Deutscher Gewerkschaftsbund

03.11.2022

Die Wirtschaftselite und der Aufstieg der NSDAP

Die NSDAP ist zwischen 1928 und 1932 von einem obskuren politischen Verein zur stärksten Fraktion im Reichstag aufgestiegen – der bisher spektakulärste Aufstieg einer politischen Partei in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus. Doch wer hat diesen Erfolg finanziert?

 Berlin 1934 - Sitz der Reichsgruppe Industrie

Berlin 1934 - Sitz der Reichsgruppe Industrie gemeinfrei / wikimedia commons / CC BY-SA 3.0

Bei der Reichstagswahl im Mai 1928 erhielt die NSDAP 2,6 Prozent der Stimmen; bei der Wahl im September 1930 waren es 18,3 Prozent; und bei der Reichstagswahl im Juli 1932 erhielt sie 37,4 Prozent. Die NSDAP war damit innerhalb weniger Jahre von einem obskuren politischen Verein zur stärksten Fraktion im Reichstag aufgestiegen – der bisher spektakulärste Aufstieg einer politischen Partei in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus.

Wer hat den Aufstieg der NSDAP finanziert?

Wer hat diesen Aufstieg finanziert? Diese Frage haben sich bereits die Zeitgenossen gestellt. Im Fokus der Aufmerksamkeit und der Kritik standen die Großunternehmen und ihre Interessenverbände, von denen man vermutete, dass sie die Wahlkämpfe der NSDAP großzügig unterstützt hätten. Dafür gab es einige Hinweise: Fritz Thyssen und Emil Kirdorf (Gelsenkirchener Bergwerks-AG) haben z.B. bereits vor 1933 mit der NS-Bewegung sympathisiert und für sie geworben. Die neuere historische Forschung hat jedoch gezeigt, dass sich die meisten Unternehmer vor 1933 gegenüber der NSDAP eher ablehnend verhielten. Ihre Zurückhaltung war vor allem in der antikapitalistischen Propaganda und im dilettantischen Wirtschaftsprogramm der NSDAP begründet.

Hitler und NSDAP: Zweitbeste Lösung für Unternehmer

Dies bedeutet nicht, dass die Mehrheit der Unternehmer die Weimarer Republik unterstützt hätte. Im Gegenteil, sie haben die institutionelle Ordnung der Republik abgelehnt und sich einen Ständestaat oder eine vom Parlament unabhängige Präsidialdiktatur gewünscht. Hitler und die NSDAP waren für sie nur eine zweitbeste Lösung. Dies änderte sich nach 1933. Die Unternehmer haben sich sehr schnell an das neue Regime angepasst. Aufgrund der forcierten Aufrüstung und der gewaltsamen Enteignung jüdischer Unternehmen (Arisierung) wurden sie zu Profiteuren des Regimes.

Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder in der NSDAP

Es gibt bisher keine Studie, die es erlauben würde, die unterschiedlichen politischen Einstellungen und Präferenzen der Wirtschaftselite während der NS-Zeit zu quantifizieren. Wir wissen nur aus Einzelfallstudien, welche Unternehmer „Nazis“ waren (z.B. Hermann Röchling) und wer zum NS-Regime eher in Opposition stand (z.B. Robert Bosch). Die Mitgliedschaft in der NSDAP liefert jedoch einen Indikator, der es erlaubt, die Nähe oder Distanz einer sozialen Gruppe zum NS-Regime einzuschätzen. Der Eintritt in die NSDAP war freiwillig. Niemand wurde gezwungen, Parteigenosse zu werden. Eine Zwangsmitgliedschaft wäre mit der Selbstdefinition der NSDAP als Gesinnungspartei unvereinbar gewesen. Wer in die Partei eintreten wollte, musste seine arische Abstammung nachweisen und einen schriftlichen Aufnahmeantrag stellen, der auch abgelehnt werden konnte. Mit ihrem Eintritt in die Partei signalisierten die Mitglieder Wirtschaftselite eine zumindest formale Loyalität und Zustimmung zum NS-Regime.

Wir verfügen über einen Datensatz, in dem alle Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats der deutschen Großunternehmen für die Jahre 1933 und 1938 enthalten sind. Daraus wurde eine repräsentative Stichprobe gezogen und im Bundesarchiv in Berlin auf NSDAP-Mitgliedschaft überprüft. Von den Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern sind 38 Prozent zu Parteigenossen geworden. Damit ist eine zuverlässige Schätzung des Anteils der NSDAP-Mitglieder in der Wirtschaftselite verfügbar.

Welche Bedeutung hatte eine Parteimitgliedschaft für das NS-Regime?

