Deutscher Gewerkschaftsbund

11.12.2017

Wohlhabende brauchen kein zusätzliches Geld

Wer die Armut in Deutschland wirklich bekämpfen will, darf nicht auf das Bedingungslose Grundeinkommen setzen. Die derzeit diskutierten Modelle lassen Vermögende finanziell ungeschoren und sorgen nicht für sozialen Ausgleich.

 

Kommentar von Christoph Butterwegge

Wortwolke zum Grundeinkommen

Das Grundeinkommen als Wortwolke nach einem Text von seinem Verfechter Götz Werner. DGB/dah/wortwolken.com

Momentan wird wieder vermehrt über das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) diskutiert. Es handelt sich um einen steuerfinanzierten Universaltransfer, den alle BürgerInnen erhalten sollen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, ohne dass ihre Bedürftigkeit geprüft würde und sie zur Erwerbsarbeit verpflichtet wären. Gegenwärtig haben BGE-Modelle vor allem deshalb Hochkonjunktur, weil sie dem neoliberalen Zeitgeist entsprechen, also die Freiheit des (Wirtschafts-)Bürgers nicht gefährden. Sie glorifizieren vielmehr „Privatinitiative“, „Eigenverantwortung“ und „Selbstvorsorge“.

Gleichzeitig problematisieren die BGE-Modelle die tradierten Mechanismen der kollektiven Absicherung von Lebensrisiken, auf die prekär Beschäftigte und Erwerbslose angewiesen sind. Dabei hinterlassen sie auf den ersten Blick nicht einmal den Eindruck sozialer Kälte. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen wird suggeriert, dass ein politischer Befreiungsschlag möglich sei. Dem ist aber nicht so. Aufgrund seiner mangelnden Treffsicherheit und Zielgenauigkeit ist das Grundeinkommen kein geeignetes Mittel, um Armut und soziale Ungleichheit in Deutschland zu bekämpfen, sondern ein Instrument, das den Sozialstaat zerstören würde.

Die Erwerbsarbeit geht auch jetzt nicht aus

Unter dem Schlagwort „Digitalisierung“ avanciert das Grundeinkommen zum Rettungsanker in einer aus den Fugen geratenen Welt. Modebegriffe wie „Industrie 4.0“ oder „Internet der Dinge“ evozieren Bilder einer menschenleeren Fabrik und Horrorszenarien, wonach die künftige Herrschaft der Algorithmen für einen Großteil der Bevölkerung sämtliche Verdienstmöglichkeiten beseitigt. Dabei ist jegliche Panikmache unangebracht, weil der Gesellschaft auch bei früheren wissenschaftlich-technischen Umbrüchen wie der Mechanisierung, der Elektrifizierung und der Motorisierung nie die Erwerbsarbeit ausging, obwohl an vergleichbaren Schreckensvorstellungen kein Mangel herrschte.

Riesenplakat auf einem Platz in Genf liegend. Der Text: "What would you do if your income were taken care of?"

Die Aktivisten für das Grundeinkommen sind einer Weile sehr aktiv, so auch hier in Genf mit einem Riesenplakat vor einem Jahr. Generation Grundeinkommen/Flickr/CC BY 2.0

Ausgerechnet die einflussreichsten BGE-Modelle laufen auf eine Zerschlagung des Sozialstaates hinaus. Dabei soll der Sozialstaat Bedarfsgerechtigkeit schaffen, Lohnersatzleistungen bereitstellen, die den Lebensstandard von Erwerbslosen halbwegs sichern, und die Lebensleistung von RuheständlerInnen durch Zahlung einer Rente oder Pension anerkennen. Dagegen sieht das Grundeinkommen von den konkreten Arbeits- und Lebens-, Einkommens- und Vermögensverhältnissen seiner BezieherInnen ab, da es allen Menschen in gleicher Höhe gezahlt würde – ganz egal, ob es sich im Einzelfall um einen Multimilliardär oder eine Multijobberin handelt.

Ein Ziel der Neoliberalen wäre erreicht: der Minimalstaat

Wenn dank des Grundeinkommens fast alle bisherigen Transferleistungen zu einer Leistung verschmolzen würden, wäre das Ziel neoliberaler Reformer geradezu nebenbei erreicht: ein „Minimalstaat“. Tarifverträge, Kündigungsschutz und Mindestlöhne könnten entfallen. Was zahlreichen Erwerbslosen als „Schlaraffenland ohne Arbeitszwang“ erscheint, wäre ein wahres Paradies für Unternehmer, in dem die abhängig Beschäftigten weniger soziale Rechte geltend machen könnten und ihre Gewerkschaften als Machtfaktor ausfielen.

