Je größer das Erbe, ums so geringer die Steuern. Der Historiker Ronny Grundig skizziert, wie sehr der neoliberale Zeitgeist der 1980er und 1990er Jahre die Debatte um eine gerechte Erbschaftsteuer bis heute beeinflusst. Sein Rat: Linke und Progressive müssen die steuerfeindlichen Narrative von Konservativen und Liberalen endlich sinnvoll bekämpfen.
DGB / pexels / fuka jaz
In der Bundesrepublik Deutschland sind Vermögen im internationalen Vergleich besonders ungleich verteilt. Aufgrund der ausgesetzten Vermögen- und niedrigen Erbschaftsteuern landen diese Besitzstände oft ohne oder mit nur geringem gesellschaftlichen Anteil in der nächsten Generation. Das zementiert die soziale Ungleichheit. Ausgehend von den Denktraditionen des Sozialismus und des Liberalismus müsste es bei der Besteuerung von vererbten (und geschenkten) Vermögen eigentlich eine Allianz aus linken und liberalen Kräften geben, die für eine (hohe) Besteuerung von Erbschaften kämpfen. Warum sieht die Gegenwart gänzlich anders aus?
Um dies besser zu verstehen, hilft ein kurzer Blick zurück in die Geschichte der Erbschaftsteuer in Deutschland. Eingeführt hatte der Reichstag sie 1906 als erste direkte Reichssteuer nicht etwa zur Umverteilung von Vermögen, sondern zur Finanzierung der Flottenaufrüstung des Kaiserreichs. Charakteristisch war bereits damals der Schutz der Familie als wichtiger Bezugspunkt, der zu hohen Freibeträgen für nahe Angehörige führte. Die Steuer blieb im Verlauf der Weimarer Republik und der NS-Zeit niedrig. Die Bundesrepublik kehrte ab 1949 zu diesem Modell zurück, nachdem es unter alliierter Kontrolle eine kurze Phase mit hohen Erbschaftsteuern gegeben hatte und die unterschiedliche Behandlung von Erb*innen nach Verwandtschaftsgrad aufgehoben worden war. Eine Besteuerung von Erbschaften, so die vorherrschende Ansicht in der jungen Republik, sollte dem wirtschaftlichen Wiederaufbau nicht im Wege stehen. So gab es noch in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre politische Vorstöße, die Erbschaftsteuer komplett abzuschaffen.
In den 1960er Jahren wandelte sich das politische Klima, da wissenschaftliche Studien eine starke Konzentration der Produktivvermögen als Folge des „Wirtschaftswunders“ festgestellt hatten. Die sich daraufhin entwickelnde kritische Haltung zu Vermögensakkumulation und -verteilung sowie der Weitergabe durch Erbschaften kulminierte im Bundestagswahlkampf 1972, bei der alle im Bundestag vertretenen Parteien für eine Erhöhung der Erbschaftsteuer eintraten. Als die siegreiche sozialliberale Koalition die Steuer leicht erhöhte, nutzen die Unionsparteien ihre Bundesratsmehrheit, um die Reform abzuschwächen und besonders Familienstiftungen, ein Steuervermeidungsinstrument der Superreichen, länger steuerlich zu schonen. Der Effekt der Reform war überschaubar. Die Einnahmen aus der Steuer stiegen zwar in der Folge an, wuchsen aber deutlich weniger als die privaten Vermögen in der Bundesrepublik.
Gleichzeitig setzten sich in den 1980er und 1990er Jahren im politischen Diskurs neoliberale Ansichten durch, die Steuersenkungen forderten. Das war auch Ergebnis geschickter Lobby-Arbeit durch Unternehmerverbände, die wie der Deutsche Industrie- und Handelstag die Erbschaftsteuer als eine Gefahr für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung darstellten und so Ängste schürten. Diese Diskursverschiebung bekam eine besondere Brisanz, da ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1995 die Bewertungsverfahren für die Vermögen- und Erbschaftsteuer für verfassungswidrig erklärt hatte, da sie zu deutlicher Unterbewertung von Grund-, Immobilien- und Betriebsvermögen führten, so Erb*innen solcher Vermögenswerte privilegierten gegenüber den Empfänger*innen von Geld oder Wertpapieren und damit gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstießen.
