Wer Vorbilder sucht, schaut derzeit sicher nicht in die USA. Doch wer will, dass die Kunst- und Kulturszene in Deutschland auch Corona überlebt, der wird mit Blick auf den New Deal der Dreißigerjahre fündig. Dessen Programme könnten Vorbild für uns heute sein.
Von Thomas Greven
So leer stehen Opernhäuser, Theater und andere Kultureinrichtungen seit Monaten aufgrund der Covid-19-Pandemie. Die Zukunft ist ungewiss, auch wenn in reduzierter Form manche Veranstaltungen wieder stattfinden können - zumindest vorläufig. DGB/dah
Tatsächlich gab es einmal eine Zeit, in der eine US-Regierung in Washington so klug agiert hat, dass es als Vorbild für die aktuelle Krise dienen kann. Das war zur Amtszeit von Präsident Franklin D. Roosevelt. Er schaffte es während der Großen Depression in den 1930er-Jahren mit einem Repertoire an gezielten und experimentellen Maßnahmen, die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in Amerika recht erfolgreich zu bekämpfen. Diese New-Deal-Reformen konnten verhindern, was damals eine Gefahr war und heute wieder ist: das Abdriften einer etablierten Demokratie in einen autoritären oder gar faschistischen Staat. Wie dies auch in den USA passieren könnte, haben Schriftsteller wie Sinclair Lewis in "Das ist bei uns nicht möglich" ("It Can’t Happen Here") oder Philip Roth in "Verschwörung gegen Amerika" ("The Plot against America") in düsteren Szenarien skizziert. Roth' Roman ist denn auch nicht zufällig vergangenes Jahr für eine TV-Miniserie adaptiert worden.
Insbesondere auf einen Bereich möchte ich hinweisen, der jenseits von konventionellen, keynesianisch inspirierten Konjunkturmaßnahmen instruktiv für eine Post-Pandemie-Ökonomie sein kann: die Kunst- und Kulturbranche. Bisher wird sie von der deutschen Krisenpolitik recht stiefmütterlich behandelt. Zwar gibt es für sie eine Milliarde Euro im Konjunkturpaket der Bundesregierung. Im Vordergrund stehen Maßnahmen zur Alimentierung von Institutionen und Kunst- wie Kulturschaffenden. Die Hilfen sind notwendig und auch lautstark gefordert worden von einer Branche, die sich durchaus als systemrelevant versteht. Dies hat sie mit zahllosen kreativen Initiativen unter Pandemie-Bedingungen unter Beweis gestellt. Da war alles dabei von Zoom-Konzerten und -Lesungen bis hin zu – als es wieder möglich war – Theaterproben und -aufführungen unter Abstandsbedingungen.
Doch so sehr damit klar gemacht wird, welchen wichtigen Beitrag Kunst und Kultur für das Selbstverständnis und auch das Wohlbefinden einer Gesellschaft leisten, vielen Kunst- und Kulturschaffenden sind solche kreativen Lösungen nur schwer möglich. Aus der Berliner Perspektive fällt insbesondere die Club-Kultur ins Auge. Auch wenn viele DJs ihre Sets online präsentierten, der spezifische Reiz des gemeinsamen Erlebens fällt genauso weg wie die finanzielle Tragfähigkeit. Warum nicht ein politisches Programm, dass Künstlern auch unter Pandemie-Bedingungen die kreative Arbeit ermöglicht?
Das Musical "The Cradle Will Rock" - hier im Bild das Ensemble 1937 - wurde von einem Regierungsprogramm gefördert. Bertolt Brecht wollte das es politischer wird, was dem Musical den Vorwurf kommunistischer Unterwanderung eintrug und seine Aufführung gefährdete. Tim Robbins verfilmte die Geschichte 1999. DGB/Archiv
Genau hier setzte die US-Regierung in den 1930er-Jahren an. Sie schuf im Rahmen des New Deals verschiedene Behörden und Programme, die Künstlern konkrete Arbeitsmöglichkeiten verschafften – im Auftrag des Staates. Das 1933 begonnene Public Works of Art Project (PWAP) wurde ab 1935 von mehreren Programmen im Rahmen des Federal Project Number One der Works Progress Administration abgelöst, dem Federal Art Project, dem Federal Music Project, dem Federal Theater Project und dem Federal Writers' Project sowie von Programmen des Finanzministeriums zur Verschönerung von Bundesgebäuden (die Section of Painting and Sculpture und das Treasury Relief Art Project). Von 1935 bis 1943 arbeiteten rund 10.000 Künstler im Federal Art Project, unter ihnen Jackson Pollock und Diego Rivera, und produzierten rund 200.000 Werke, darunter über 2.500 Wandgemälde an öffentlichen Orten.
