Deutscher Gewerkschaftsbund

15.07.2022
Atlas der digitalen Arbeit 2022

Misstrauisch durch die Datenvielfalt

Überwachung

Durch neue Nutzungsmodelle kann Software personenbezogene Daten sammeln: fernab vom Unternehmen, unkontrolliert in der Cloud. Auch in solchen Fällen wird ein Betriebsrat bald gefordert sein.

Nahaufnahme wibliches Auge im Fadenkreuz

DGB/Lukas Gojda/123rf.com

Die Arbeit der Belegschaften ist in der digitalen Welt vollkommen transparent. Jede Handlung hinterlässt individuelle Datenspuren. Sie entstehen nicht nur bei der Arbeit mit digitalen Endgeräten wie Computern, Notebooks, Tablets oder Smartphones, sondern auch, wenn Beschäftigte rechnergesteuerte Maschinen oder Arbeitsmittel nutzen, Firmenfahrzeuge fahren oder von Zugangskontrollsystemen gecheckt werden.

Je nach Fall ermöglichen es die Daten Rückschlüsse zu ziehen, beispielsweise auf die individuelle Arbeitsgeschwindigkeit oder Leistungsfähigkeit, auf die Aufenthaltsorte im Betrieb und auch auf die Kontakte mit anderen Beschäftigten oder mit dem Betriebsrat. Interne Kommunikationsstrukturen können in „sozialen Graphen“ visualisiert werden, die im Hintergrund von der verwendeten Software automatisch erzeugt werden. Hinzu kommen Daten aus den Systemen der Personalabteilungen mit teilweise sehr sensiblen Informationen.

Arbeitgeber, die diese Datenvielfalt mit der passenden Software auswerten, können das Verhalten von Belegschaften und einzelner Beschäftigter umfassend analysieren und Zukunftsprognosen über ihr Verhalten erstellen. Sie finden auf diese Weise auch weniger leistungsfähige Mitarbeitende oder diejenigen, die sich von ihren Aufgaben unterfordert fühlen und deswegen Abwanderungsgedanken hegen.

Datenmissbrauch am Arbeitsplatz

Wenn personenbezogene Daten systemübergreifend ausgewertet werden, handelt es sich zumeist um eine unzulässige Verarbeitung von Vorratsdaten. Allerdings tun sich staatliche Aufsichtsbehörden bisher schwer damit, hier Grenzen zu setzen. Beschäftigte schrecken davor zurück, gegen den Datenmissbrauch vorzugehen, weil sie Sanktionen ihres Arbeitgebers fürchten. Betriebsräte können auf Basis ihres Mitbestimmungsrechts die unzulässige Verarbeitung von Daten durch Computer und Software verhindern und mitwirken, den rechtmäßigen Umgang mit ihnen aktiv zu gestalten. Ihr Mitbestimmungsrecht greift immer dann, wenn technische Einrichtungen das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten kontrollieren können. So ist es jedenfalls bisher in vielen Betrieben geregelt. Ob das so auch in Zukunft Bestand haben wird, ist fraglich. Neue Konzepte wie die „Software as a Service“ (SaaS) – die gesamte Softwarenutzung in einem Unternehmen als Dienstleistung aus einer Hand – sammeln umfassend Daten aller Prozesse im Betrieb. Sie werden in der Regel nicht mehr auf firmeneigenen Servern gespeichert, sondern in der „Cloud“, also auf Rechnern, die etwa Amazon, Google, Microsoft und anderen Unternehmen gehören. Während der Coronakrise haben viele Unternehmen auf solche Plattformen umgestellt.

Grafik: Belegschaft unter Kontrolle

Wenig Illusionen: Fast die Hälfte der Befragten traut ihren Unternehmen Gesetzesverstöße zu, um Angestellte zu überwachen. Bartz/Stockmar, CC BY 4.0

Diese SaaS-Anwendungen stellen ein großes Risiko für den Datenschutz dar. Nicht selten teilen Arbeitgeber den Betriebsräten mit, dass die Software nicht an die Datenschutzvereinbarungen des Betriebes angepasst werden könne. Der Grund: Die Verträge mit den Anbietern schließen im Rahmen von Hersteller-Updates zumeist auch funktionale Änderungen der Software ein. Diese können dazu führen, dass personenbezogene Daten ausgewertet oder Kontrollen mit „Standardreports“ durchgeführt werden können.

Datenschutz: Mehr Mitbestimmung für Betriebsräte dringend nötig

Aktuell gilt: Die Betriebsräte haben beim Datenschutz kein hinreichendes Mitbestimmungsrecht. Sie sollten zwingend mitreden können, wenn Unternehmen Software oder Technik einführen oder ändern möchten, die zur Überwachung geeignet ist. Aus Sicht des Datenschutzes muss gelten: Es dürfen nur die Mittel eingesetzt werden, die die Arbeitgeber selbstständig so konfigurieren können, dass sie beispielsweise den Regeln der jeweiligen Betriebsvereinbarung gerecht werden.

Neben dem Ausbau der Mitbestimmungsrechte ist es höchste Zeit, ein Datenschutzgesetz zu schaffen, das Arbeitnehmer*innen besser vor Überwachung am Arbeitsplatz schützt. In der seit 2018 geltenden Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der Europäischen Union finden sich nur allgemeine Formulierungen. Immerhin: Sie ermöglicht es nun den EU-Mitgliedstaaten, Regeln zum Schutz der Beschäftigten aufzustellen. Der DGB hat einen Entwurf für ein Gesetz vorgelegt, das bereits zahlreiche konkrete Sachverhalte aus dem Arbeitsleben aufnimmt. Da geht es unter anderem um die Rechte des Arbeitgebers in Bewerbungsgesprächen. Darf er sich beispielweise nach Schwangerschaft oder Familienplanung erkundigen? Der Entwurf legt fest, dass derartige Fragen generell nicht zulässig sind. Ähnliches gilt für sogenannte Psychotests oder für Intelligenztests im Rahmen von Bewerbungsverfahren. Bei festen Beschäftigungsverhältnissen schließt der Entwurf unter anderem die heimliche Überwachung oder die Verwendung von GPS-Daten für Kontrollzwecke im Logistikbereich aus.

Im Betrieb hat der Arbeitgeber diesen Schutz zu gewährleisten. Die vom Arbeitgeber benannten Datenschutzbeauftragten ebenso wie die Betriebsräte müssen überprüfen, ob die entsprechenden Regeln auch eingehalten werden. Da es jedoch nicht in allen Betrieben Betriebsräte gibt, ist es unerlässlich, die staatlichen Aufsichtsbehörden zu stärken. Sie sind derzeit personell häufig nicht in der Lage, ihre Arbeit zu machen. Dabei sollten sie sehr schnell reagieren können – zum Beispiel, um Verstöße in den Betrieben zu dokumentieren.


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Kurzprofil

Prof. Dr. Peter Wedde
Professor an der Frankfurt University of Applied Sciences, wissenschaftlicher Leiter der Beratungsgesellschaft d+a consulting GbR.
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