitert wurden. Jedoch geht es nach wie vor um die Mitglieder, in deren Ermessen es liegt, ob und auf welche Art sie ihre sozialen oder kulturellen Belange umsetzen möchten.
Genossenschaftliche Selbstorganisation ist nicht voraussetzungslos. Um sich zu beteiligen, ist ein gewisses Maß an Selbstvertrauen, sozialen und kommunikativen Fähigkeiten erforderlich. Darüber hinaus müssen sich Genossenschaftsmitglieder auch mit einer finanziellen Einlage am gemeinsamen Unternehmen beteiligen. Aktuell boomen Energiegenossenschaften zur Produktion regenerativer Energien.[5] Die Mitglieder übernehmen damit in einem zukunftsweisenden Bereich gesellschaftliche Verantwortung und leisten einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende.
Problematisch wird es jedoch, wenn Genossenschaften in Konkurrenz zu öffentlichen Unternehmen treten. So hat zum Beispiel die EnergieNetz Hamburg eG[6] zum gewonnenen Volksentscheid für eine hundertprozentige Rekommunalisierung der Stromnetze der Stadt Hamburg im Oktober 2013 angeboten, sich mit 50 Millionen Euro am Netz zu beteiligen. Mittlerweile bewirbt sich die Genossenschaft, gemeinsam mit dem niederländischen Unternehmen Alliander AG, um die Konzession für die Hamburger Stromnetze – in Konkurrenz zur Stadt. In Berlin möchte die BürgerEnergie Berlin eG ebenfalls die Stromnetze übernehmen: „Wir treiben die Demokratisierung unserer Energielandschaft voran, damit Bürgerinnen und Bürger über Strom und Netze mitbestimmen können.“[7] Aber BürgerInnen sind alle, nicht nur die Genossenschaftsmitglieder.
Der Berliner Energietisch[8], ein Bündnis von mehr als 50 lokalen Initiativen und Organisationen, hat eine Reihe von Vorschlägen ausgearbeitet, wie ein öffentliches Unternehmen so ausgestaltet werden sollte, dass alle BürgerInnen im Einzugsbereich die Möglichkeit haben, sich an seiner demokratischen Steuerung und Kontrolle zu beteiligen. Außerdem ist der Netzbetrieb reguliert und gilt als gewinnträchtig – warum sollten die Überschüsse als Dividende an die Mitglieder einer Genossenschaft ausgezahlt werden, statt über den öffentlichen Haushalt allen BürgerInnen zugute zu kommen?
Mit dem gesetzlich verankerten Prinzip „ein Mitglied – eine Stimme“ gelten Genossenschaften als die demokratischste Unternehmensform. Das Stimmrecht bemisst sich nicht – wie bei Kapitalgesellschaften üblich – nach der Höhe der finanziellen Einlage. In der Generalversammlung, die grundsätzliche Entscheidungen trifft, haben alle Mitglieder gleiche Rechte. In Genossenschaften mit mehr als 1.500 Mitgliedern kann jedoch statt der Generalversammlung aller Mitglieder eine Vertreterversammlung durchgeführt werden. Die Mitentscheidungsrechte der Mitglieder beschränken sich dann darauf, die VertreterInnen zu wählen. In vielen Genossenschaften wird der Vorstand nicht von den Mitgliedern oder ihren VertreterInnen gewählt, sondern vom Aufsichtsrat bestellt. Jede Genossenschaft entscheidet selbst, wie sie ihre demokratischen Spielregeln gestalten möchte. Über die Jahre und Jahrzehnte ist in vielen Genossenschaften die Kluft zwischen denen, die das Sagen haben – den Vorständen und Aufsichtsräten – und den meist passiven Mitgliedern, immer tiefer geworden. Vorschläge des Vorstands werden auf Versammlungen oft einfach abgenickt, kritische Nachfragen von Mitgliedern als störend empfunden und abgewehrt. Eine lebendige Kultur der Kooperation findet sich leider viel zu selten.
Der Vorsitzende des Bundesverein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens[9], Jan Kuhnert, sagte dazu auf dem Eröffnungspodium des Forum Solidarische Ökonomie am 2. März 2012 in Kassel: „Es gibt keine genossenschaftliche Demokratie. Wir haben eine repräsentative Demokratie in der Genossenschaft. ... Da haben die Genossenschaftsvorstände Angst vor ihren Mitgliedern. Weil die Demokratie fehlt, haben sie in der Selbstlegitimation ein Problem.“[10] Er führte weiter aus, dass Genossenschaften mehr Transparenz und eine Stärkung der Mitgliederrechte bräuchten. Ein Problem ist der Paragraf 27 des Genossenschaftsgesetzes, der besagt: „Der Vorstand hat die Genossenschaft unter eigener Verantwortung zu leiten.“ Es bedarf gut ausformulierter Satzungsregeln, um bei dieser rechtlichen Lage den Mitgliedern trotzdem möglichst weitreichende Informations- und Entscheidungsmöglichkeiten einzuräumen.
