Deutscher Gewerkschaftsbund

16.10.2017

Neue Chance für die Gewerkschaften

Während die schwarz-gelb-grünen Koalitionsverhandlungen im Bund noch nicht einmal begonnen haben, will die neue Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein den Mindestlohn schon abschaffen. Für ArbeitnehmerInnen verheißt das nichts Gutes. Doch es gibt auch Grund zur Hoffnung.

Kommentar von Daniel Haufler

Karikatur mit einem kleinem Boot, an dem auf vier Seiten ein Motor in einer anderen Farbe ist, um in jeweils eine andere Richtung zu steuern.

DGB/THomas Plaßmann

„Das Warten ist die grausamste Vermengung von Hoffnung und Verzweiflung, durch die eine Seele gefoltert werden kann.“ Das schrieb der weise französische Literaturnobelpreisträger Sully Prudhomme schon vor über 100 Jahren – und da wusste er noch nicht einmal, wie es mühselig es sein kann, wenn Parteien erst einmal lange warten, bevor sie sondieren, um dann vielleicht zu verhandeln und schließlich unter Umständen zu koalieren. Oder eben auch nicht. Bislang jedenfalls, und nach der Niedersachsen-Wahl noch mehr als zuvor, blicken fast alle „enttäuscht und sehn betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen“ (Bertolt Brecht). Geredet wird zwar viel, aber meist nur innerhalb der Parteigremien, gefordert wird auch einiges nach außen, aber nur, um die eigenen Anhänger zu beruhigen. Von den ersten Sondierungsgesprächen in dieser Woche ist daher wenig zu erwarten.

Ratlose Parteien auf Sinnsuche

Die Parteien wirken so paralysiert wie lange nicht. Und daran wird sich wenig ändern, wenn in den nächsten Wochen endlich Union, FDP und Grüne über eine mögliche Koalition verhandeln. Ja selbst danach dürften die politischen Debatten meist nicht gerade vorwärtsgewandt sein. Denn in weniger als einem Jahr stehen für die Unionsparteien die wichtigen Landtagswahlen in Hessen und Bayern an. Da wollen CDU und CSU jedes Risiko vermeiden, um keinesfalls noch mal von den WählerInnen abgestraft zu werden. Auf der anderen Seite muss sich die Sozialdemokratie noch langsam zurechtfinden mit ihrer Oppositionsrolle. Davon ist sie durchaus noch ein Stück entfernt, wie man gerade erst sehen konnte, als Noch-Außenminister Sigmar Gabriel ein fünfseitiges Positionspapier zur Europapolitik vorlegte, das in ein paar Tagen schon irrelevant sein wird.

Christian Lindner

FDP-Chef Christian Lindner will für die ArbeitnehnerInnen wenig tun, außer den Mindestlohn am liebsten abschaffen. DGB/mattiskaminer/123rf.com

In dieser Situation wird es wichtiger denn je sein, dass die Gewerkschaften die Interessen der ArbeitnehmerInnen nachdrücklich vertreten. Bisher hat die SPD in etlichen Fragen von der Rente bis zum Mindestlohn wesentlich dazu beigetragen, doch künftig kann sie die Regierungspolitik nicht mehr mitbestimmen. Von Schwarz-Gelb-Grün hingegen können die Gewerkschaften nicht viel erwarten. Die Union ist in der Sozialpolitik recht uneins, die FDP immer noch die Partei der Deregulierungen und Steuersenkungen für Unternehmer und die Grünen sind ein zumindest schwieriger Partner, da sich ihre wirtschafts- und umweltpolitischen Vorstellungen von denen mancher Gewerkschaften, allen voran der IG BCE etwa beim Braunkohleausstieg, deutlich unterscheiden.

Nichts Gutes für ArbeitnehmerInnen

Wie wenig sich eine Jamaika-Koalition um Beschäftigte mit niedrigen Einkommen schert, führt gerade die neue Regierung in Schleswig-Holstein aufs Schönste vor. Sie hat beschlossen den von Rot-Grün und SSW eingeführten Landesmindestlohn erst einzufrieren und dann ab 2019 abzuschaffen. Zudem wird die Dokumentationspflicht im Mindestlohngesetz laut Koalitionsvertrag als „besondere Belastung für den Mittelstand“ gegeißelt. CDU, FDP und Grüne wollen daher für Teilzeitkräfte die Dokumentationspflicht per Gesetzesantrag im Bundesrat „angemessen reduzieren“. DGB-Chef Reiner Hoffmann kritisiert das zu recht scharf: „Wer die Arbeitszeit nicht dokumentieren will, will nicht weniger Bürokratie, sondern mehr Ausbeutung.“

Jürgen Trittin

Kein einfacher Partner für die Gewerkschaften werden die Grünen sein, hier Jürgen Trittin. Stephan Röhl/Flickr/cc-by-sa

Die ArbeitnehmerInnen werden in den kommenden vier Jahren keinen verlässlichen Bündnispartner in der Bundesregierung haben. Diese Aussage gilt, auch wenn man davon ausgeht, dass CDU und CSU ihre WählerInnen in der Arbeitnehmerschaft nicht vollends enttäuschen wollen und die Grünen kürzlich bei einem Treffen mit dem DGB großmütig versprachen, „die Menschen mit ihren Bedürfnissen und Sorgen ernst zu nehmen“ und „darauf pochen, die soziale Sicherheit in unserem Land zu verbessern. Dazu gehört der Einstieg in die Bürgerversicherung, ein sozialer Arbeitsmarkt, ein Mindestlohn ohne Ausnahmen, der verstärkte Kampf gegen Kinderarmut, eine gerechte Rente und Equal Pay.“ Das allerdings hat nicht unbedingt höchste Priorität für die Grünen. Und dann wäre das ja noch die FDP, deren Chef Christian Lindner sich beim IG-BCE-Gewerkschaftstag gerade so eben ein Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft abringen ließ.

Wer kämpft für Arbeitnehmerrechte?

Kurzum: Die neue politische Konstellation fordert noch mehr Engagement von den Gewerkschaften, bietet aber auch neue Chancen. Schließlich hat der DGB zu den entscheidenden sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen ausgearbeitete und praxistaugliche Konzepte im Angebot. Sie gewinnen an Gewicht, wenn von der Regierung wenig Konkretes in einem Koalitionsvertrag zu erwarten ist – oder sogar arbeitnehmerfeindliche Initiativen wie in Schleswig-Holstein. In dieser Konstellation wird außerdem Funktion und Bedeutung der Gewerkschaften in den politischen Kontroversen unserer Zeit deutlicher als in den vergangenen Jahren: als wichtigster Bündnispartner im Kampf für Arbeitnehmerechte. Das immerhin ist eher Grund zur Hoffnung als zur Verzweiflung.

Logo des DGB anlässlich der Bundestagswahl 2017; Schriftzug: "Jetzt gerecht - Du hast die Wahl!"

DGB


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Kurzprofil

Daniel Haufler
Daniel Haufler ist freier Autor und war bis September 2021 verantwortlicher Redakteur der Gegenblende.
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Karikatur mit einem Mann und einer Frau die an einem Tisch sitzen, auf dem Mikrofone stehen.

DGB/Heiko Sakurai

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