Deutscher Gewerkschaftsbund

24.06.2021

Eine amerikanische Krise

Die Demokratie befindet sich in den USA in einer fundamentalen Krise. Die Republikanische Partei baut demokratische Rechte ab, wo sie nur kann, und verhindert eine dringend nötige Wahlrechtsreform. Hoffnungslos ist die Lage nicht. Als demokratisches Vorbild für die Welt taugt das Land so aber nur sehr bedingt.

 

Von Thomas Greven

Donald Trump geht in die Richtung und hebt eine Hand leicht zum Gruß. Er trägt einen dunkelblauen Anzug.

Er ist mittlerweile weitgehend von der Bildfläche verschwunden. Doch sein Einfluss ist noch so groß, dass die Republikanische Partei seine Lüge weiter verbreitet, er sei der eigentliche Wahlgewinner, und radikale Kandidaten unterstützt, die Trump-Anhänger sind. DGB/Archiv

Es grenzte schon an Hohn. Vladimir Putin und Xi Jinping warfen US-Präsident Joe Biden vor seiner Europa-Reise vor, er wolle mit seiner härteren Haltung gegenüber Russland und China nur von der Polarisierung im eigenen Land ablenken. Schließlich befördern gerade sie nach Kräften diese Polarisierung, etwa mit Desinformationskampagnen, und profitieren von der mangelnden Geschlossenheit der amerikanischen Bevölkerung, die sich auch in der Außenpolitik zeigt.

De Hegemonie der Republikaner in der Wirtschaftspolitik scheint gebrochen

Das heißt allerdings nicht, dass nicht etwas dran ist. Biden ist zwar mit seiner Krisenpolitik und seiner souverän-entspannten Professionalität gut in seine Präsidentschaft gestartet, obwohl ihm kein wirklicher "Honeymoon" von Seiten der Republikaner vergönnt war. Inzwischen fällt ihm jedoch die Umsetzung innenpolitischer Prioritäten wie seines Infrastrukturplans zunehmend schwerer. Er wäre nicht der erste Präsident, der sich auf Außenpolitik verlegt, um der politischen Blockade in Washington auszuweichen.

Vor allem kann die Wahrnehmung einer demokratiegefährdenden Polarisierung in den USA die Glaubwürdigkeit von Bidens außenpolitischen Hauptanliegen untergraben. Er will die USA wieder als demokratische Führungsnation etablieren; und es wirkt in der Tat zumindest widersprüchlich, in der Welt die Segnungen der Demokratie anzupreisen, wenn es um diese daheim nicht sonderlich gutsteht. Andererseits sind offen und auch scharf ausgetragene Auseinandersetzungen ein wesentliches Merkmal liberaler Demokratien. Mit Harry S. Truman kann man sagen, dass gerade das Amt des Präsidenten nichts für Zartbesaitete und schon gar nichts für dünnhäutige Autokraten ist: "If you can’t stand the heat, get out of the kitchen" (Wenn Sie die Hitze nicht ertragen, verlassen Sie die Küche). Wie steht es also um die amerikanische Demokratie?

Einerseits scheint die Hegemonie der Republikaner in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik zumindest teilweise gebrochen. Die Profilierung des politischen Programms der Demokraten ist ein gutes Zeichen. Verkürzt gesagt lässt das Erstarken des linken Flügels um Bernie Sanders jedenfalls nicht erwarten, dass die Demokraten ihre Mehrheiten einsetzen, um faktisch Programme der Republikaner umzusetzen – so wie bei Obamas Gesundheitsreform, die ursprünglich von der konservativen Heritage Foundation konzipiert wurde. Auch die Erhöhung von Steuern ist kein Tabu mehr. Damit gerät Gore Vidals berühmte Aussage ins Wanken, dass es eigentlich nur eine Partei in den USA gebe, die Partei des Privateigentums, mit zwei rechten Flügeln. Kurz: Der Raum des politisch Denkbaren hat sich erweitert. Es bleibt abzuwarten, ob daraus auch politisch Machbares erwächst.

Joe Biden steht in seinem Büro, dem Oval Office. Rechts und links von ihm stehen junge Frauen und Männer hispanischen Ursprungs.

US-Präsident Joe Biden hat in seine Regierung viele Vertreter von Minderheiten eingebunden. Sie bilden auch einen Gutteil der Basis seiner Partei. Zudem setzt er sich für ein vernünftiges Einwanderungsrecht ein. Hier Empfänger des DACA-Programms (Deferred Action for Childhood Arrivals). Dank dieses Schutzprogramms von 2012 durften über 700.000 Minderjährige in den USA bleiben und auch studieren oder arbeiten, obwohl sie mit ihren Familien illegal und papierlos ins Land gekommen sind. DGB/Weißes Haus/Adam Schultz/Gemeinfrei

Ein kurzer Rückblick: Die Geschichte der amerikanischen Parteipolitik kann als Abfolge sogenannter "Re-alignments" erzählt werden, also von grundsätzlichen Neuausrichtungen der parteipolitischen Präferenzen großer Wählergruppen. Besonders wirkmächtig war seit den 1960er-Jahren die schrittweise und dann vorübergehend fast vollständige Umkehr der parteipolitischen Präferenzen in den Staaten des "alten Südens", also den Staaten, in denen Sklaverei und später Segregation ("Rassentrennung") praktiziert wurden. Je mehr sich die Demokraten von der Politik der Rassentrennung distanzierten und die Bürgerrechtsbewegung unterstützten, desto mehr wandten sich die Wähler des alten Südens von ihnen ab und den Republikanern zu, die dafür umgekehrt ihre vormalige Unterstützung afro-amerikanischer Anliegen aufgaben.

