Die Rente ist zwar sicher, doch es fragt sich, wie hoch sie sein wird. Fast die Hälfte der Menschen in Deutschland glaubt, dass sie nicht reichen wird. Und dafür gibt es gute Gründe. Die neue Rentenkommission steht also vor einer großen Herausforderung.
Eine Analyse von Markus Hofmann und Ingo Schäfer
Wer unterdurchschnittlich verdient hat, kann bei einem Rentenniveau unter 50 Pozent deutliche Einschnitte bei der Lebennsführung nur mit einem Minijob vermeiden. DGB/Atlas der Arbeit/Bartz/Stockmar, CC BY 4.0
Kaum jemand will sein ganzes Leben arbeiten. Die meisten Menschen können es schon aus gesundheitlichen Gründen nicht. Daher ist es ein Segen, dass sich vor über 125 Jahren die Idee der allgemeinen Altersvorsorge durchsetzte. Diese Aufgabe übernimmt seit 1891 die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) – sie hieß anfangs noch Rentenversicherung der Arbeiter. Eingeführt wurde sie vor allem, weil die Arbeiterinnen und Arbeiter Sicherheit im Alter oder bei Invalidität einforderten; „Invaliden“, wörtlich „Kraftlose“, hießen die Erwerbsunfähigen.
Bis dahin waren die Beschäftigten nach dem Arbeitsleben auf die Kinder und private Vorsorge angewiesen; ebenso, wenn sie nach Unfällen oder Erkrankungen nicht mehr arbeiten konnten. Da beides oft nicht ausreichte, lebten viele in Armut und Elend.
Das Prinzip der gesetzlichen Rente ist einfach: Die Beschäftigten bilden eine Solidargemeinschaft, um sich gegenseitig abzusichern. Wer arbeitet, zahlt Beiträge. Wer nicht mehr arbeiten kann, bekommt eine Rente. Die Höhe ist abhängig von der Dauer und der Höhe der gezahlten Beiträge. Ab einem bestimmten Alter, der sogenannten Regelaltersgrenze von derzeit 65 Jahren und acht Monaten, soll niemand mehr arbeiten müssen. Die Beschäftigten bekommen eine Rente, die ihren Lohn ersetzt.
Zusatzrente, Erbe, eigenes Vermögen oder das von Gatte oder Gattin - wer all dies nicht hat, ist auf die gesetzliche Rentenversicherung angewiesen. DGB/Atlas der Arbeit/Bartz/Stockmar, CC BY 4.0
Der Deutsche Bundestag hat seit den 1990er-Jahren viel an der Absicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit verändert. Der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung wurde gesenkt und bis 2030 begrenzt. Gleichzeitig hat der Bundestag den Wert der Renten im Vergleich zum Lohn gekürzt, das Rentenalter angehoben und weitere Leistungen reduziert. Im Zuge dessen ist das gesetzliche Rentenniveau bereits um etwa zehn Prozent gesunken und dürfte in den kommenden Jahren bei 48 Prozent verharren. Die Menschen sollen nun den sozialen Schutz wieder verstärkt selbst ausgleichen. Die private Altersvorsorge wird vom Staat gefördert.
Dank dieser Rentenpolitik haben etliche Rentner dieselben Probleme wie ihre Vorfahren im 19. Jahrhundert. Das Geld reicht bei Erwerbsunfähigkeit oder –minderung und im Alter nicht mehr für ein auskömmliches Leben, geschweige denn dafür, den bisherigen Lebensstandard zu halten. Rentnerinnen und Rentner können sich immer weniger leisten. Eine wachsende Zahl von ihnen ist auf ergänzende Fürsorge wie die Grundsicherung angewiesen, also auf das Sozialamt. Dieser Trend wird sich fortsetzen, wenn sich an der Rentenpolitik nichts ändert.
Hinzu kommen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Menschen sind und waren in den vergangenen Jahrzehnten häufiger arbeitslos als früher. Viele Stellen werden heute schlechter bezahlt oder nur in Teilzeit angeboten. Viele Menschen sind gar nicht mehr sozialversichert, weil sie nur einen sogenannten Minijob haben oder selbstständig sind. Wer aber wenig verdient oder gar keine Beiträge zahlt, bekommt am Ende auch wenig oder gar keine Rente. Und wer wenig verdient oder arbeitslos ist, hat oft auch kein Geld, um privat vorzusorgen. Auch deswegen haben immer mehr Menschen nur geringe Renten.
Die besten Mittel gegen Altersarmut sind Lohnerhöhungen für Geringveridende und eine Anhebung des Rentenniveaus. DGB/Atlas der Arbeit/Bartz/Stockmar, CC BY 4.0
Außerdem erhalten Beschäftigte, die aus gesundheitlichen Gründen ihren Beruf nicht mehr ausüben können, heute grundsätzlich keine Rente mehr – für Jahrgänge bis 1961 gilt eine Übergangsregelung. Stattdessen sollen die Betroffenen irgendeine Arbeit annehmen, egal wie schlecht bezahlt sie sein mag. Wer keine Arbeit findet, ist auf seine Partnerin oder seinen Partner angewiesen oder muss zum Jobcenter, um Arbeitslosengeld II (umgangssprachlich Hartz IV) zu beziehen – oft über Jahre, bis er oder sie alt genug für die Altersrente ist. Ein ähnliches Schicksal droht jenen, die wenige Jahre vor der Rente ihren Arbeitsplatz verlieren. Denn trotz aller Sonntagsreden der Arbeitgeber haben ältere Arbeitslose nur geringe Chancen, eine neue Arbeit zu finden, von der sie auch leben können.
Für eine gute Alterssicherung wäre eine neue Ordnung am Arbeitsmarkt notwendig, die für gute Arbeitsbedingungen und Tarifverträge mit hohen Löhnen sorgt. Dazu müssten grundlose Befristungen abgeschafft und unfreiwillige Teilzeit abgebaut werden. So könnten die Menschen gesund bis zur Rente arbeiten und auch danach frei von Armut leben. Wichtig wäre es zudem, Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder älteren Erwerbslosen Perspektiven für einen gut bezahlten Arbeitsplatz zu geben. Auch gilt es, die Lebensarbeitszeit nicht weiter zu erhöhen.
Entscheidend ist letztlich, ob die Bundesregierung die gesetzliche Rentenversicherung wieder stärkt. Dazu müsste sie das Rentenniveau stabilisieren und anheben. Zeiten, in denen Menschen wenig verdient haben, in denen sie arbeitslos oder in Bildungsmaßnahmen waren, dürfen nicht zu einem schlechteren Auskommen führen. Alle Beschäftigten sollten im Alter und bei Erwerbsminderung ein Leben in Würde führen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.
DGB/Atlas der Arbeit/Ellen Stockmar/Cover-Elemente: Ilya Rumyantsev/fotolia.com
Dieser Text ist ein Auszug aus dem "Atlas der Arbeit", der gerade erschienen ist.
Der Atlas steht ab sofort online unter www.dgb.de/atlas-der-arbeit
- oder auf Englisch unter: https://www.dgb.de/atlas-of-work
- oder kann gedruckt über die Hans-Böckler-Stiftung hier bestellt werden.
Die Grafiken sind auch einzeln online verfügbar unter Creative Commons Lizenz (CC BY 4.0), die genauen Angaben finden sich auf der DGB-Seite.
DGB/Heiko Sakurai
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