Deutscher Gewerkschaftsbund

09.11.2022

Erbschaftsteuer: Darum zahlen reiche Erben kaum Steuern

Je größer das Erbe, ums so geringer die Steuern. Der Historiker Ronny Grundig skizziert, wie sehr der neoliberale Zeitgeist der 1980er und 1990er Jahre die Debatte um eine gerechte Erbschaftsteuer bis heute beeinflusst. Sein Rat: Linke und Progressive müssen die steuerfeindlichen Narrative von Konservativen und Liberalen endlich sinnvoll bekämpfen.

Reiche Frau auf Segelboot mit Sektglas

DGB / pexels / fuka jaz

In der Bundesrepublik Deutschland sind Vermögen im internationalen Vergleich besonders ungleich verteilt. Aufgrund der ausgesetzten Vermögen- und niedrigen Erbschaftsteuern landen diese Besitzstände oft ohne oder mit nur geringem gesellschaftlichen Anteil in der nächsten Generation. Das zementiert die soziale Ungleichheit. Ausgehend von den Denktraditionen des Sozialismus und des Liberalismus müsste es bei der Besteuerung von vererbten (und geschenkten) Vermögen eigentlich eine Allianz aus linken und liberalen Kräften geben, die für eine (hohe) Besteuerung von Erbschaften kämpfen. Warum sieht die Gegenwart gänzlich anders aus?

Geschichte der Erbschaftsteuer: Von der Flottenfinanzierung zum Wiederaufbau

Um dies besser zu verstehen, hilft ein kurzer Blick zurück in die Geschichte der Erbschaftsteuer in Deutschland. Eingeführt hatte der Reichstag sie 1906 als erste direkte Reichssteuer nicht etwa zur Umverteilung von Vermögen, sondern zur Finanzierung der Flottenaufrüstung des Kaiserreichs. Charakteristisch war bereits damals der Schutz der Familie als wichtiger Bezugspunkt, der zu hohen Freibeträgen für nahe Angehörige führte. Die Steuer blieb im Verlauf der Weimarer Republik und der NS-Zeit niedrig. Die Bundesrepublik kehrte ab 1949 zu diesem Modell zurück, nachdem es unter alliierter Kontrolle eine kurze Phase mit hohen Erbschaftsteuern gegeben hatte und die unterschiedliche Behandlung von Erb*innen nach Verwandtschaftsgrad aufgehoben worden war. Eine Besteuerung von Erbschaften, so die vorherrschende Ansicht in der jungen Republik, sollte dem wirtschaftlichen Wiederaufbau nicht im Wege stehen. So gab es noch in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre politische Vorstöße, die Erbschaftsteuer komplett abzuschaffen.

Bundestagswahlkampf 1972: Alle Parteien für Erhöhung der Erbschaftsteuer

In den 1960er Jahren wandelte sich das politische Klima, da wissenschaftliche Studien eine starke Konzentration der Produktivvermögen als Folge des „Wirtschaftswunders“ festgestellt hatten. Die sich daraufhin entwickelnde kritische Haltung zu Vermögensakkumulation und -verteilung sowie der Weitergabe durch Erbschaften kulminierte im Bundestagswahlkampf 1972, bei der alle im Bundestag vertretenen Parteien für eine Erhöhung der Erbschaftsteuer eintraten. Als die siegreiche sozialliberale Koalition die Steuer leicht erhöhte, nutzen die Unionsparteien ihre Bundesratsmehrheit, um die Reform abzuschwächen und besonders Familienstiftungen, ein Steuervermeidungsinstrument der Superreichen, länger steuerlich zu schonen. Der Effekt der Reform war überschaubar. Die Einnahmen aus der Steuer stiegen zwar in der Folge an, wuchsen aber deutlich weniger als die privaten Vermögen in der Bundesrepublik.

Lobbyarbeit gegen die Erbschaftsteuer

Gleichzeitig setzten sich in den 1980er und 1990er Jahren im politischen Diskurs neoliberale Ansichten durch, die Steuersenkungen forderten. Das war auch Ergebnis geschickter Lobby-Arbeit durch Unternehmerverbände, die wie der Deutsche Industrie- und Handelstag die Erbschaftsteuer als eine Gefahr für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung darstellten und so Ängste schürten. Diese Diskursverschiebung bekam eine besondere Brisanz, da ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1995 die Bewertungsverfahren für die Vermögen- und Erbschaftsteuer für verfassungswidrig erklärt hatte, da sie zu deutlicher Unterbewertung von Grund-, Immobilien- und Betriebsvermögen führten, so Erb*innen solcher Vermögenswerte privilegierten gegenüber den Empfänger*innen von Geld oder Wertpapieren und damit gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstießen.

