Deutscher Gewerkschaftsbund

04.08.2022
Grundsteuer

Inflation: Die zweite Miete

In den kommenden Jahren dürften die Wohnnebenkosten deutlich steigen, wegen hoher Energiepreise und der Neufestsetzung der Grundsteuer. Gravierende sozialpolitische Probleme zeichnen sich ab.

 

Skyline Frankfurt am Main

DGB/Felix Pergande/123rf.com

Im Juni 2022 bekamen sämtliche Menschen, die Hauseigentum besitzen in Deutschland Post vom Finanzamt. Sie wurden aufgefordert, bis zum 31. Oktober eine gesonderte Steuererklärung für ihre Immobilie abzugeben. Hintergrund ist die 2019 von der damals regierenden Großen Koalition aus CDU und SPD verabschiedete Reform der Grundsteuer. Künftig soll sich die Abgabe am aktuellen Verkehrswert eines Grundstücks orientieren - und nicht mehr an den längst überholten “Einheitswerten”, die in Westdeutschland noch aus dem Jahr 1964 stammen, im Osten gar seit 1935 unverändert geblieben sind.

Das Bundesverfassungsgericht hatte die bisherige Berechnungsmethode für verfassungswidrig erklärt. Auf den ersten Blick wirkt die Gesetzesänderung, mit der die Vorgabe der obersten Justizbehörde in letzter Minute umgesetzt wurde, wie eine sinnvolle Maßnahme. Schließlich gehört, wer Grund und Boden besitzt, in der Regel nicht zu den ärmeren Schichten der Bevölkerung. Nach Finanzkrise und Euroturbulenzen gingen die Immobilienpreise durch die Decke, die Hausbesitzenden verbuchten rasante Wertsteigerungen. Diese Gewinne staatlich stärker abzuschöpfen, ist grundsätzlich richtig. Doch die Neufestsetzung enthält einen gravierenden Makel. Denn der frühere Finanzminister und heutige Bundeskanzler Olaf Scholz änderte nichts daran, dass Vermieter*innen die Grundsteuer weiterhin zu hundert Prozent auf die Mieter*innen abwälzen können. Dieses Versäumnis entfaltet nun gesellschaftlichen Sprengstoff.

Neben der Größe eines Grundstücks orientiert sich die Bewertung der Finanzämter demnächst vor allem am sogenannten Bodenrichtwert. Dieser zeigt an, wie attraktiv der Standort einer Immobilie ist: In bürgerlich geprägten Wohngebieten und zentral gelegenen Vierteln liegt er besonders hoch, an der urbanen Peripherie und im ländlichen Raum meist erheblich niedriger. Während Villenbesitzer die demnächst deutlich erhöhte Abgabe leicht schultern dürften, müssen innerstädtische Mieter*innen mit zusätzlichen finanziellen Belastungen rechnen. Und das zu einer Zeit, in der die Nebenkosten des Wohnens angesichts der Energiekrise ohnehin aus dem Ruder laufen.

Die Grafik zeigt die Entwicklung von Nebenkosten, Nettokaltmiete und Haushaltsenergie: Energiepreise steigen seit Ende 2021 drastisch an.

Steigende Energiepreise betreffen alle: besonders geringverdienende Mieter*innen wie Familien mit mehreren Kindern könnten deswegen sogar umziehen müssen. Statistisches Bundesamt

In Hamburg, Frankfurt oder München verschlingen neu bezogene Zwei- oder Dreizimmerwohnungen schnell die Hälfte eines Monatsgehaltes auch von Menschen, die eine gut bezahlte Stelle haben. Wenn zu einer Kaltmiete im vierstelligen Bereich noch mehrere hundert Euro für Gas, Strom, Grundsteuer, Müllentsorgung und Straßenreinigung hinzukommen, werden schnell die Belastungsgrenzen erreicht. Nicht nur gering Verdienende, auch Familien mit mehreren Kindern und großem Platzbedarf müssen dann umziehen - in weniger beliebte Wohnlagen in den Trabantenstädten, oder gleich in strukturschwache Regionen mit moderateren Preisen.

Steigende Mieten: gefährlich für die Demokratie

Anders als an den Zapfsäulen der Tankstellen, wo die inflationären Sprünge täglich gut sichtbar sind, gibt es beim Wohnen einen psychologischer Verzögerungseffekt. Denn abgerechnet wird meist später. Die Nebenkostenaufstellung, die als unliebsame Überraschung eine enorme Steigerung bei der “zweiten Miete” dokumentiert, erhalten viele Betroffene erst im folgenden Jahr. Die Energieversorger erheben zwar monatliche Abschläge, die schockierend hohe Nachzahlungsforderung wegen der “Gaskrise” aber wird erst nach dem winterlichen Heizen im nächsten Frühling fällig. Die Finanzbehörden fangen zwar schon jetzt an, die Grundsteuer neu zu bemessen; nach den veränderten Sätzen abgerechnet wird jedoch erst ab 2025.

