Ein reiches Land wie Deutschland sollte dazu im Stande sein, auch armen Menschen soziale Teilhabe zu gewährleisten. Dieses Ziel hat die Bundesregierung jedoch aus den Augen verloren. Das widerspricht dem Grundgedanken der Menschenrechte.
Arme Kinder in den USA, aufgenommen von Walker Evans 1936 in Alabama. Library of Congress
Menschenrechte stehen allen Menschen zu. Unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und ihrer Herkunft, ihrem Einkommen und Vermögen. Sie können weder abgesprochen noch aberkannt werden. Der Einzelne kann selbst darüber entscheiden, ob er seine Rechte ausüben möchte, aber der Staat ist der Garant für diese Rechte. Daher bedarf es auch im Armutsdiskurs eines Paradigmenwechsels, Menschen in Armut sind Rechtsträger und keineswegs nur Hilfeempfänger. Daran gilt es immer wieder zu erinnern.
In den Debatten über Armut wird Teilhabe spätestens seit Amartya Sens Schriften diskutiert. Die Teilhabedimension als Armutskriterium wurde sogar von der EU und dann von der Bundesregierung im dritten Armuts- und Reichtumsbericht hochgehalten. Doch da sie für die Messung der Teilhabe neue, schwierige Wege beschreiten müssten, haben EU wie Bundesregierung das Thema Teilhabe und Chancengleichheit für Arme nicht weiter verfolgt.
Gibt es ein Menschenrecht auf soziale und kulturelle Teilhaben? Das Bundesverfassungsgericht hat es klar in seiner Entscheidung zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gesagt. Der Mensch existiert nur in sozialen Bezügen. Und dieses Recht wird dem einzelnen Menschen in vielen Menschenrechten garantiert, sei es im Recht auf soziale Sicherheit oder auch im Recht auf einen adäquaten Lebensstandard. Für Menschen in Armut jedoch sind die menschenrechtlichen Prinzipien Partizipation, Teilhabe, Inklusion und der Zugang zum Recht nicht voll gewährleistet.
Ein armes Kind wie dieses aus dem Amerika während der Wirtschaftskrise gibt es hierzulande auch heute. Das Bild ist von Dorothea Lange aus dem Jahr 1936. Library of Congress
Höchstes Ziel muss aber eine inklusive Gesellschaft sein. Die Diskussion um Inklusion rund um die Behindertenrechtskonvention und hier insbesondere das Recht auf Bildung ist zu eng gefasst. Es geht darum, eine inklusive Gesellschaft für alle zu schaffen. Das heißt: Nicht der einzelne passt sich an, sondern die Gesellschaft wird passend gemacht, sodass jeder in seiner Fasson Teil der Gesellschaft sein kann.
Das muss auch bei Armut gelten. Denn sie ist ein Hindernis, sozial teilzuhaben. Arme Menschen schämen sich ihrer Armut und treten auch aus diesem Grund oft nicht in Erscheinung. Da sie nicht mitmachen können, ziehen sich Arme immer weiter zurück und isolieren sich. Dies gilt es abzubauen und womöglich gar durch positive Diskriminierung –also eine Art Besserstellung – zu überwinden.
Was ist unter sozialer und kultureller Teilhabe zu verstehen? Soziale und kulturelle Teilhabe kann vieles sein. Ich gehe ins Theater oder ins Kino, ich leiste mir einen Kaffee mit Freunden oder ein Bier im Biergarten. Ich nehme via Internet am sozialen Leben in sozialen virtuellen Netzwerken teil. Dies sind alles Möglichkeiten, die für Menschen mit weniger Einkommen und Vermögen oft schon unerreichbar sind.
Für Kinder ist es besonders hart, wenn sie durch die geringeren Möglichkeiten der Teilhabe beispielsweise in Klassenverbund stigmatisiert werden, auch wenn es ein Bildungs- und Teilhabepaket gibt. Ihnen wird aber aufgrund der geringeren Teilhabechancen auch der Zugang zu Rechten wie Bildung, Gesundheit und angemessenem Lebensstandard erschwert. Sie nehmen die Einladung zum Kindergeburtstag nicht an, weil sie kein Geschenk mitbringen können. Wenn Kinder nicht teilhaben können, sind Exklusion und die Verringerung ihrer Chancen auf Gleichheit im Leben vorhersehbar.
Teilhabe ist für Arme so unerreichbar wie ein Weihnachtsstern aus Indien. CRE@!V!TY, Flickr
Altersarmut ist ein Thema, das jetzt im Wahlkampf gerade wieder an Aktualität gewinnt. Am meisten betroffen sind Gruppen, die unterbrochene Erwerbsbiografien vorweisen. Insbesondere alleinlebende ältere Frauen, Alleinerziehende und Ältere mit Migrationsgeschichte. Auch hier ist die Teilhabedimension noch mal verändert, denn viele Ältere haben kaum noch Möglichkeiten ihre Teilhabe alleine zu bewältigen, sie benötigen Begleitung oder Assistenz.
Hier können wir eine Anleihe an der modernsten Menschenrechtskonvention, der UN Behindertenrechtskonvention, machen. Denn dort heißt es, dass zur Teilhabe der Staat auch angemessene Vorkehrungen im Sinne von Assistenzleistungen erbringen muss, um die Teilhabe zu ermöglichen.
Ein reiches Land wie Deutschland kann es sich leisten, die strukturellen Rahmenbedingungen für die soziale Teilhabe von armen Menschen zu schaffen. Wenn es das nicht tut, wird eine Gruppe von der Gesellschaft abgehängt. Dies ist für keine Gesellschaft gut und widerspricht vehement dem Grundgedanken der Menschenrechte, dass wir ein menschenwürdiges Leben für alle erreichen.
DGB/Heiko Sakurai
Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.