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Wer ein Gedicht schreibt, ein Bild malt oder einen Artikel verfasst, besitzt die Rechte an seinem eigenen Werk. Sie sind laut Gesetz urheberrechtlich geschützt. Aber wie sieht es aus, wenn nicht ein Mensch das Werk erschaffen hat, sondern eine Maschine – zum Beispiel der Textroboter ChatGPT?
Künstliche Intelligenz-Systeme wie etwa ChatGPT werden mit dem gesamten freiverfügbaren Wissen der Menschheit "trainiert". Dazu zählt vermutlich auch der Inhalt von tausenden Büchern. Welche Datenquellen konkret herangezogen wurden, ist aktuell nicht bekannt. Mehr Transparenz ist deshalb eine Kernforderung verschiedener Organisationen. Im Bild zu sehen ist die Buchhandlung Livraria Lello in Porto. Sie zählt zu den schönsten Buchläden der Welt. pexels / DGB
Von Julia Hoffmann
Die Aufregung um Künstliche Intelligenzen (KI) ist groß. In allen Branchen und Lebensbereichen kommen solche Systeme bereits zum Einsatz. Neben ethischen Fragen stellen sich jedoch auch rechtliche. Katharina Uppenbrink von der Initiative Urheberrecht sagt: „Künstliche Intelligenz birgt Chancen wie Risiken für Urheber*innen, ausübende Künstler*innen und für die gesamte Kultur- und Kreativwirtschaft. In der aktuellen Diskussion geht es weniger um die KI, die eine Route zum Urlaubsziel berechnet, als um „generative KI“, denn diese ist in der Lage, Inhalte zu erzeugen, die den Markt der professionellen schöpferisch Tätigen nachhaltig verändern könnte.“
Die KI ChatGPT kann mittlerweile flüssig formulieren. Sie erzeugt also Inhalte, die keinen direkten menschlichen Urheber haben. Nach derzeitigem Stand erwirbt daher weder die ChatGPT-Anwendung noch deren Programmierer*innen oder der Anbieter gesetzliche Rechte an den von der KI erzeugten Ergebnissen. Auch der Nutzer*innen haben in der Regel kein Urheberrecht, sofern sie nicht in größerem Umfang eigene Materialien einbringt und die KI damit in ganz besonders konkreter Weise steuern, sagt Matthias Leistner von der Münchner LMU.
Schreibt aber beispielsweise die KI einen längeren Nachrichtentext, der dann von einer Redakteur*in umfangreich stilistisch und sprachlich überarbeitet wird, kann die Journalist*in an der editierten Fassung durchaus ein Urheberrecht besitzen.
KI und Urheberrecht: Automatisch oder eigenständig?
Doch nicht alle automatisierten Anwendungen sind KIs. Das Beispiel des automatisch geschriebenen Berichts von der Begegnung zweier Fußballmannschaften ist kein Erzeugnis einer KI. Es handelt sich bei der Anwendung nämlich nicht um neuronale Netze, sondern um vorgefertigte Sprachtemplates, die mit Daten gefüllt werden. Ein solcher Text ist zwar automatisiert, aber nicht eigenständig verfasst worden. Ein Unterschied, der im Urheberrecht entscheidend sein kann. Bei einer richtigen KI wie ChatGPT liegen aber so viele Daten zugrunde, dass ein Text eigenständig verfasst wird. Laut OpenAI basiert die neue Version GPT-4 auf 17 Billionen Trainingsdaten, 100-mal so viele wie der Vorgänger GPT-3. All diese Daten stammen aus dem Internet. Ob die Verfasser*innen der Verwertung zugestimmt haben, ist nicht transparent. Ob es sich bei den Trainingsdaten um Doktorarbeiten, Pornoseiten oder Journalistische Texte handelt, ist ebenfalls nicht ersichtlich.
Urheberrechte am Input und am Output
Wie sollen Medien, Wissenschaft und Gesellschaft nun mit den Herausforderungen umgehen? Antworten darauf hat die Initiative Urheberrecht. „Das datenbasierte Training der Systeme (Input) ist ohne den Zugriff auf solche von Menschen geschaffenen Werke und deren Aufnahmen nicht möglich. Es ist also über Lizenzierung und Vergütung nachzudenken, zumal die angefütterte Technologie sich anschickt, die Schöpfer der Trainingsdaten aus dem Markt zu verdrängen. Wichtig ist absolute Transparenz über Art und Herkunft der Trainingsdaten: welche Werke der Urheber*innen und Interpret*innen wurden verwendet – und war das genehmigt?“ fordert Uppenbrink.