Die aus Mitgliedern von Berliner Wohnungsbaugenossenschaften bestehende Initiative „Genossenschaft von unten“[11] setzt sich seit 2008 für stärkere Mitgliederrechte und günstigen Wohnraum in Genossenschaften ein. So kritisiert sie zum Beispiel, dass Erhöhungen des Nutzungsentgelts oft mit dem Mietspiegel begründet würden, obwohl Genossenschaften nach dem Kostendeckungsprinzip arbeiten sollten, statt von ihren Mitgliedern höchstmögliche Preise zu verlangen um die Gewinne zu maximieren.
Ein weiteres Problem des Genossenschaftswesens ist die Prüfungspflicht. Um als Genossenschaft ins Handelsregister eingetragen zu werden, muss eine genossenschaftliche Gründungsprüfung absolviert werden. Auch im laufenden Betrieb sind Prüfungen vorgeschrieben, normalerweise jährlich, für kleinere Genossenschaften alle zwei Jahre. Für diese Prüfungen, die durch autorisierte Prüfungsverbände durchgeführt werden, fallen erhebliche Kosten an. So musste zum Beispiel Ende April 2011 der genossenschaftliche Dorfladen im Baden-Württembergischen Hechingen-Bechtoldsweiler nach fast 16 Jahren schließen. Der ehrenamtlich geleitete Betrieb mit nur zwei Teilzeitkräften ging an den Prüfungskosten zugrunde. Für die Prüfung der Geschäftsjahre 2007 und 2008 wurden 5.817 Euro in Rechnung gestellt.[12] Sowohl die Höhe der Prüfungskosten, als auch die – in vielen Fällen durchaus hilfreichen – Beratungs- und Unterstützungsleistungen fallen innerhalb der Verbandslandschaft sehr unterschiedlich aus.
Die Prüfungspflicht ist eine Besonderheit im deutschen Genossenschaftsrecht. In den letzten Jahren gab es Bestrebungen, zumindest kleine Genossenschaften von der Prüfungspflicht auszunehmen. Analog zur „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ als kleiner Schwester der GmbH sollte eine kleine Genossenschaft als „Kooperationsgesellschaft“ eingeführt werden. Das Bundesjustizministerium hatte 2013 bereits einen Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Einführung der Kooperationsgesellschaft und zum weiteren Bürokratieabbau bei Genossenschaften“ verfasst.[13] Es kam jedoch nicht zur Abstimmung in den Bundestag, die Lobby der Prüfungsverbände hat sich anscheinend durchsetzen können.
Genossenschaftliches Wirtschaften wird meines Erachtens noch viel zu wenig wertgeschätzt. Nicht nur in der wirtschaftlichen Realität, sondern auch in den Köpfen vieler Menschen dominieren die fast religiös anmutenden Dogmen von Gewinnmaximierung, Wachstum und Wettbewerb. Aber welche Legitimation kann eine Wirtschaftsform langfristig besitzen, wenn sie systematisch die natürlichen Ressourcen verschwendet, die menschliche Arbeitskraft immer raffinierter ausbeutet und alles der zerstörerischen Profitlogik unterwirft?
Eine Wirtschaftsform, die im Sinne des Genossenschaftsgedankens der Erfüllung menschlicher Bedürfnisse dient, hätte das Potential, die niveaulose Logik der herrschenden Wirtschaftsform zu delegitimieren und zu einem theoretisch und praktisch fundierten Paradigmenwechsel beizutragen. Dafür reicht es jedoch nicht aus, immer wieder auf genossenschaftliche Alternativen hinzuweisen und deren Vorzüge zu preisen, vielmehr ist es ebenso notwendig, sich kritisch-solidarisch mit Widersprüchen, Ambivalenzen und Problemen des Genossenschaftswesens offen auseinanderzusetzen.
Derzeit gibt es etwa 8.700 Genossenschaften in Deutschland[14]: Genossenschaftsbanken, Wohnungsbaugenossenschaften, Energiegenossenschaften, Bezugs- und Absatzgenossenschaften in der Landwirtschaft und dem Handwerk, u.v.a. . Ausgesprochen selten sind in Deutschland Produktivgenossenschaften zu finden, in denen die Arbeitenden gleichzeitig Mitglieder und damit MiteigentümerInnen ihres Unternehmens sind. Vielleicht trägt ja die vom Internationalen Genossenschaftsbund[15] ausgerufene „Dekade der Genossenschaften“ auch in Deutschland zur weiteren Entwicklung und zur Diskussion des Genossenschaftswesens bei.[16]
[7]http://www.buerger-energie-berlin.de/das-ziel Stand 10.03.2014
[14]https://www.handelsregister.de Abfrage 06.03.2014
DGB/Heiko Sakurai
Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.