Der Wirtschaftswissenschaftler Boris von Heesen beziffert, was schädliches Verhalten von Männern die Gesellschaft kostet. Nach seiner eher vorsichtigen Schätzung summiert sich der “Preis des Patriarchats” auf über sechzig Milliarden Euro pro Jahr.
Boris von Heesen hat den Preis von "ungesundem" männlichen Verhalten ausgerechnet. In "Was Männer kosten" widmet er sich den Folgen verschiedenem männlichen Fehlverhalten und plädiert für mehr Beratungsangebote für Männer. Pixabay/Schäferle
Boris von Heesen: Ich möchte auf eine gesellschaftliche Schieflage hinweisen. In der Sucht- und Jugendhilfe habe ich über viele Jahre Erfahrungen mit dem Ungleichgewicht der Geschlechter gesammelt. Zudem habe ich eines der ersten Online-Marktforschungsunternehmen gegründet und mir so die notwendigen Kompetenzen im Umgang mit statistischen Daten angeeignet.
Ich spreche lieber von “ungesundem” männlichen Verhalten, das sich durch soziale Zwänge und Rollenstereotype herausbildet. Männer laufen Gefahr, schädlichen Mustern zu folgen, die in solchen Prägungen ihren Ursprung haben. Beispiele dafür sind etwa Selbstgefährdung, Gewalt oder Sexismus. Deshalb halte ich es für wichtig, dass Männer ihre Rolle fortwährend kritisch reflektieren. Den Begriff der toxischen Männlichkeit vermeide ich. Er differenziert kaum die Ursachen männlichen Fehlverhaltens - und könnte so verstanden werden, dass Männlichkeit grundsätzlich schädlich ist oder gar alle Männer “toxisch” sind. Das ist selbstverständlich nicht der Fall.
Ich unterscheide zwischen direkten und indirekten Kosten. Gefängnisaufenthalte, Drogentherapien, Polizeieinsätze, verwüstete Züge nach Fußballspielen oder der Betrieb von Frauenhäusern verursachen direkte Kosten, sie stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang zu einem Verhalten. Dazu kommen aber weitere Kosten: Entgangene Einnahmen der Sozialkassen aufgrund von Krankheit oder Arbeitslosigkeit als Folge eines Unfalls oder einer Straftat sind etwa solche indirekten Aufwendungen.
Boris von Heesen: Was Männer kosten. Der hohe Preis des Patriarchats. Heyne Verlag, München 2022. 304 Seiten, 18 Euro. Heyne Verlag
Mit allein über 40 Milliarden Euro pro Jahr steht die Sucht einsam an der Spitze. Und dieses Problem strahlt auf viele andere Felder ab. So verursachen männliche Autofahrer fünfmal häufiger Verkehrsunfälle mit Personenschäden, wenn sie Alkohol getrunken haben. Diebstähle, die zu 70 Prozent von Männern verübt werden, haben häufig mit Beschaffungskriminalität für Drogen zu tun. Ein weiterer Faktor sind die Folgen ungesunder Ernährung. Männer trinken viermal mehr Softdrinks als Frauen und sechsmal so viel Bier. Sie essen fast doppelt so viel Fleisch und viel mehr Salz. Das Bild des Felsens in der Brandung, der ohne Rücksicht auf Verluste essen und trinken kann was er will, ist immer noch in vielen Männerköpfen verankert.
Sicher gibt es ein Bewusstsein dafür. Aber der geschlechtsspezifische Blick hört dann auf, wenn es darum geht die Probleme wirklich nachhaltig zu bearbeiten. Ich frage mich zum Beispiel, warum das Bundeskriminalamt, die Polizeibehörden der Länder, das Kraftfahrtbundesamt oder die Statistikbehörde Destatis ihre alarmierenden Zahlen nicht regelmäßig und prominent ins Zentrum der Öffentlichkeit rücken.
“Eltern für eine klischeefreie Erziehung sensibilisieren”
Mein Zugang zum Thema beruht ja auf einem Trick. Ich verwende das zentrale Schmiermittel des Kapitalismus, das Geld, um auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen hinzuweisen. Dabei nutze ich amtliche Statistiken und öffentlich zugängliche Kostendaten. In vielen Lebensbereichen aber, die von patriarchalen Strukturen durchzogen sind und in der Folge zu schädlichen Verhalten führen, stehen keine solchen Daten zur Verfügung. Kaum messbare Nebenwirkungen des Patriarchats ergeben sich zum Beispiel durch antifeministische Strömungen, durch den Hass von Männern, ausgeschüttet über Frauen insbesondere im anonymen digitalen Raum. Die dunkle Seite der Sexualität mit misogynen pornografischen Darstellungen, Gangsta Rap oder Prostitution ist ein anderes schwer zu monetarisierendes Feld. Zu wenig beachtet wird auch, dass Männer sich selbst schädigen durch ihr Verhalten. Hierauf ist die immer noch knapp fünf Jahre kürzere Lebenserwartung und auch die dramatisch höhere Suizidrate zurückzuführen.
Eine erste Maßnahme wäre die systematische Veröffentlichung von Statistiken, die die Belastungen abbilden. Das zweite eher mittel- bis langfristig wirkende Aktionspaket würde auf das Aufbrechen von Geschlechterrollen hinwirken. Ich plädiere zum Beispiel dafür, Eltern für eine klischeefreie Erziehung zu sensibilisieren. Auch die Curricula der Aus- und Fortbildungen von Fachkräften in Kitas, Schulen und sozialen Trägern müssen um geschlechtersensible Elemente ergänzt werden. Wir brauchen Marketingkampagnen, um das Verhalten von Männern im Straßenverkehr positiv zu beeinflussen, und müssen das Bewusstsein für Männergesundheit schärfen.
Die Sicherheitsbehörden sollten das vorhandene Datenmaterial unbedingt nutzen, um auf das Geschlechterungleichgewicht aufmerksam zu machen. So wird der Druck auf die politisch Verantwortlichen erhöht. Zudem könnten schon in den Ausbildungs- und Studiengängen von künftigen Polizisten oder Justizbeamtinnen die gesamtgesellschaftlichen Folgen ungesunder Rollenmuster thematisiert werden.
Ich plädiere für ein flächendeckendes bundesweites Netzwerk von Beratungsangeboten für Männer, damit diese in Krisensituationen oder heraufziehenden Krisen überall qualifizierte Unterstützung bekommen. Soziale Träger sollten auch mehr Angebote geschlechterreflektierender Jungenarbeit bereitstellen. So könnte schon früh die eigene Rolle thematisiert und ein positives Bild von Männlichkeit entwickelt werden.
Ich habe einen konkreten Vorschlag: Ich wünsche mir einen digitalen Gleichstellungsmonitor, der alle relevanten Statistiken übersichtlich für alle Menschen zugänglich macht. So können Medien, Wissenschaft und andere Interessierte verlässlich aus einer zentralen Informationsquelle schöpfen und daraus Veränderungsprozesse ableiten.
Boris von Heesen, geboren 1969, ist Wirtschaftswissenschaftler mit beruflichen Stationen bei der Diakonie in Bayern und der Drogenhilfe in Frankfurt am Main. Derzeit ist er geschäftsführender Vorstand eines Jugendhilfeträgers in Darmstadt, nebenberuflich arbeitet er in einer Männerberatungsstelle.
Das Interview führte Thomas Gesterkamp
DGB/Heiko Sakurai
Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.