Deutscher Gewerkschaftsbund

11.11.2019

Nötig wäre mehr Respekt

Die große Koalition hat sich nach langem Gezerre geeinigt. Nun kommt also die Grundrente. Zur "Respektrente", wie sie die SPD gern gehabt hätte, reicht der Kompromiss jedoch leider nicht. Das ist bitter für die Betroffenen und ein Armutszeugnis für ein so reiches Land wie die Bundesrepublik.

 

Von Christoph Butterwegge

Rentner fahren auf einem Tandem im Sonnenschein auf der Straße.

Die Grundrente beschert vielen Rentner*innen etwas mehr Geld. Vielleicht reicht es auch mal für eine Tandemfahrt, für viel mehr sicher nicht. DGB/denisfilm/123RF.com

Um die aktuelle Einigung der großen Koalition auf die Grundrente zu würdigen, hilft ein Blick zurück. Zum 1. Januar 1992 haben CDU, CSU und FDP mit Zustimmung der SPD die Rente nach Mindestentgeltpunkten auslaufen lassen. Bis dahin waren Zeiten eines niedrigen Lohns in der Rente aufgewertet worden, ohne dass eine Bedürftigkeitsprüfung existiert hätte, die der Gesetzlichen Rentenversicherung wesensfremd ist. Zuletzt haben unterschiedliche Regierungskoalitionen auf Bundesebene fast zehn Jahre lang darüber gestritten, wie man Geringverdiener*innen besser stellen kann, die jahrzehntelang mit geringen Einkommen gearbeitet haben. Denn sie erwerben zu geringe Rentenanwartschaften, um eine Altersrente oberhalb der Grundsicherung im Alter zu erhalten.

Immerhin erkennt die Regierung Lebensleistung auch bei geringen Einkommen an

Keines der in diesem Zusammenhang erörterten Modelle (Zuschussrente, Lebensleistungsrente, Solidarrente oder solidarische Lebensleistungsrente) hat sich durchgesetzt. Stets gab es bei CDU/CSU oder FDP wirtschaftsnahe Kräfte, die eine Kompromisslösung blockierten. Nun feiert sich die dritte Große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür, dass sie endlich das Problem gelöst hat. Die Koalitionsspitzen einigten sich am Sonntag auf eine "Respektrente", die sich allerdings deutlich von der Respektrente unterscheidet, die Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil vorgeschlagen hatte. Dennoch halten die Koalitionäre ihr Projekt für einen "sozialpolitischen Meilenstein" im Kampf gegen die Altersarmut, wie es die kommissarische SPD-Vorsitzende Malu Dreyer überschwänglich ausdrückte.

Tatsächlich immerhin erkennt die Bundesregierung damit an, dass sich Arbeit auch für diejenigen Ruheständler*innen lohnen muss, deren Lohn für eine armutsfeste Rente selbst nach 35 Jahren der Beitragszahlung, der Kindererziehung und/oder der Pflege von Angehörigen nicht ausreicht. Etwa 1,2 bis 1,5 Millionen Kleinstrentner*innen sollen nunmehr vom 1. Januar 2021 an im Durchschnitt etwa 80 Euro im Monat zusätzlich erhalten. Freibeträge in der Grundsicherung und beim Wohngeld sollen sicherstellen, dass auch Menschen die Grundrente erhalten, die in Städten mit hohen Mieten leben.

Hubertus Heil sprich im Ministerium zur Presse.

Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil hat für die "Respektrente" gekämpft. Er kann mit dem Kompromiss nicht wirklich zufrieden sein. DGB/BMAS

Statt einer Bedürftigkeitsprüfung, die der Wirtschaftsflügel von CDU und CSU bis zuletzt verlangt hatte, steht eine „umfassende Einkommensprüfung“ auf der Grundlage von Finanzamtsdaten an. Somit bleibt den Betroffenen eine demütigende Offenlegung der gesamten Lebensumstände erspart, wie sie ja Sozialleistungsbezieher über sich ergehen lassen müssen. Die vorgesehenen Freibeträge betragen 1.250 Euro für Alleinstehende und 1.950 Euro für (Ehe-)Paare. Mit einer ergänzenden „Gleitzone" will die Koalition vermeiden, dass diejenigen komplett leer ausgehen, die den Wert von 35 Beitragsjahren knapp verfehlen. Deren Ausgestaltung ist jedoch noch ungeklärt. Ausgeschlossen von der Grundrente bleiben die – hauptsächlich betroffenen – einkommensarmen Frauen, wenn ihr Partner ein Einkommen oberhalb von circa 1.200 Euro hat. Einen Lohn für ihre Lebensleistung hätten diese Frauen aber unabhängig von den familiären Rahmenbedingungen verdient.

Problematisch am Kompromiss zur Grundrente ist die Absprache zur Arbeitslosenversicherung

Vergleicht man den jetzt gefundenen Koalitionskompromiss mit dem ursprünglichen Konzept von Hubertus Heil, so fällt auf: Nur halb so viel Bedürftige wie ursprünglich geplant werden in den Genuss der Grundrente gelangen. Ebenso halbiert hat die große Koalition die für das Projekt veranschlagten Finanzmittel. Problematisch sind auch die Nebenabreden, denen die SPD zustimmen musste, um der Union eine abgespeckte Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung abzuringen: Vorübergehend wird der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung von 2,5 auf 2,4 Prozent gesenkt. Das entlastet vor allem die Unternehmen. Bei den Arbeitnehmer*innen wird sich die Beitragssatzsenkung kaum bemerkbar machen. Ihnen wäre dagegen mehr geholfen mit einer finanzstarken Bundesagentur für Arbeit, die im drohenden Konjunkturabschwung durch Zahlung von Kurzarbeitergeld und eine digitale Weiterbildungsoffensive für eine Stabilisierung der Beschäftigungslage sorgen kann. Verdoppelt werden die staatlichen Zuschüsse für Arbeitgeber bei der Betriebsrente. Außerdem stellt der Bund bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) einen Investitionsfonds für Zukunftstechnologien bereit, dessen Volumen bis zu 10 Milliarden Euro umfasst.

Heils Plan für eine Respektrente, die den Namen verdient, hätte etwa 3,8 Milliarden Euro pro Jahr beansprucht. Zugestanden haben ihm die Unionsparteien jetzt aber nur 1 bis 1,5 Milliarden Euro. Wenn es um wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der wachsenden Altersarmut geht, die mehr Respekt für arbeitende Menschen bedeuten und ihnen nach einem langen Erwerbsleben ein Alter in Würde ermöglichen sollen, weisen konservative Politiker und wirtschaftsliberale Publizisten fast zwanghaft auf die knappen Finanzmittel des Staates hin. Gleichzeitig ist aber genug Geld vorhanden, um den Rüstungshaushalt um 5 Milliarden Euro zu erhöhen und in den kommenden Jahren fast zu verdoppeln – wenn es nach der zuständigen Fachministerin und CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer geht. Sie definiert damit letztlich die Prioritäten der Unionsparteien und dieser Bundesregierung. Es ist bitter und ein politisches Armutszeugnis, dass ein so reiches Land wie die Bundesrepublik Deutschland für die Bekämpfung der Altersarmut nur einen Bruchteil dieser Summe ausgibt.


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Kurzprofil

Christoph Butterwegge
Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt und das Buch „Hartz IV und die Folgen“ veröffentlicht. Zuletzt ist von ihm „Die polarisierende Pandemie. Deutschland nach Corona“ erschienen.
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