People-Analytics-Anwendungen können Vorteile für Unternehmen und Beschäftigte bieten. Allerdings sind die Systeme auch mit vielfältigen Risiken verbunden. Betriebsräte, Wissenschaftler*innen und Gewerkschafter*innen haben Ideen zusammengetragen, wie ein Mehrwert für alle Beteiligten entstehen kann.
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People-Analytics-Systeme beschreiben die automatisierte Auswertung von Personaldaten, um auf dieser Basis Entscheidungen zu unterstützen oder gar zu automatisieren. Die Anwendungen können etwa bei Auswahlverfahren eingesetzt werden. Die granularen Funktionen von People-Analytics-Systemen sind für Arbeitnehmer*innen und deren Vertretungen mit vielen offenen Fragen verbunden, zumal die Systeme eine sehr große Bandbreite von Einsatzbereichen abdecken, erklärt Forscher und Wirtschaftsinformatiker Dr. Joschka Hüllmann. Eben diese Vielseitigkeit und Komplexität machen es sehr schwer, Aussagen über die Systeme zu generalisieren, was auch dazu führt, dass die Wirkweisen von People Analytics nur schwer nachvollziehbar sind.
Dr. Bastian Lücke, als Experte aus der Industrie, beschreibt die Chancen von People Analytics vor allem darin, Einsichten auf der Ebene des gesamten Unternehmens zu generieren, statt die Daten auf der Ebene des Individuums auszuwerten. Zum Beispiel sei die Erkenntnis, aus welchem Grund Beschäftigte häufig das Unternehmen verlassen, wertvoller als die Erkenntnis, welche einzelnen Beschäftigten das Unternehmen voraussichtlich zeitnah verlassen werden. So lasse sich frühzeitig erkennen, wo mögliche Probleme im Unternehmen liegen und wie diese beseitigt werden können.
Im Recruitingbereich sehen Mitbestimmungsakteur*innen das Potenzial, Auswahlverfahren effizienter und objektiver zu gestalten. Die Systeme könnten so die Arbeit menschlicher Recruiter*innen erleichtern. People Analytics kann auch zu mehr Mitbestimmung führen, wenn etwa Einstellungskriterien festgelegt werden.
Das setzt jedoch Transparenz und eine Nachvollziehbarkeit der Vorschläge des Systems voraus. Schließlich birgt der Einsatz von People Analytics im Recruiting ohne entsprechende Regulierungen immer auch das Risiko, Bewerber*innen systematisch zu diskriminieren. Dies liegt bei Systemen, die auf Methoden des Maschinellen Lernens basieren, vor allem an der Abhängigkeit von historischen Datensätzen, durch die die Software „lernt“ und Handlungsempfehlungen berechnet.
Ein Beispiel hierfür ist die Identifizierung geeigneter Bewerber*innen für ein Unternehmen auf Basis von Daten über erfolgreiche Einstellungen der Vergangenheit. In diesem Fall „lernt“ das System nicht, Männer und Frauen gleichberechtigt zu betrachten, wenn in den verwendeten Datensätzen nur Informationen über erfolgreiche männliche Bewerber vorliegen. Menschliche Recruiter*innen sollten People Analytics lediglich als unterstützendes Werkzeug sehen. Sonst droht in den Augen der Mitbestimmungsakteur*innen eine „mangelnde Menschlichkeit“ in Auswahlverfahren.
Einig sind sich Mitbestimmungsakteur*innen darüber, dass dem Thema Weiterbildung in Unternehmen in den letzten Jahren zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Es besteht die Hoffnung, dass mittels People Analytics zukünftig Weiterbildung systematischer betrieben wird. Weitere Potenziale von People Analytics in diesem Bereich können darin liegen, neue Weiterbildungsbedarfe datenbasiert zu identifizieren, Schulungen passgenauer zuordnen zu können, sowie versteckten Talenten im Unternehmen sichtbar zu machen. Grundvoraussetzung, um Potenziale von People Analytics in diesem Bereich zu heben, ist eine grundsätzlich weiterbildungsfreundliche Kultur im Unternehmen.
Jedoch ist die Erhebung von Daten, die die Fähigkeiten von Beschäftigten messen sollen, für viele Mitbestimmungsakteur*innen ein potenzielles Risiko: Es besteht Sorge, dass diese Daten bei Entlassungswellen gegen die Beschäftigten eingesetzt werden. Eine wichtige Voraussetzung für einen Einsatz im Interesse der Beschäftigten ist, dass einzelne Beschäftigtengruppen nicht abgehängt oder systematisch benachteiligt werden können. Solche Szenarien drohen etwa, wenn Förderungswürdigkeit auf Basis des Alters festgelegt wird oder Beschäftigte in der Produktion keinen Zugang zu digitalen Lernsystemen erhalten. Beschäftigte dürfen zudem nicht „Opfer des Automatismus“ werden, wenn ihnen etwa durch die Ablehnungen automatisiert vorgeschlagener Weiterbildungsmaßnahmen negative Konsequenzen drohen.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, inwieweit Informationen zum Gesundheitszustand der Beschäftigten überhaupt von Relevanz für Arbeitgeber*innen sind. Zwar gelten bei der Nutzung von Gesundheitsdaten besondere Anforderungen an den Datenschutz, dennoch stößt dieser Anwendungsfall auf Kritik von Mitbestimmungsakteur*innen.
Wenn die Daten jedoch erhoben werden, könnten diese möglicherweise interessant für die Arbeit von Betriebsräten selbst werden, beispielsweise um übermäßige Belastung frühzeitig erkennen zu können.
Es ist jedoch derzeit unklar, wie ein Missbrauch der Daten, vollständig ausgeschlossen werden kann – vor allem wenn diese erst einmal erhoben worden sind. Die Einhaltung deutscher Vorgaben zur Datenerfassung und -auswertung ließe sich häufig kaum verlässlich sicherstellen, da People-Analytics-Systeme häufig im Ausland entwickelt und international ausgerollt werden.
Bei allen Diskussionen um das Thema wird deutlich: Ein kontinuierlicher Einbezug der Arbeitnehmer*innenvertretungen kann sicherstellen, dass wichtige Fragen zu den Auswirkungen von People Analytics auf Beschäftigte gestellt und frühzeitig in eine Implementierung einbezogen werden. Das kann nicht zuletzt auch die Akzeptanz neuer Systeme stärken. Auch eine Rückkopplung mit den unternehmensspezifischen Bedürfnissen ist bei einer Implementierung wichtig – der Einkauf von People-Analytics-Systemen bei Drittanbietenden wird daher von Mitbestimmungsakteur*innen kritisch beurteilt. Nicht zuletzt sollten sich menschliche Fähigkeiten und Daten gegenseitig ergänzen. Denn auch darüber waren sich die Mitbestimmungsakteur*innen einig: People-Analytics-Systeme können stets nur einen kleinen Auszug der Realität der Beschäftigten abbilden.
Hintergrund: „People Analytics in der betrieblichen Praxis“ hieß ein Workshop des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft und des FZI Forschungszentrum Informatik in Kooperation mit der IG Metall. Der Workshop war Teil eines durch die Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekts, über das wir hier bereits berichtet haben. Der Text basiert auf den Erkenntnissen dieser Veranstaltung.
DGB/Heiko Sakurai
Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.