Bequemer Gesetzgeber: Mittelstand ist, wer sich selbst so nennt

Statt diese Ungleichheiten in der Bewertung zu beheben und die Vermögen- und die Erbschaftsteuer verfassungsrechtlich sicher zu gestalten, wird die Vermögensteuer seit 1997 nicht mehr erhoben und die reformierte Erbschaftsteuer wurde durch das Bundesverfassungsgericht wiederholt als verfassungswidrig deklariert: im Jahr 2006 aufgrund der erneuten unterschiedlichen Bewertung der Vermögensarten und 2014 aufgrund der Übervorteilung betrieblicher Vermögen bei der Besteuerung. Der Rechtswissenschaftler Felix Welti hat darauf hingewiesen, dass dieser politische Unwille auf der empirisch unzureichend untersuchten Annahme des Gesetzgebers beruht, dass es sich bei den vererbten Firmen im Regelfall um kleinere und mittlere Familienunternehmen handle, die seit vielen Generationen in gleicher Eigentümerschaft seien und den Kern der deutschen Wirtschaft ausmachten. Die (Selbst-)Bezeichnung als Mittelständler wird allerdings in Deutschland auch für Firmen genutzt, die Milliarden Wert sind.

Lücken im Gesetz ermöglichen Steuervermeidung

Statt das Problem nachhaltig zu lösen, setzten verschiedene Bundesregierungen auf steuerpolitische Flickschusterei, die vor allem Vermögenden half. Die Umstellung der Bewertungsverfahren und einzelne Steuerprivilegien haben das Erbschaftsteuergesetz derart verkompliziert, dass es für spezialisierte Finanzdienstleister*innen deutlich leichter geworden ist, Lücken im Gesetz zur Steuervermeidung auszunutzen. Wer über 20 Millionen Euro erbt, zahlt im Schnitt nur zwei Prozent Erbschaftsteuer, während es bei einem Betrag zwischen 250.000 und 500.000 Euro etwa zehn Prozent sind.

Erbschaftsteuer: Privilegierung der reichsten Erb*innen beenden

Eine solche Steuerpolitik ist nicht alternativlos. Auf der konkreten (steuertechnischen) Ebene ist eine Vereinfachung der Steuer dringend notwendig, um die Privilegierung der reichsten Erb*innen bei der Steuerzahlung zu beenden: weniger Ausnahmen und Steuerprivilegien und gleiche Freibeträge für alle Erb*innen unabhängig vom Verwandtschaftsgrad. Im Gegenzug müssten beim Wegfall von Privilegien auch die Steuersätze sinken, die dann aber auch tatsächlich Anwendung finden. Eine progressive Besteuerung ist auch weiterhin wünschenswert, allerdings ist selbst ein Modell mit Einheitssteuersatz (flat tax) besser als das gegenwärtige System, das zwar hohe, progressive Steuersätze hat, die aufgrund der Ausnahmeregelungen aber nicht angewendet werden und stattdessen reiche Erb*innen profitieren.

Neue positive Haltung zu Steuern verankern

Abseits der technischen Regelungen ist mir ein anderer Punkt wichtig. Progressive und linke Kräfte müssen versuchen, eine neue positive Haltung zu Steuern zu verankern. Die jahrzehntelange steuerfeindliche Propaganda wirtschafts- bzw. neoliberaler und konservativer Kräfte hat sich in den Köpfen festgesetzt und bestimmt den öffentlichen Diskurs. Eine progressive Linke muss dieser Anti-Haltung alternative Gesellschaftsentwürfe entgegenstellen, die sich klar kommunizieren lassen. Um Menschen zu überzeugen, reicht es nicht aus, Besteuerung mit dem bloßen Verweis auf abstrakte Konzepte wie soziale Gerechtigkeit oder Chancengleichheit zu bewerben. Es braucht konkrete Ziele für die Zukunft und klare Wege, wie man sie erreichen möchte. Nur in einem kohärenten Gesamtbild wird es möglich sein, vermögensbezogene Steuern als ein strategisch wichtiges Mittel positiv zu verankern.


Nach oben

Kurzprofil

Ronny Grundig
Ronny Grundig ist Historiker und arbeitet am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung.
» Zum Kurzprofil

Meistgelesene Beiträge

Axel Hon­net­h: Der ar­bei­ten­de Sou­ve­rän
von Rudolf Walther
Arbeitnehmende und Demokratie
Midjourney / DGB
Transparente und fair geregelte Arbeitsteilung ist Voraussetzung für die Teilhabe an der demokratischen Willensbildung. So lautet die These des Sozialphilosophen Axel Honneth in seinem neuen Buch „Der arbeitende Souverän“. Eine Rezension von Rudolf Walther.
weiterlesen …

Yanis Varoufakis
Das Ban­ken­sys­tem ist ir­re­pa­ra­bel be­schä­digt
von Yanis Varoufakis
Skyline des Frankfurter Bankenviertels
DGB/Simone M. Neumann
Die momentane Bankenkrise ist schlimmer als die der Jahre 2007/2008. Damals konnten für den reihenweisen Kollaps der Banken noch Betrug im großen Stil, räuberische Kreditvergabe, Absprachen zwischen Rating-Agenturen und zwielichtige Banker verantwortlich gemacht werden. Der heutige Bankenkollaps um die Silicon Valley Bank hat damit nichts zu tun, erklärt Yanis Varoufakis und stellt seine Vorstellung für eine neue, "wunderbare Alternative" vor.
weiterlesen …

