Union Busting hat auch in Deutschland eine lange Tradition. Kanzleien spezialisieren sich darauf, Betriebsräte zu bekämpfen und Unternehmen profitieren davon. Hohe Strafen müssen sie nicht befürchten.
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"Wie verroht muss man eigentlich sein, um das zu seinem Geschäftsmodell zu machen? 🤮", schrieb mir neulich ein Freund in einer SMS. Nachdem seine Frau mit anderen einen Betriebsrat gegründet hatte, engagierte das Unternehmen eine für Union Busting-Methoden berüchtigte Kanzlei, die auf rigorose Betriebsratsbekämpfung spezialisiert ist. Der frisch gewählten Interessenvertretung wird seitdem der toxische Cocktail aus Gerichtsverfahren, Anschuldigungen, Mobbing und Meinungsmache verabreicht, den der Union Busting-Dienstleister passgenau anrührt.
Als Kollateralschäden hinterlässt die Spezialbehandlung nicht selten eine gespaltene und polarisierte Belegschaft, ein vergiftetes Arbeitsklima, sinkende Produktivität, oft auch erschütternde Krankheitsgeschichten. Mit diesen Machenschaften kommen die Union Buster oft straffrei oder mit Geldstrafen davon – obwohl das Betriebsverfassungsgesetz dafür sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr vorsieht.
Für die Kanzleien ist das ein lukratives Feld: Branchenüblich sind Stundensätze von mindestens 300 Euro, Top-Anwält*innen kommen auf 800 Euro pro Stunde. Die auf Betriebsratsbekämpfung spezialisierte Kanzlei Schreiner + Partner bietet für Arbeitgeber*innen praktische Workshops an mit Titeln wie: „Die häufigsten Betriebsratssünden“ oder „Effektive Strategien im Umgang mit schwierigen Betriebsräten“.
Manche Geschäftsführungen nehmen die Folgen dieses Kampfes gegen betriebliche Mitbestimmung in Kauf. Ihnen geht es um die Machtfrage. Muss sich die Geschäftsführung von einfachen Beschäftigten tatsächlich in die Karten schauen lassen? Dürfen diese „kleinen Lichter“ in wichtigen Fragen wie Datenschutz, Kündigungen und Überstunden tatsächlich mitbestimmen? Als Verein Aktion gegen Arbeitsunrecht heften wir uns seit 2014 an die Fersen der Betriebsratsfresser. Bei unserer Arbeit haben wir viele Fälle von Union Busting in Deutschland dokumentiert und das System dahinter aufgedeckt. Die moralische Frage "Wie verroht muss man sein?" ist hier fehlleitend. Den betriebsratsfeindlichen Kanzleien geht es um sehr viel Geld. Und um knallharte Konkurrenz. Brecht hatte Recht: Erst kommt das Fressen und dann die Moral.
Warum ist das Prädikat "betriebsratsfrei" so wertvoll? Es besagt: Hier kann das Management flexibel schalten und walten. Filetieren, auslagern, entlassen und weiter verkaufen. Ohne Betriebsrat gibt es keine Sozialpläne, keine Mitbestimmung, keine Transparenz. Auch keine Instanz, die Arbeitsrechte und Arbeitsschutz, die Einhaltung von Tarifverträgen im Betrieb zuverlässig überwacht, ohne Angst haben zu müssen gefeuert zu werden. Denn Betriebsräte können nicht gekündigt werden – zumindest theoretisch. Hier kommen Union Busting-Kanzleien ins Spiel. Für sie gibt es viel zu gewinnen, besonders wenn sie rücksichtlos agieren. Bei Fusionen & Aufkäufen (Mergers & Acquisitions), dem mithin lukrativsten Geschäftsfeld für Wirtschaftskanzleien und Unternehmensberater, geht es immer auch um Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Und eine Firma ohne dieses "silly german feature" (alberne deutsche Besonderheit) namens Betriebsrat steigt für die internationale Investorenszene erheblich im Wert.
Der ehemalige Chef des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) Michael Rogowski brachte dies einmal vor Gästen der amerikanischen Handelskammer auf den Punkt: "Ich wünsche mir manchmal ein großes Lagerfeuer, um das Betriebsverfassungsgesetz und die Tarifverträge hineinzuwerfen. Danach könnte man einfach wieder von vorn anfangen“.