Bekämen alle BürgerInnen vom Staat 1.000 Euro pro Monat, nähme zwar die absolute, nicht jedoch die hierzulande grassierende relative Armut deutlich ab. Vielmehr würde die von der EU bei 60 Prozent des mittleren Einkommens angesetzte Armutsrisikoschwelle bloß so weit nach oben verschoben, dass man ihr mit diesem Betrag allein nahe bliebe. Um dies zu ändern, müsste man trotz Grundeinkommensbezugs erwerbstätig sein, wodurch ein indirekter Arbeitszwang fortbestünde.

Thomas Straubhaar

Neokonservative Ökonomen wie Thomas Straubhaar finden das Bedingungslose Grundeinkommen toll. Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft/Flickr/CC BY-ND 2.0

Während das Grundeinkommen die absolute Armut verringern könnte, unter der viele Menschen in Ländern des globalen Südens leiden, ist es für Länder des globalen Nordens kaum geeignet. Denn hier spielt diese Extremform der Armut eine untergeordnete Rolle. Stattdessen dominiert die relative Armut. Um diese zu verringern, muss man den Reichtum antasten, sprich: riesige Geldsummen umverteilen. Das tut ein bedingungsloses Grundeinkommen aber gerade nicht, weil es Hochvermögende finanziell ungeschoren lässt und keinen sozialen Ausgleich vornimmt.

Das bedingungslose Grundeinkommen würde als ein Kombilohn für alle wirken, weil der Staat für die Regeneration der Arbeitskraft aufkäme und die Unternehmer entsprechend weniger dafür aufwenden müssten. Da die Menschen nicht bloß arbeiten, um ihre Existenz zu sichern, sondern auch, weil sie darin ihren Lebenssinn sehen und der Gesellschaft etwas zurückgeben möchten, dürften die meisten BGE-EmpfängerInnen an einer Weiterbeschäftigung interessiert sein. Der ausufernde Niedriglohnsektor ist seit der Jahrtausendwende und den Agenda-2010-Reformen das Haupteinfallstor für die Erwerbs- und die spätere Altersarmut in Deutschland. Er würde durch das Grundeinkommen womöglich noch expandieren.

Sozialleistungen verbessern, Repressalien beseitigen

Mittels einer Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip, wie sie das Grundeinkommen repräsentiert, kann man weder die Kluft zwischen Arm und Reich schließen noch den Zusammenhalt der Gesellschaft stärken. Nötig wäre vielmehr eine bedarfsgerechte Konzentration staatlicher Ressourcen auf Menschen, die Unterstützung benötigen, um in Würde zu leben. Wohlhabende, Reiche und Hyperreiche hingegen brauchen kein Geld zusätzlich, sondern sollten stärker in die Pflicht genommen werden: durch einen höheren Spitzensteuersatz, die Wiedererhebung der Vermögensteuer, eine progressive Ausgestaltung der Kapitalertragsteuer sowie eine konsequentere Besteuerung großer Erbschaften und Schenkungen.

Es kommt darauf an, die bestehenden Sozialleistungen zu verbessern und die damit verbundenen Repressalien zu beseitigen, was zwar nicht mühelos durchsetzbar ist, aber realistischer als jedes Grundeinkommensmodell auf einem vergleichbaren Leistungsniveau. Statt den bestehenden Sozialstaat durch ein gesellschaftliches Großexperiment mit zweifelhaftem Ausgang zu ersetzen, sollte man ihn zu einer solidarischen Bürgerversicherung weiterentwickeln.

 

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Eine umfassendere Kritik des Verfassers am bedingungslosen Grundeinkommen findet sich im Heft 12/2017 der Zeitschrift „Soziale Sicherheit“, die Mitte Dezember erscheint.


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Kurzprofil

Christoph Butterwegge
Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt und das Buch „Hartz IV und die Folgen“ veröffentlicht. Zuletzt ist von ihm „Die polarisierende Pandemie. Deutschland nach Corona“ erschienen.
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