KI-For­scher: Künst­li­che In­tel­li­genz ist kein Zau­ber­trick
von Julia Hoffmann
Mind Domination-Konzept in Form von Frauen Umrisskontur mit Leiterplatte und binärem Datenfluss auf blauem Hintergrund
DGB/ryzhi/123rf.com
In verschiedenen Bereichen der Arbeitswelt sind KI-Anwendungen im Einsatz. Florian Butollo forscht zu den Auswirkungen der Technologie auf Beschäftigte und Arbeitsbedingungen. Im Interview spricht er über das Risiko für verschiedene Berufsbilder, überflüssig zu werden und die Erleichterung sowie mögliche Abwertung von Arbeit.
weiterlesen …

Long Co­vid und die Fol­gen: Vor al­lem Frau­en auf dem Ab­stell­gleis
von Christine Wimbauer, Mona Motakef, Franziska Jahn
Frau
Pexels
Etwa jede 10. mit Corona infizierte Person leidet unter Long Covid - also unter Symptomen, die länger als 4 bzw. 12 Wochen anhalten. Viele klagen über eine umfassende chronische Erschöpfung, die eine Rückkehr in das vormalige Leben unmöglich macht. Frauen im erwerbsfähigen Alter sind doppelt so oft betroffen wie Männer. Es ist höchste Zeit, die Krankheit auf die politische Agenda zu setzen.
weiterlesen …

Die Wirt­schaft­se­li­te und der Auf­stieg der NS­D­AP
von Prof. Dr. Paul Windolf
 Berlin 1934 - Sitz der Reichsgruppe Industrie
gemeinfrei / wikimedia commons / CC BY-SA 3.0
Die NSDAP ist zwischen 1928 und 1932 von einem obskuren politischen Verein zur stärksten Fraktion im Reichstag aufgestiegen – der bisher spektakulärste Aufstieg einer politischen Partei in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus. Doch wer hat diesen Erfolg finanziert?
weiterlesen …

Tarifrunde Öffentlicher Dienst 2023
War­nung vor Lohn-­Preis-Spi­ra­le ist öko­no­mi­scher Un­fug
von Dierk Hirschel
Zwei Miniaturfiguren Bauarbeiter und mehrere Stapel Münzen
DGB/Hyejin Kang/123rf.com
Die Gewerkschaften fordern 10,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 500 Euro, für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. Warum die Forderung berechtigt ist und die Warnung vor einer Lohn-Preis-Spirale ökonomischer Unfug ist, erklärt ver.di-Chefökonom Dierk Hirschel.
weiterlesen …

Oliver Nachtwey und Caroline Amlinger
Staats­kri­tik und die Pa­ra­do­xi­en des Fort­schritts
Studie über Querdenken
von Caroline Amlinger, Oliver Nachtwey
Corona-Testzentrum mit Querdenken-Sprayer
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/
Der Soziologe Oliver Nachtwey und die Literatursoziologin Caroline Amlinger untersuchen in ihrem Buch „Gekränkte Freiheit“ das Milieu der Querdenker und dokumentieren die Drift von vormals gefestigten Demokraten ins Autoritäre. Der Text ist ein Kapitel aus ihrem Werk und fasst die Ergebnisse der Studie zusammen.
weiterlesen …

Tho­mas Pi­ket­ty: Die Ge­schich­te der Gleich­heit
von Peter Kern
Ein Arbeiter im Sägewerk auf einer historischen Aufnahme
Flickr / Biblioteca de Arte / Art Library Fundação Calouste Gulbenkian CC BY-NC-ND 2.0
Nach liberaler Sicht baut das freie Spiel der Kräfte den individuellen Wohlstand auf und die gesellschaftliche Ungleichheit ab. Wie von selbst nehme diese Entwicklung ihren Lauf, vorausgesetzt, der Mechanismus der Konkurrenz funktioniere ungestört. Der französische Wirtschaftshistoriker Thomas Piketty formuliert in seinem Buch Eine kurze Geschichte der Gleichheit die Gegenthese.
weiterlesen …

Grundsteuer
In­fla­tion: Die zwei­te Mie­te
von Thomas Gesterkamp
Skyline Frankfurt am Main
DGB/Felix Pergande/123rf.com
In den kommenden Jahren dürften die Wohnnebenkosten deutlich steigen, wegen hoher Energiepreise und der Neufestsetzung der Grundsteuer. Gravierende sozialpolitische Probleme zeichnen sich ab.
weiterlesen …

Gegenblende Podcast

Karikatur mit einem Mann und einer Frau die an einem Tisch sitzen, auf dem Mikrofone stehen.

DGB/Heiko Sakurai

Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.

Unsere Podcast-Reihen abonnieren und hören.