Welche Bedeutung hatte die NSDAP-Mitgliedschaft dieser Personen für die Stabilisierung der NS-Herrschaft? Zahlreiche Vorstandsmitglieder sind unmittelbar nach der Machtergreifung zu Parteigenossen geworden, und dies war ein enormer Prestigegewinn für die NSDAP. Auf diese Personen wurde kein Druck ausgeübt, sich für Parteiämter zur Verfügung zu stellen, und sie haben in der Regel auch keine offizielle Funktion in der Partei übernommen. Die bloße Tatsache, dass August Fink, Alfred Haniel, Oscar R. Henschel, Arthur Koepchen (RWE), Ludwig von Winterfeld (Siemens) und andere Vorstandsmitglieder bereits im Mai 1933 in die NSDAP eintraten, war für die NS-Propaganda ein willkommener Beleg, der bewies, dass die NS-Bewegung in der Oberschicht angekommen war.

Nach 1933 gab es keine freien Wahlen mehr, auf die sich das NS-Regime zur Legitimation seiner Herrschaft hätte berufen können. Bis 1939 sind aber über 6,7 Mio. Deutsche in die NSDAP eingetreten. Dieser anschwellende Strom von Deutschen, die in die Partei drängten, war ein Legitimationsersatz. Die Parteimitgliedschaft war eine der wenigen Institutionen, die es noch erlaubten, Zustimmung oder Ablehnung gegenüber dem Regime zum Ausdruck zu bringen – indem man die Parteimitgliedschaft beantragte oder es ablehnte, Parteigenosse zu werden.

Wenn ein hoher Anteil von Unternehmern, Juristen oder Medizinern zu Parteigenossen wurde, blieb dies den beobachtenden Zeitgenossen nicht verborgen. Sie haben den Eintritt in die Partei als eine bewusste Entscheidung für das Regime wahrgenommen. Die Parteimitgliedschaft war eine Loyalitätserklärung, die das Prestige und die Legitimation des NS-Regimes gestärkt haben – und dies unabhängig von den subjektiven Motiven, die eine einzelne Person veranlasst hatten, zum Parteigenossen zu werden. Gerade darin lag die Bedeutung einer Parteimitgliedschaft von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern.

NSDAP-Mitglieder: Jeder zweite Mediziner war in der Partei

Die Frage, ob die Mitglieder der Wirtschaftselite deshalb besonders eng mit dem NS-Regime verbunden waren, lässt sich nur im Vergleich mit anderen Elite-Gruppen beantworten (s. Abbildung). 11,7 Prozent der Bevölkerung waren Mitglieder der NSDAP. Dieser Durchschnitt dient als Referenzwert, an dem der Anteil der NSDAP-Mitglieder in den übrigen Gruppen gemessen werden kann. Die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder waren mehr als dreimal so häufig (38 Prozent), die Strafrichter waren fast siebenmal so häufig in der NSDAP (78 Prozent). Bei den Medizinern war jeder zweite ein Parteigenosse (51 Prozent).

Eliten in der NSDAP

DGB / Gegenblende

NS-Regime belohnt die Wirtschaftselite

Die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der deutschen Großunternehmen waren eine wichtige Stütze der NS-Herrschaft. Ohne ihre aktive Kollaboration hätte die forcierte Aufrüstung nach 1934 nicht gelingen können. Das Regime hat diese Kollaboration honoriert. Wenn die Mitglieder der Wirtschaftselite Anfang 1939 auf sechs Jahre NS-Herrschaft zurückblickten, konnten sie feststellen, dass das Regime viele ihrer politischen Forderungen erfüllt hatte. Dazu gehörten:

  • die Beseitigung des Parteien- und Gewerkschaftsstaates, zu dem sich in ihren Augen die Weimarer Republik entwickelt hatte;
  • die Liquidierung des Klassenfeindes, zu dem sie nicht nur die KPD, sondern auch die SPD und die Gewerkschaften zählten;
  • die Stabilisierung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, die Ende der 1920er Jahre in eine ihrer tiefsten Krisen gestürzt war;
  • und schließlich die mit Hilfe der Aufrüstung erreichte Rückkehr Deutschlands in den Kreis der europäischen Großmächte.

Die Daten zeigen auch, dass es Elitegruppen gab, die – im Vergleich zu den Unternehmern – einen deutlich höheren Anteil an NSDAP-Mitgliedern hatten. Dazu gehörten die Juristen, die in der staatlichen Bürokratie dafür sorgten, den „Führerwillen“ in Form von Willkür-Gesetzen zur Geltung zu bringen. Dazu gehörten auch die Mediziner, die für die „Aufartung“ des deutschen Volkes und die Euthanasie-Programme zuständig waren.


Paul Windolf und Christian Marx: Die braune Wirtschaftselite: Unternehmer und Manager in der NSDAP. Frankfurt 2022, Campus Verlag, 457 Seiten, 39 Euro


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Kurzprofil

Prof. Dr. Paul Windolf
Geboren 1946 in Düsseldorf
Soziologieprofessor
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