Bündnisse zwischen Klimaktivist*innen und Gewerkschaften sind schwierig, beim industriellen Umbau stehen Arbeitsplatzinteressen manchmal konträr zu ökologischen Dringlichkeiten. Der Soziologe Klaus Dörre ist dennoch optimistisch. In seinem neuen Buch entwirft er die Utopie eines „nachhaltigen Sozialismus” – wobei das „S-Wort” eher sprachliche Provokation ist, schreibt unser Autor Thomas Gesterkamp.
Das Ziel einer gerechten Gesellschaft mit dem Schutz der Umwelt zu verbinden ist ein Dauerbrenner linker Selbstverständigungsdebatten, das gilt auch und gerade für die Gewerkschaften. Blinde Flecken gibt es dabei auf allen Seiten. Die jungen Fridays for Future-Demonstrant*innen, oft aus saturierten bürgerlichen Elternhäusern stammend, sind nicht gerade für ihre sozialpolitische Sensibilität bekannt. Die Jobperspektiven von Braunkohlearbeitern im rheinischen Revier oder in der Lausitz sind ihnen weitgehend gleichgültig. Der Soziologe Klaus Dörre fordert deshalb einen „Labour turn” bei den Klima-Aktivist*innen – und einen „Climate turn” bei den bisher weitgehend auf die Erwerbsarbeit fixierten Arbeitnehmervertretungen.
In der Einleitung des Buches schildert der Jenaer Professor ein für ihn ermutigendes Erlebnis im überfüllten Audimax der Universität Leipzig, wo er im Mai 2019 an der Gründung der Students for Future teilnahm: „Auf die an das Publikum gerichtete Frage, ob die klimapolitisch gebotene Nachhaltigkeitsrevolution innerhalb kapitalistischer Verhältnisse möglich sei, antwortet ein vielstimmiges ‘Nein!’ Der Vorschlag, große Konzerne wegen ihrer Blockadehaltung gegenüber Klimazielen zu sozialisieren, erhält tosenden Applaus.” Einigen Veranstalter*innen, so berichtet Dörre weiter, stand deshalb „der Schrecken ins Gesicht geschrieben”, ihnen wären „weniger radikale Statements lieber gewesen”.
Ob die Vollversammlung, dem Autor zufolge ein „grandioser politischer Erfolg”, in westdeutschen Uni-Städten wie Göttingen, Heidelberg oder Münster ähnlich abgelaufen wäre – oder ob in Leipzig doch das realsozialistische Erbe des deutschen Ostens nachwirkte – darüber lässt sich nur spekulieren. Die Euphorie Dörres über „neue Allianzen” jedenfalls wirkt sympathisch und ansteckend; sein Bericht, wie die Studierenden vor Ort den Tarifkampf von ver.di für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne unterstützten, ist beeindruckend. Dass solche Kooperationen im Kontext des industriellen Umbaus flächendeckend zustande kommen und relevanten Einfluss nehmen können, ist aber sehr ungewiss. Von einem „Labour turn” unter Baumhausbewohner*innen im besetzten Hambacher Forst zum Beispiel war wenig zu spüren, eher wurden die im Tagebau Beschäftigten und ihre Interessenvertreter beschimpft oder gar körperlich attackiert. „Einige Akteure des militanten Flügels vom Bündnis `Ende Gelände`, die jede Art von Wirtschaftswachstum ablehnen, betrachten selbst die Besatzungen der Förderbrücken als feindliche Gruppierungen, die symbolischen Besetzungsaktionen im Wege stehen und mit ihrer Berufstätigkeit gezielt am Ruin des Planeten arbeiten”, beschreibt Dörre plakativ seine Erfahrungen im Brandenburger Revier.
Umgekehrt haben Sozialdemokratie und Linke die Dimension der ökologischen Krise lange unterschätzt und das Thema beiseite geschoben. Im Vergleich zum Erhalt von Arbeitsplätzen galt es eher als nachrangig. Klaus Dörre fordert, den Kampf gegen die Erderwärmung stets mit der sozialen Frage zusammen zu denken; so will er gegen die ökonomisch–ökologische „Zangenkrise” angehen. Nachhaltiges Handeln müsse „den Zwang zu immer neuen Landnahmen brechen, der im kapitalistischen Besitz als Strukturprinzip angelegt ist”, postuliert er, und schlussfolgert: „Eine Gesellschaft, die dieses Prinzip auf demokratische Weise überwindet, kann nur eine sozialistische sein.”
Sein „Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution” propagiert also nicht weniger als die Utopie eines nachhaltigen, erneuerten Sozialismus – auf der Grundlage „radikal veränderter Gesellschafts-Natur-Beziehungen”, wie es im Umschlagtext des Buches heißt. Das von Dörre bewusst provozierend genutzte „S–Wort” steht für ihn im 21. Jahrhundert „für die Suche nach einer Notbremse, die einen Zug zum Halten bringt, der mit Hochgeschwindigkeit auf den Abgrund zurast”. Zu den „Kräften progressiver Veränderung” zählt Dörre dabei explizit auch fundamentalistische Strömungen, die sich „im De- oder Post-Growth-Spektrum verorten und ihre Wurzeln bevorzugt im Kosmos anarchistisch–libertärer Ideen suchen”.
Bei aller sozialistischen Rhetorik warnt Dörre zugleich und dezidiert vor einem totalitären „Öko-Leninismus”. Denn trotz vieler Gegensätze und unterschiedlicher Interessen gibt es auf den extremen Flügeln der scheinbar so konträren Milieus auch Ähnlichkeiten – die allerdings eher beängstigend sind. Nämlich im öffentlichen Auftritt: Der Absolutheitsanspruch von Klimaaktivistinnen wie Luisa Neubauer oder Greta Thunberg („I want you to panic”) erinnert an die Allmachtsfantasien ideologisch eingemauerter linker Kader von einst. Anschauungsunterricht für solchen Dogmatismus bot und bietet auch die Corona-Krise: Die fehlende Kritik, ja teilweise sogar besonders ausgeprägte Unterstützung freiheitseinschränkender und gesellschaftliche Ungleichheit verschärfender „Schutzmaßnahmen” in grünen und alternativen Milieus lässt nichts Gutes ahnen für die Akzeptanz autoritärer Regierungsmethoden, mit denen künftig der Klimawandel bekämpft werden soll. Den Gewerkschaften könnte hier die wichtige Aufgabe eines mäßigenden Korrektivs zukommen – indem sie immer wieder auf die sozialen Folgen von einseitig ökologisch orientierten Politikkonzepten hinweisen.
Klaus Dörre: Die Utopie des Sozialismus. Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution. Matthes und Seitz, Berlin 2021. 345 Seiten, 24 Euro.
DGB/Heiko Sakurai
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