Selbstverständlich gab es Kontroversen angesichts der Programme. Die Artists' Union, die 1934 gegründet wurde, wollte den Künstlern das Recht auf freie Meinungsäußerung gegen die Bundesrichtlinien sichern, konnte sich aber nicht immer durchsetzen. Eine solche Kontroverse erzählte 1999 der Spielfilm "Das schwankende Schiff" ("Cradle Will Rock") von Tim Robbins, in dem Bertolt Brecht einen Theaterautor des Federal Theatre Project ermutigt, sein Musical politisch relevanter zu schreiben, was dem Projekt den Vorwurf einhandelt, kommunistisch unterwandert zu sein.
Man kann die den New Deal-Programmen mutmaßlich zugrundeliegende Philosophie kritisieren – sie basierte auf der vorherrschenden Ablehnung wohlfahrtsstaatlicher "Geschenke". Doch im Ergebnis konnten Künstler und andere Kulturschaffende signifikante Werke für eine Gesellschaft in der Krise und für die folgenden Generationen schaffen. Die Kunst wurde gleichsam demokratisiert. Unter anderem entstanden 100 Community Art Centers, in denen Werke einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.
Diese Wandgemälde stellte Frank Cassara 1938 im Rahmen eines New Deal Programms in der Wasseraufbereitungsanlage von Lansing in Michigan fertig. DGB/Wikimedia Commons/Gemeinfrei
Auch in Deutschland gibt es vergleichbare Maßnahmen auf lokaler Ebene – mutmaßlich mit größerer künstlerischer Freiheit. So hat die Leitung des abgesagten Comic-Salons in Erlangen Mittel für Comic-Zeichner bereitgestellt, damit sie mit Comics ihre Erfahrungen aus dem Homeoffice verarbeiten können. Doch dies bleiben Einzelfälle, die nicht systematisch die Auftragslage von Kunst- und Kulturschaffenden stabilisieren oder kreative Freiräume eröffnen. Künstlerische Initiativen gibt es selbstverständlich dennoch, entweder sozialstaatlich alimentiert oder durch Spenden und kreative Bezahllösungen finanziert.
Es gibt aber die Chance, mit am US-New Deal orientierten Programmen nicht nur kurzfristig die Arbeitssituation von Künstlern und Kulturschaffenden zu verbessern und etwa Kunst im öffentlichen Raum zu fördern. Vielmehr könnten zudem grundsätzliche Überlegungen zu möglichen strukturellen Veränderungen für eine Post-Pandemie-Ökonomie für den Kunstbereich angestellt werden. Denn dieser ist besonders betroffen, da Verantstaltungen in der Regel in Innenräumen stattfinden, die derzeit nur eingeschränkt oder gar nicht genutzt werden können. Dies ist umso wichtiger, als wir mit einer "zweiten Welle" der Pandemie im Herbst und Winter rechnen müssen – oder damit dass die Fallzahlen ohnehin nicht weit genug sinken, um alle Corona-Beschränkungen aufzuheben. Die möglichen Maßnahmen einer Post-Pandemie-Ökonomie betreffen insbesondere die Rolle des Staates in der Wirtschaft, Arbeitszeitverkürzungen, bedingungsloses Grundeinkommen und das Recht auf Arbeit.
Diese Überlegungen können hier nicht ausgeführt werden. Doch: Die Pandemie ist nicht vorbei, wir werden uns für eine unbestimmte Zeit mit dem Virus arrangieren müssen und damit auch mit den negativen wirtschaftlichen Konsequenzen. Darin liegt – ganz dem Klischee entsprechend – auch eine Chance. Nach der globalen Finanzkrise ist es nicht gelungen, die Hegemonie von Liberalisierung, Deregulierung, Privatisierung und staatlicher Sparpolitik vollständig zu brechen. Die „schwarze Null“ steht, auch wenn angesichts des billigen Geldes nun die „Bazooka“ der Konjunkturhilfe möglich ist. Möglich ist allerdings noch viel mehr. Doch dazu bedarf es guter Vorschläge und kollektiver Organisation.
DGB/Heiko Sakurai
Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.