Allein die Tatsache, dass Texte im Netz zur Verfügung stehen, bedeutet nämlich nicht automatisch, dass sie auch flächendeckend für das Training oder den Einsatz im Rahmen von KI-Anwendungen weiterverwendet werden dürfen.
Doch damit nicht genug: „Auch das Produkt, das durch KI erstellt wird (Output) unterliegt gewissen Regularien. Auch wenn das Urheberrecht hier nicht direkt greift. „Es muss über Transparenz, Lizenzierung und angemessene Vergütung gesprochen werden. Offen ist, ob geltendes Recht hier ausreicht oder ob neue Regularien auf nationaler oder europäischer Ebene erforderlich sind“, sagt Uppenbrink. Der Medienverband der freien Presse (MVFP) und der Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) appellierten jüngst an die Politik sicherzustellen, „dass die KI nicht die Leistung der Verlage und ihrer Redaktionen ausbeuten kann“. Sie fordern KIs einzuschränken oder die Betreiber zahlen lassen. Institutionalisiert werden könnte dies durch eine Verwertungsgesellschaft nach dem Vorbild der VG Wort.
Aktuelle Rechtslage: Regulierung von KI
Gerade verhandeln der Europäische Rat und das Europaparlament über den sogenannten AIAct. Dieses Gesetz soll im Bereich der EU den Einsatz von KI-Systemen in sämtlichen Lebensbereichen regulieren. Das ist ein beispielhafter Vorstoß: Bisher regeln verschiedene Rechtsvorschriften den Einsatz neuer Technologien in der EU. So legt etwa die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) die Pflichten bei der Datenverarbeitung und die Rechte betroffener Person bei der Nutzung personenbezogener Daten fest. Der AI Act sieht nun Maßnahmen vor, die einen sicheren, ethischen und grundrechtskonformen Einsatz von KI garantieren sollen. Dazu gehören Risikomanagement-Systeme, technische Dokumentation, Aufzeichnungspflichten, Transparenz und Bereitstellung von Informationen für die Nutzer:innen und menschliche Aufsicht. Das Gesetz soll einheitliche Regeln für deren Entwicklung, Vermarktung und Verwendung innerhalb der EU schaffen, unabhängig davon, von wo die KI betrieben wird.
Gleichzeitig haben aber die Gesetzgebungsgremien der EU mit der jüngsten Urheberrechtsnovelle Ausnahmen vom exklusiven Verwertungsrecht für das algorithmen-gesteuerte Text- und Data-Mining geschaffen. Der Bundestag hat diese Vorgabe in den Paragrafen 60d und 44b Urheberrechtsgesetz umgesetzt.
Die Anwendung der Chat GPT tangiert also verschiedene Rechtsnormen. Katharina Uppenbrink leitet daraus einen umfangreichen Regelungsbedarf ab: „Das Urheberrecht allein wird wesentliche Fragen nicht beantworten und zentrale Probleme nicht lösen können. Europa muss auch hinsichtlich des Kartellrechts Überlegungen anstellen, da die meisten KI-Betreiber in den USA sitzen. In Italien ist ChatGPT derzeit untersagt – aus Datenschutzgründen und auch deutsche Datenschutzbehörden beobachten diese Entwicklung interessiert.“
Urheberrechte und Künstliche Intelligenz: Erst Zustimmung, dann Nutzung
Unter dem Titel „KI aber fair“ veröffentlichen Anfang April 15 Organisationen, darunter auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di ein Positionspapier zum Thema Künstliche Intelligenz (KI), in dem sie vor allem die Problematik des Inputs beleuchten. Transparente Trainingsdaten seien eine Zugangsvoraussetzung für KI-Anbieter: Um die Marktzulassung zu erhalten, müssen KI-Anbieter diese Erlaubnis durch die Urheber*innen transparent darlegen können. Die Beweis- und Dokumentationspflicht über die verwendeten Daten soll, bei den Nutzer*innen und nicht bei den Urheber*innen liegen, fordern sie.
Zudem sollten KI-Systeme nur aus nachvollziehbaren, urheberrechtskonformen Quellen trainiert werden. Eine Nutzung von urheberrechtlich geschützten Daten dürfe nur nach Zustimmung durch die Urheber*innen erfolgen. Die per Gesetz vorgegebene Möglichkeit einen Vorbehalt zu formulieren, also ein aktiver Widerspruch seitens der Urheber*innen, sei aufgrund der stets fortschreitenden Entwicklung immer neuer Technologien kaum praktikabel und verkehre den Sinn des Urheberschutzes.
DGB/Heiko Sakurai
Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.