Die britische Regierung will das Streikrecht massiv einschränken. Arbeiter sollen während eines Streiks zur Arbeit gezwungen oder entlassen werden können. Die englischen Gewerkschaften haben den 1. Februar zum Tag für das Streikrecht ausgerufen. Peter Kern schreibt, um was es geht.
TUC
Die im nationalen Gesundheitswesen Beschäftigten sind während der Corona-Pandemie von der Regierung hoch gelobt worden. Nun, da sie für mehr Geld streiken, schlägt die Belobigung ins Gegenteil um. Die Tory-Regierung antwortet auf die Streikwelle mit einem das Streikrecht massiv einschränkenden Gesetzesentwurf. Bringen die Konservativen ihr Minimum Services Bill durch, oder sind die abhängig Beschäftigten mit ihren Gewerkschaften stark genug, den neu aufgelegten Thatcherismus abzuwehren?
Das Gesetz will der Regierung im Falle von Streiks eine Handhabe geben, damit öffentliche Dienstleistungen Basisfunktionen aufrechterhalten können, so der Wirtschaftsminister im Unterhaus. Eine Gewerkschaft soll im Streikfall gezwungen werden, einen Teil ihrer Mitglieder an die Arbeit zu schicken, um so einen Mindestbetrieb zu garantieren. Es geht um die systemrelevanten Branchen, neben dem Gesundheitswesen um die Eisenbahn, den Bildungsbereich, die Feuerwehren, den Transportsektor. Es sind genau jene Branchen, die in den vergangenen Monaten am meisten gestreikt haben. Dass während solcher Streiks, wie in der Vergangenheit auch, den worst case ausschließende Notfallpläne existierten, interessiert den Gesetzgeber nicht. Er will sich mit Macht ein Durchgriffsrecht schaffen, das ihm in seinem Arsenal bisher noch fehlt.
Streiken zum Beispiel Lehrer, kann sich die Schulleitung von der Regierung ermächtig sehen, dem Lehrerkollegium eine Anzahl von Unterrichtsstunden abzuverlangen, die eine Art Grundversorgung gewährleisten sollen. Weigert sich jemand, als Streikbrecher zu fungieren, droht ihm die fristlose Kündigung. Die Gewerkschaften sprechen von der Einführung von Zwangsarbeit. Ihnen droht mit dem Gesetz, dass man sie künftig in Regress nehmen kann. Eine Schule klagt auf Schadensersatz wegen ausgefallener Schulstunden? Der neue Thatcherismus hat neue Ideen auf Lager.
Margaret Thatcher und ihre Tories sahen ihr politisches Ziel darin, die damals noch starken Gewerkschaften zu schwächen, indem sie Gesetze erließen, die es sehr erschwerten, Streiks zu organisieren. Das Minimum Service Bill haut in die gleiche Kerbe. Kommt es durch, haben die öffentlichen und privaten CEO’s bestreikter Betriebe das Recht, Beschäftigte namentlich zu benennen, die während eines Streiks zur Arbeit verpflichtet sind. Der Trade Union Congress, der britische DGB, schreibt in seinem Aufruf: "Rishi Sunak versucht, sein gewerkschaftsfeindliches Gesetz zur Entlassung von Schlüsselkräften innerhalb weniger Wochen durch das Parlament zu bringen. Das bedeutet, dass Arbeiter, wenn sie demokratisch für einen Streik stimmen, zur Arbeit gezwungen und entlassen werden könnten, wenn sie es nicht tun. Das ist falsch, nicht praktikabel und mit ziemlicher Sicherheit illegal. Wir müssen dieses Gesetz stoppen." Der Aufruf erfolgt für den 1. Februar, den die TUC als Tag zum Schutz des Streikrechts deklariert.
Die Regierung des Premierministers steht unter Druck. Die Streikwelle geht auf keine Laune wiedererstarkter Gewerkschaften zurück, sondern auf die gestiegenen Lebenshaltungskosten. Die Zahl der streikenden Gewerkschaftsmitglieder ist so hoch wie seit einer Generation nicht mehr. Die jährliche Inflationsrate für Lebensmittel ist so hoch, wie seit 45 Jahren nicht mehr; sie lag im November bei über 16 Prozent. Die hohen Kosten für Gas und Strom sind für viele in den schlecht bezahlten Lohngruppen eine Katastrophe. Laut dem Office for National Statistics müssen 7,2 Millionen Haushalte mit niedrigem Einkommen auf das Nötigste verzichten, und 4,7 Millionen sind mit ihren Rechnungen im Rückstand. Die einkommensschwachen Haushalte sind gezwungen, ihre Ausgaben für das Heizen der Wohnungen einzuschränken.
Zehntausende haben in den vergangenen Monaten in Großbritannien gestreikt, darunter Eisenbahner, Call-Center-Agents, Uni-Dozenten, Sanitäter, Flughafenangestellte, Grenzschutzpersonal, Fahrlehrer, Busfahrer und Postarbeiter. Sie alle haben höhere Löhne verlangt. Und es streikt nicht nur England, sondern Großbritannien, schottische Lehrer, nordirische Pflegerinnen, walisische Rettungssanitäter. Die erfolgreichen Ausstände des vergangenen Jahres finden ihre Fortsetzung. Die von der Branchengewerkschaft Unite vertretenen Beschäftigten von Großbritanniens größtem Containerhafen in Felixstowe erstritten eine Lohnerhöhung von 8,5 Prozent und 1.000 englischen Pfund. Die Hafenarbeiter von Liverpool nahmen ihre Arbeit erst wieder auf, nachdem sich ihre Löhne um mehr als 14 Prozent erhöhten.
Führen diese Kämpfe auch dazu, den grassierenden Rassismus einzudämmen? Laut einer britischen Gewerkschaftsstudie haben 41Prozent der einer Minderheit angehörenden Beschäftigten in den letzten fünf Jahren Rassismus am Arbeitsplatz erlebt. Viele junge Schwarze arbeiten an den ganz unsicheren und ganz mies bezahlten Arbeitsplätzen. Bella Fashola, Zugreinigerin an einem Bahnhof in Sussex, sieht beides als ihren Job an, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu erstreiken und eine Belegschaft aus 40 Nationen zusammenzubringen. Ihr täglicher Job besteht darin, in ungefähr acht Minuten Zeit einen Zug zu reinigen – Müll von den Sitzen und vom Boden zu entfernen, die Tische zu säubern, die Mülleimer zu leeren und die Toiletten zu reinigen. Ihr politischer Job besteht darin, das Betriebsklima von den wechselseitigen Animositäten zu reinigen. Sie ist dabei erfolgreich gewesen. Ihr Ausstand vom letzten Jahr wurde Streik der Vereinten Nationen genannt.
DGB/Heiko Sakurai
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