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Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat ein Verfahren gegen Belarus eingeleitet. Seit Jahren verfolgt das Regime Gewerkschafter*innen und verhindert grundlegende Arbeits- und Menschenrechte. Frank Hoffer beschreibt, um was es geht.
pexels / Artem Podrez
Das Regime von Aleksander Lukaschenko hat sich auch in der Internationalen Arbeitsorganisation, die normalerweise selbst in schwierigsten Situationen eine Politik des Konsenses, Dialogs und der kleinen Schritte verfolgt, ins politische Abseits manövriert. Aus Genf kommt eine klare Botschaft. Wegen der fortgesetzten Missachtung von Arbeitnehmerrechten und der Verhaftung zahlloser Gewerkschafter*innen hat die ILO am 12. Juni ein Verfahren nach Artikel 33 der ILO-Verfassung gegen Belarus eingeleitet.
Zum ersten Mal in der über hundert-jährigen Geschichte der ILO haben die Delegiert*innen der internationalen Arbeitskonferenz, Vertreter*innen von Regierungen, Arbeitgebern und Gewerkschaften, wegen der Verletzung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit ein solches Verfahren eingeleitet. Bis jetzt ist dieses Verfahren erst einmal zur Anwendung gekommen. Im Jahr 2000 wurde es wegen staatlicher Zwangsarbeit gegen Myanmar angewendet.
Mit der Entscheidung nach Art 33 haben die ILO-Mitgliedsstaaten beschlossen, die ihnen möglichen und geeigneten Schritte zu unternehmen, damit Belarus die Empfehlungen der ILO-Untersuchungskommission zur Einhaltung der Vereinigungsfreiheit (Konvention 87) und dem Recht auf Tarifverhandlungen (Konvention 98) umsetzt. Dabei kann es sich um Sanktionen handeln, aber auch um die Unterstützung der vom Regime Verfolgten und deren Kampf für die Einhaltung internationaler Grundrechte.
Die Resolution wurde mit 301 zu 54 angenommen. Die Weltgemeinschaft sendet ein starkes Signal gegen die Verletzung fundamentaler internationaler Arbeitsstandards. Die internationale Staatengemeinschaft hat die Geduld mit den Lügen und Halbwahrheiten des Regimes verloren. Seit über zwanzig Jahren verstößt Machthaber Lukaschenko in Belarus gegen die ILO-Konventionen 87 und 98 und ignoriert die Empfehlungen und Forderungen der ILO. Seit dem Bericht der ILO-Untersuchungskommission im Jahre 2003 hat es trotz wiederholter Aufforderungen der ILO praktisch keine Verbesserungen geben.
Im Gegenteil, als Reaktion auf die Massenprotesten gegen die gefälschte Wahl 2020 und den russischen Krieg gegen die Ukraine haben die Unterdrückungsmaßnahmen dramatisch zugenommen. Mehr als 40 Gewerkschafter*innen sind zu bis zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Sie werden des Extremismus und sogar des Terrorismus beschuldigt; haltlose Anschuldigungen, die keine Grundlage in der Realität haben. Andere konnten sich der Verhaftung nur durch Flucht entziehen. Alle unabhängigen Gewerkschaften sind verboten.
Die Entscheidung der ILO ist eine Verurteilung Lukaschenkos und gleichzeitig Ausdruck internationaler Solidarität mit den Gewerkschafter*innen, die wegen ihrer Überzeugungen und ihres öffentlichen Protests im Gefängnis sitzen. Für die Gefangenen ist dies eine wichtige moralische Unterstützung. Von der Welt nicht vergessen zu werden, hilft ihnen, die mentale Kraft aufzubringen nicht unter den Haftbedingungen zu zerbrechen.
Nicht überraschend hat eine Minderheit von Regierungen wie Russland, China, Iran, Syrien und Zimbabwe, die bei ebenfalls unabhängige Gewerkschafter*innen einsperren, in der ILO für Lukaschenko und damit gegen das Recht auf Vereinigungsfreiheit gestimmt. Die Zahl der Unterstützer des Regimes auf internationaler Bühne ist allerdings überschaubar.
Seit den gefälschten Wahlen von 2020 ist Belarus in immer stärkere Abhängigkeit von Russland geraten. Es hat die russischen Angriffe auf die Ukraine von belarussischen Territorium gebilligt und mit der Stationierung russischer Atomwaffen ein weiteres Stück nationaler Souveränität verloren. Wirtschaftlich besteht inzwischen eine nahezu totale Abhängigkeit von Russland. Will Belarus seine nationale Unabhängigkeit erhalten bzw. wiedererlangen müsste es, statt die Unterstützung anderer Diktatoren zu suchen, versuchen, eine gewisse Distanz zu Russland zu schaffen und Gesprächsfäden mit der internationalen Gemeinschaft wieder aufzunehmen.
Der Aufforderung der ILO nachzukommen, Arbeitnehmerrechte zu respektieren und inhaftierte Gewerkschafter*innen freizulassen wäre hierfür eine Möglichkeit. Allerdings zeigt die Regierung in Minsk bisher keinerlei Anzeichen, dem nachzukommen.
Solange Belarus sich allerdings nicht bewegt, müssen diejenigen, die für ein Verfahren nach Artikel 33 gestimmt haben, dem Genfer Beschluss in ihren Länder jetzt Taten folgen lassen. Internationale Resolutionen bleiben leere Worte, wenn ihnen nicht konkrete Maßnahmen auf nationaler Ebene folgen. Von vielen Staaten sind bereits Wirtschaftssanktionen gegen Belarus verhängt worden, die bisher allerdings eher die Abhängigkeit von Russland verstärkt haben, als das sie zu einem Einlenken des Regimes geführt hätten. Eine Fortsetzung und weitere Verschärfung von Wirtschaftssanktionen würde den Druck verstärken, birgt aber auch die Gefahr, im Ergebnis kontraproduktiv zu sein.
Im Rahmen des ILO-Prozesses wird es neben Wirtschaftssanktionen darum gehen, ein Bündel von Maßnahmen zu schnüren, die den diplomatischen internationalen Druck auf Belarus erhöhen. Etwa müssen die aktiven Helfershelfer des Regimes in Visier genommen werden. Zudem gilt es den inhaftierten Gewerkschafter*innen zu helfen und alle jene Kräfte zu ermutigen und zu unterstützen, die sich nicht mit dem Regime Lukaschenko abfinden.
Welche Schritte hier wirksam und möglich sind, sollten Regierungen, Arbeitgeber und Gewerkschaften in Konsultation mit den belarussischen Exil-Gewerkschaften schnellstmöglich besprechen.
Verschiedene Maßnahmen sind dabei vorstellbar, wie beispielsweise
Angesichts der vielen weltweiten Krisen, besteht allerdings die Gefahr, dass Belarus schnell aus dem öffentlichen Fokus gerät und vergessen wird. Es wird von der internationalen Gewerkschaftsbewegung abhängen, hier wirksam und dauerhaft die erforderlich politische Öffentlichkeit herzustellen, damit die Regierungen umsetzen, wofür sie in Genf die Hand gehoben haben.
DGB/Heiko Sakurai
Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.