Der deutsche Sozialstaat steht vor großen Problemen. Eine Lösung dafür könnte das bedingungslose Grundeinkommen sein. Erste Erfahrungen deuten in diese Richtung. Doch es gilt noch etliche kritische Fragen zu klären.
Von Thomas Greven
Aktion der Generation Grundeinkommen in Berlin Foto: Generation Grundeinkommen, Flickr
Die Altersarmut wird in Deutschland drastisch ansteigen. Das zeigen aktuelle Studien. Die Arbeitsmarktchancen für Beschäftigte mit mittleren Qualifikationen sinken, sagt die OECD. Ohne Zweifel, der deutsche Sozialstaat steht vor gewaltigen Herausforderungen. Angesichts dessen glauben die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens: Mit ihm ließen sich Ungerechtigkeiten und Dysfunktionalitäten des deutschen Sozialstaats beseitigen. Ein solches Grundeinkommen befreie die Bedürftigen von Stigmatisierung und Diskriminierung, sorge für Anerkennung und Schutz von oft unbezahlter und von Frauen erbrachter Care-Arbeit. Es sei damit Bestandteil einer emanzipatorischen Transformation der Gesellschaft. Mit dem Grundeinkommen könnte also die Würde des Menschen jenseits von Erwerbsarbeit verteidigt werden.
In der Tat, ein bedingungsloses Grundeinkommen erscheint als unschlagbar eleganter Vorschlag zur Reform des Sozialstaats. Fort mit einer Bürokratie, die aufwendig versucht, die Bedürftigen von den Missbrauchern zu unterscheiden. Fort mit der strukturellen Ungerechtigkeit, dass der deutsche Sozialstaat vielfach an den Bedürftigen vorbei vor allem Bezieher mittlerer Einkommen fördert. Fort mit der kulturellen Ungerechtigkeit, dass unter den Bedürftigen vor allem diejenigen die sozialstaatlichen Hilfen in Anspruch nehmen können, die in der Lage sind, erfolgreich durch den Antragsdschungel zu manövrieren.
Ganz so wirkt das Grundeinkommen nicht... Foto: Generation Grundeinkommen, Flickr
Klar ist, die Lage am Arbeitsmarkt ist stets volatil - und die nächste Krise kommt bestimmt. Ansonsten steckt wie immer der Teufel im Detail. Ronald Blaschke vom Netzwerk Grundeinkommen hat einen Vergleich der Modelle für das Archiv Grundeinkommen vorgenommen (http://www.archiv-grundeinkommen.de/blaschke/201010-Vergleich-GE-Konzepte.pdf), der Aufschluss über eine Reihe strittiger Fragen gibt.
Jenseits der Details der Vielzahl unterschiedlicher Modelle ist die Grundidee eines bedingungslosen Grundeinkommens denkbar einfach. Anstelle diverser bedarfsorientierter sozialstaatlicher Programme hat jeder das Recht auf ein Grundeinkommen aus Steuermitteln. Einige Fragen sind offensichtlich: Wer ist bezugsberechtigt, alle Staatsbürger oder jeder sich auf dem Bundesgebiet legal aufhaltender Mensch, oder jeder Mensch überhaupt? Wie wird die Höhe der Transferleistung bestimmt (Existenzsicherung, Sicherung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben)? Wie wird die Transferleistung ausgezahlt und wird sie durch Bezug von Arbeitseinkommen eingeschränkt? Ein Modell ist eine Sozialdividende, also die Auszahlung des Grundeinkommens an alle, unabhängig von ihrem Einkommen. Ich will mich in der Folge aber auf das Modell einer negativen Einkommenssteuer konzentrieren.
Finnland testet in einem Modellversuch das bedingungslose Grundeinkommen.
Ein ARD-Bericht, der Hoffnung macht.
Hier würde das Grundeinkommen für denjenigen, der kein Einkommen (oder Einkommen bis zu einer festgesetzten Summe) erzielt, in voller Höhe durch das Finanzamt ausgezahlt. Einkommen oberhalb der festgesetzten Summe reduziert entsprechend das Grundeinkommen bis es auf null sinkt. Damit sind fließende Übergänge zwischen Bezug von Unterstützung und Erwerbseinkommen möglich, die sparsam allein über die Finanzbehörden verwaltet werden.
Eine Reihe von Fragen bleiben: Trotz des fließenden Übergangs, wie kann ein deutlicher Abstand zwischen Transferleistung und Erwerbseinkommen gesichert werden, damit insbesondere entfremdete Arbeit attraktiv bleibt? Positiv gewendet müsste unattraktive Arbeit höher entlohnt werden, damit sich Menschen finden, die sie ausüben wollen. Ist es sozial gerecht, dass die steuerzahlenden Beschäftigten für ein Grundeinkommen aufkommen, wenn es weder Bedingungen für dessen Bezug noch Anreize für die Aufnahme von Erwerbsarbeit gibt, insbesondere wenn zur gezielten Zuwanderung in das System des Grundeinkommens kommt? Durch Strategien individueller Nutzenmaximierung kann es zu erheblichen Ungerechtigkeiten kommen, welche wiederum Einfallstor für Rechtspopulisten sein können.
Initiative Grundeinkommen, Flickr
Ist es andererseits sozial gerecht, mit einem Grundeinkommen tatsächliche Bedarfe, die punktuell oder strukturell über dieses hinausgehen, zu ignorieren, weil es weder Bürokratie noch Programme gibt, diese Bedarfe zu erfassen? Es müsste mindestens zu Vorkehrungen für Härtefälle kommen, wodurch aber wiederum die Einsparungen reduziert würden. Die Vielzahl sozialstaatlicher Regelungen in Deutschland hat immerhin den Vorteil, dass das unvollkommene Netz viele Knoten hat, die Menschen auffangen können. Es ist zudem fraglich, ob es sozial gerecht ist, mit einem Grundeinkommen all diejenigen quasi ruhig zu stellen, für die in einer modernen Arbeitswelt angesichts von Produktivitätsrevolutionen durch Digitalisierung etc. kein Platz mehr ist.
Man kann dies in einer Post-Wachstumsperspektive, in einer idealistischen Freiheitsperspektive oder sogar in einer neoliberalen Perspektive positiv sehen. Aber Arbeit ist auch Quelle von Anerkennung und Sinnstiftung; fällt sie für Menschen weg, kann es zu erheblichen sozialen Verwerfungen kommen. Dies ist auch politisch gefährlich. Die Frage schließt sich an, ob dieses Problem durch Angebote (Bildung und Ausbildung, soziales und kulturelles Engagement) oder doch durch Bedingungen (analog zu den Experimenten in Ländern des globalen Südens: Impf- und Schulpflicht) aufgefangen werden kann? Wiederum aber entstehen Kosten und es besteht eventuell die Gefahr, subventionierte Konkurrenz gegenüber regulärer Beschäftigung zu schaffen.
Wahrscheinlich ist es sinnvoll, die Auswertung des großangelegten finnischen Versuchs der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens abzuwarten (2.000 Menschen erhalten für zwei Jahre 560 Euro monatlich, ohne vorherige Bedarfsprüfung und ohne Notwendigkeit, eine Arbeitssuche nachzuweisen). Nach fünf Monaten sind die Auskünfte aus dem Kreis der Teilnehmer positiv (Bericht der Huffington Post), aber viele Fragen können wohl erst nach Ablauf der zwei Jahre beantwortet werden, insbesondere ob es wirklich zu den antizipierten Einsparungen bei der Bürokratie kommt.
DGB/Heiko Sakurai
Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.