Statt diese Ungleichheiten in der Bewertung zu beheben und die Vermögen- und die Erbschaftsteuer verfassungsrechtlich sicher zu gestalten, wird die Vermögensteuer seit 1997 nicht mehr erhoben und die reformierte Erbschaftsteuer wurde durch das Bundesverfassungsgericht wiederholt als verfassungswidrig deklariert: im Jahr 2006 aufgrund der erneuten unterschiedlichen Bewertung der Vermögensarten und 2014 aufgrund der Übervorteilung betrieblicher Vermögen bei der Besteuerung. Der Rechtswissenschaftler Felix Welti hat darauf hingewiesen, dass dieser politische Unwille auf der empirisch unzureichend untersuchten Annahme des Gesetzgebers beruht, dass es sich bei den vererbten Firmen im Regelfall um kleinere und mittlere Familienunternehmen handle, die seit vielen Generationen in gleicher Eigentümerschaft seien und den Kern der deutschen Wirtschaft ausmachten. Die (Selbst-)Bezeichnung als Mittelständler wird allerdings in Deutschland auch für Firmen genutzt, die Milliarden Wert sind.
Statt das Problem nachhaltig zu lösen, setzten verschiedene Bundesregierungen auf steuerpolitische Flickschusterei, die vor allem Vermögenden half. Die Umstellung der Bewertungsverfahren und einzelne Steuerprivilegien haben das Erbschaftsteuergesetz derart verkompliziert, dass es für spezialisierte Finanzdienstleister*innen deutlich leichter geworden ist, Lücken im Gesetz zur Steuervermeidung auszunutzen. Wer über 20 Millionen Euro erbt, zahlt im Schnitt nur zwei Prozent Erbschaftsteuer, während es bei einem Betrag zwischen 250.000 und 500.000 Euro etwa zehn Prozent sind.
Eine solche Steuerpolitik ist nicht alternativlos. Auf der konkreten (steuertechnischen) Ebene ist eine Vereinfachung der Steuer dringend notwendig, um die Privilegierung der reichsten Erb*innen bei der Steuerzahlung zu beenden: weniger Ausnahmen und Steuerprivilegien und gleiche Freibeträge für alle Erb*innen unabhängig vom Verwandtschaftsgrad. Im Gegenzug müssten beim Wegfall von Privilegien auch die Steuersätze sinken, die dann aber auch tatsächlich Anwendung finden. Eine progressive Besteuerung ist auch weiterhin wünschenswert, allerdings ist selbst ein Modell mit Einheitssteuersatz (flat tax) besser als das gegenwärtige System, das zwar hohe, progressive Steuersätze hat, die aufgrund der Ausnahmeregelungen aber nicht angewendet werden und stattdessen reiche Erb*innen profitieren.
Abseits der technischen Regelungen ist mir ein anderer Punkt wichtig. Progressive und linke Kräfte müssen versuchen, eine neue positive Haltung zu Steuern zu verankern. Die jahrzehntelange steuerfeindliche Propaganda wirtschafts- bzw. neoliberaler und konservativer Kräfte hat sich in den Köpfen festgesetzt und bestimmt den öffentlichen Diskurs. Eine progressive Linke muss dieser Anti-Haltung alternative Gesellschaftsentwürfe entgegenstellen, die sich klar kommunizieren lassen. Um Menschen zu überzeugen, reicht es nicht aus, Besteuerung mit dem bloßen Verweis auf abstrakte Konzepte wie soziale Gerechtigkeit oder Chancengleichheit zu bewerben. Es braucht konkrete Ziele für die Zukunft und klare Wege, wie man sie erreichen möchte. Nur in einem kohärenten Gesamtbild wird es möglich sein, vermögensbezogene Steuern als ein strategisch wichtiges Mittel positiv zu verankern.
DGB/Heiko Sakurai
Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.