Button aus der Aktionswoche des DGB für bezahlbaren Wohnraum

DGB/Kathrin Biegner

"Bezahlbar ist die halbe Miete": Steigende Kosten fürs Wohnen sind sozialer Zündstoff. Der DGB hat schon 2019 mit einer Aktionswoche auf das Thema aufmerksam geamacht.

 

Drastische Erhöhungen bei den Kosten für Grundbedürfnisse sind stets gefährlich für die Politik, zumindest in einer Demokratie, die auf die Loyalität der Regierten angewiesen ist. Die Historie ist voll von Brotaufständen, erzählt von Revolten gegen Getreidemangel oder militanten Protesten wegen hoher Benzinpreise. Das Problem steigender Mieten schlummert im Vergleich dazu eher im Verborgenen - schon deshalb, weil nicht alle, auch nicht alle Einkommensschwachen, in gleichem Maße davon betroffen sind. Wer zum Beispiel relativ günstig in der Provinz lebt und zufällig nicht mit Gas, sondern vorrangig mit einem alten Kaminofen heizt, spürt die sozialen Verwerfungen weniger als andere.

Vor allem in den großen Städten steigen die Wohnkosten seit mehr als einem Jahrzehnt drastisch. Viele Menschen können sich nicht mehr leisten, dort zu leben, wo sie arbeiten. Polizist*innen, Pflegekräfte, Lagerarbeiter*innen oder Erzieher*innen haben wenig Chancen, in der näheren Umgebung eine passende Wohnung zu finden. Wer zu wenig verdient, muss auf günstigere Orte ausweichen - oder pendelt, um das Budget in Grenzen zu halten. Doch auch im Umland der Metropolen steigen inzwischen die Preise. Als Folge werden die Anfahrtswege länger, sie sind zudem zeitraubend und anstrengend. Fast jeden Tag ein Stau auf der Autobahn, und auch wer mit der Bahn reist, muss Verspätungen einkalkulieren.

Die Bundesregierung steht unter Druck. Das Wohngeld ist zu niedrig, das (auch noch zu versteuernde) Energiegeld von einmalig 300 Euro wirkt angesichts der Preiserhöhungen bei Strom und Gas wie ein schlechter Witz. Und auch bei der Grundsteuer muss dringend nachgebessert werden. Schon während der Reformdebatte in 2019 forderte der DGB gemeinsam mit dem Deutschen Mieterbund, dass Hausbesitzer die Abgabe nicht mehr als Teil der Betriebskosten auf die Bewohner*innen abwälzen können.

Immobilienspekulation: "Betongold" ist lukrativ

Angesichts relativ niedriger Zinsen und schwankender Aktienkurse sind Immobilien, das sprichwörtliche “Betongold”, sehr lukrativ für Vermögende. Neben privatisierten Wohnungsbaukonzernen tummeln sich auf dem Markt auch spekulative Fonds und ausländische Investoren. Wer Millionen Euro in ein Mietobjekt investieren kann, um daraus Profit zu schlagen, dem tut eine gerechtere Besteuerung nicht weh. Die Wohnungswirtschaft läuft dennoch regelmäßig Sturm gegen alle Vorschläge, die Hausbesitzer*innen belasten. Monoton warnen einflussreiche Lobbyisten vor “mehr Bürokratie” oder unken, die Eigentümer*innen würden dann einfach die Kaltmiete noch weiter erhöhen.

Es dient dem sozialen Ausgleich, diejenigen zur Kasse zu bitten, die den immer wertvolleren Grund und Boden besitzen. Ein Umlageverbot auf die Miete würde erleichtern, dass sich mehr Durchschnittsverdiener ein Leben in der Nähe ihrer Arbeitsstelle noch leisten können. Das wäre ein wichtiger Schritt im Verteilungskampf um eines der wichtigsten sozialpolitischen Themen der nächsten Jahre: dem Recht auf preiswertes Wohnen. Doch Konservative und Wirtschaftsliberale wollen von solchen Ideen nichts wissen. In der Vorgängerregierung hat Olaf Scholz sich dem Koalitionspartner CDU gebeugt. In der Ampel sollte der SPD-Kanzler mehr sozialpolitisches Profil zeigen - auch gegen den Widerstand seines freidemokratischen Nachfolgers Christian Lindner im Finanzressort.


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Kurzprofil

Thomas Gesterkamp
Thomas Gesterkamp schreibt seit über 30 Jahren als Journalist über die Arbeitswelt und Familienpolitik.
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