Diese unternehmerische Allmachtsphantasie erntete viel Kritik und war bei genauer Betrachtung rechtsnihilistisch und sogar verfassungsfeindlich. Immerhin garantiert Artikel 9 des Grundgesetzes die Koalitionsfreiheit, Streiks und Tarifverträge. Mit dem Betriebsverfassungsgesetz und der Arbeitsgerichtsbarkeit existiert ein ganzer Apparat, der seit 1918 zu den Grundbeständen der demokratischen Republik gehört.
Rogowskis Ausfall ist bald 20 Jahre her. Die Kanzlei Schreiner + Partner nahm ungefähr zur gleichen Zeit ihre Tätigkeit als Union Buster auf. Was hat sich seitdem getan? Die Bilanz ist durchwachsen. Es gibt heute nicht mehr Betriebsräte als vor zwanzig Jahren, aber ihre Beliebtheit ist in Teilen gestiegen – erstaunlicherweise auch im rechten Lager. Das rechtsextrem durchsetzte Zentrum Automobil versucht mit Betriebsräten als Brückenköpfen in den Belegschaften bundesweit eine AFD-nahe Gewerkschaft aufzubauen. Und selbst in der AFD-Fraktion im Bundestag hat sich ein Betriebsrat gegründet, um Willkür der Arbeitgeber und miserable Personalführung einzudämmen. Manche Start-ups wie der Lieferdienst Wolt werben in Zeiten des Arbeitskräftemangels neuerdings sogar damit, dass sie einen Betriebsrat haben.
Trotzdem gibt es nur in rund zehn Prozent der Betriebe, die mindestens fünf dauerhaft Beschäftigte haben und somit laut §1 Betriebsverfassungsgesetz einen Betriebsrat wählen könnten, betriebliche Mitbestimmung.
Die Sensibilität gegenüber kriminellen Methoden, die gezielt gegen Betriebsräte und Betriebsratsgründungen gerichtet sind, hat zugenommen. Betriebsratsbehinderung ist ein Thema in den Medien geworden. Aktuelle Fälle bei dem Schuhhandel Foot Locker, Hello Fresh oder dem Lieferdienst Gorillas fand etwas Berichterstattung. Allerdings gibt es viel Luft nach oben. Zu wünschen wäre, dass Union Busting mehr Aufmerksamkeit bekommt. Denn die Leidensgeschichten dahinter sind groß. Und auch bei der Bekämpfung von aktiven Betriebsratsbehinderungen muss sich etwas tun:
Bislang stand Betriebsratsbehinderung in der strafrechtlichen Bewertung auf einer Stufe mit Beleidigung. Die Höchststrafe war ein Jahr Gefängnis. Damit hatte das Vergehen die Qualität eines Kavaliersdelikts. In der Realität stellten Staatsanwaltschaften ihre Ermittlungen meist ein, ganz selten kam es zu Geldstrafen in Höhe von bis zu 20.000 Euro – in Kreisen aggressiver Unternehmer und hochbezahlter Anwält*innen waren das Peanuts. Sie verdienen an einer erfolgreichen Betriebsratszerschlagung gut und gerne zwischen 100.000 bis 250.000 Euro, wenn nicht mehr.
„Die Behinderung der demokratischen Mitbestimmung stufen wir künftig als Offizialdelikt ein“, schreibt die Ampel-Koalition im Koalitionsvertrag. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Vorhaben bald umgesetzt wird. Denn Demokratie und Rechtsstaat dürfen nicht vor den Werkstoren enden. Gerade hier müssen sie wehrhaft sein, sonst nimmt das Gemeinwesen ernsthaften Schaden. Denn die Arbeit ist keine Nebensächlichkeit, sondern ein zentraler Bereich des Lebens. Und Demokratie ist kein Freizeitvergnügen. Wer auf der Arbeit nicht den aufrechten Gang üben kann, wird auch sonst kein Vertrauen in sich selbst und in ein solidarisches Miteinander haben.
Wenn die Moral unterliegt und die Verkommenheit siegt, könnten Gefängnisstrafen das Mittel der Wahl sein, um das Gerechtigkeitsgefühl zu schärfen und Nachahmer abzuschrecken.
DGB/Heiko Sakurai
Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.