Ein konzertierter Angriff auf die demokratischen Institutionen

1968 konnte Richard Nixon mit einer Ausrichtung auf diese neuen Wählergruppen ("Southern strategy") die Präsidentschaftswahl für die Republikaner gewinnen; Ronald Reagan erweiterte die Strategie erfolgreich mit einer entsprechenden Ansprache an weiße Vorstadtbewohner. Ergebnis: Neben ihrem traditionellen immigrationsfeindlichen Nativismus wurde mehr oder weniger expliziter Rassismus Teil einer Spaltungsstrategie, mit denen die Republikaner verlässlich Wahlen gewinnen konnten, obwohl ihre Basis weißer, christlicher Wähler schrumpft. Die anderen Teile dieser Strategie sind heute: Anti-Establishment-Populismus, Islamfeindschaft (früher: Anti-Katholizismus) und die Instrumentalisierung diverser kultureller Kampfthemen wie Abtreibung und Homo-Ehe.

Nun muss dann doch von Donald Trump die Rede sein. Zwar fügte Trump dem Strategie-Mix der Republikaner neben seinem Star-Status und seiner Bereitschaft zur Entmenschlichung politischer Gegner nur noch die Skepsis gegenüber Freihandel und Militäreinsätzen hinzu, womit er sich von der Orthodoxie ausreichend absetzte, um von einem Außenseiterstatus zu profitieren. Er läutete aber wohl eine neue Art Re-alignment der amerikanischen Politik ein: die Kult-ähnliche, bedingungslose Ausrichtung auf eine Person. Wenn es schlecht läuft, kann dieser "Trumpismus" seinen Schöpfer durchaus überleben; Erben stehen schon bereit.

Aktuell befindet sich die Republikanische Partei in großen Teilen in bedingungsloser Gefolgschaft zu Trump und hat dessen „big lie“ von der angeblich gestohlenen Wahl 2020 akzeptiert. Unter dem Vorwand der Wahrung der "election integrity" läuft ein konzertierter Angriff auf die demokratischen Institutionen des Bundes, mit hunderten von Gesetzesvorhaben, aussichtsreich in von Republikanern dominierten Einzelstaaten, um nicht nur die Wahlbeteiligung von Minderheiten zu beschränken, sondern auch die Durchführung der Wahlen in die Hände der Parteien zu geben.

Wortwolke mit Worten "Liar, Crook, Overrated, President"

Die Republikanische Partei radikalisiert sich seit Jahrzehnten. Ihre Kritik an Präsident Barack Obama war stets besonders heftig, wie an dieser Wortwolke von 2013 gut zu erkennen ist. Damals war von Trump noch keine Rede. DGB/Archiv

Die Einzelstaatsparlamente sollen gar in die Lage versetzt werden, Wahlergebnisse für Bundesämter zu überstimmen, wenn Zweifel an deren Rechtmäßigkeit bestehen – mit anderen Worten: wenn wider Erwarten die Demokraten gewonnen haben. Dies, so sieht es nicht nur Donald Trump, kann nämlich ganz grundsätzlich nur auf Wahlfälschung und den Stimmen von Nicht-Wahlberechtigten beruhen.

Die Republikaner halten an ihrer Spaltungsstrategie fest

Zwar könnten sich die Republikaner an ihren strukturellen Vorteilen im Wahlmännergremium, im Senat und im Repräsentantenhaus erfreuen und ihre Wählerbasis vorsichtig über die schrumpfende weiße, christliche Bevölkerung hinaus erweitern, wie es eine interne Kommission 2012 empfohlen hat. Doch egal ob pragmatische Machtpolitiker wie Senatsminderheitsführer Mitch McConnell oder potenzielle Trump-Erben wie Floridas Gouverneur Ron DeSantis – die Republikaner scheinen fest entschlossen, an ihrer aggressiven Spaltungsstrategie festzuhalten, auch weil Trump Abweichlern glaubhaft damit droht, die auf ihn eingeschworene Wählerbasis in den Vorwahlen gegen sie aufzuhetzen.

Obwohl sicher nicht überall Trumpisten die Vorwahlen der Republikaner gewinnen, wird mit dieser Strategie eine Ausweitung der Wählerbasis erschwert. Genau deshalb wollen die Republikaner mehr Möglichkeiten, Wähler der Demokraten, vor allem Afro- und Latino-Amerikaner*innen, am Wählen zu hindern und die Auszählung der Stimmen parteipolitisch zu kontrollieren. Frei nach Stalins Motto: Es kommt nicht nur darauf an, wer wählt, sondern auch darauf, wer die Stimmen zählt. Damit stellen sie fundamental in Frage, wer die Rechte eines amerikanischen Staatsbürgers genießt.

Die amerikanische Demokratie befindet sich also in einer fundamentalen Krise. Hoffnungslos ist die Lage allerdings nicht. Während des Kalten Krieges hat sich die USA aus dem Widerspruch zwischen der im Land praktizierten Segregation und einer Außenpolitik, die von anderen Staaten Freiheit, Demokratie und Menschenrechte fordert, herausgearbeitet – wenn auch nicht vollständig. Belehrende Hinweise aus Staaten, in denen politische Opposition nicht geduldet wird, brauchen amerikanische Politiker sich jedenfalls nicht ohne Widerspruch anzuhören.


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Kurzprofil

Thomas Greven
Thomas Greven ist Privatdozent für Politikwissenschaft an der FU Berlin.
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Gegenblende Podcast

Karikatur mit einem Mann und einer Frau die an einem Tisch sitzen, auf dem Mikrofone stehen.

DGB/Heiko Sakurai

Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.

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