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Nach der parlamentarischen Sommerpause fallen wichtige Entscheidungen über Kürzungen im Bundeshaushalt. Das Elterngeld wird für Gutverdienende abgeschafft, die Kindergrundsicherung radikal abgespeckt. Beides kritisiert der DGB – zu Recht, schreibt Thomas Gesterkamp.
iStock/Khosrork
Ein auffälliger Kontrast: Kaum hatte Bundesfamilienministerin Lisa Paus verkündet, dass Paare mit einem gemeinsamen Jahreseinkommen von über 150.000 Euro kein Elterngeld mehr bekommen sollen, startete eine Online-Petition, binnen weniger Wochen unterschrieben über 600.000 Personen. Nur 60.000 Haushalte seien betroffen, beschwichtigt dagegen die grüne Politikerin. Wieso lassen sich dann mehr als zehn Mal so viele gegen ihr Vorhaben mobilisieren?
Das Elterngeld hat offensichtlich einen enormen symbolischen Wert – und das Rütteln daran zeigt psychologische Wirkung. Die Stimmungslage: Erst bekommen Familien endlich mehr Unterstützung vom Staat, dann stellt er seine Leistungen wieder zur Disposition. Nur so lässt sich erklären, dass die Streichung auch Menschen aufregt, die im Gegensatz zu den besonders gut Verdienenden keine Nachteile fürchten müssen. Betroffen sind höchstens fünf Prozent der Erwerbstätigen, die man entgegen ihrer Selbstwahrnehmung getrost der Oberschicht zurechnen kann. Um ein „Luxusproblem“, wie zahlreiche Medien kommentierten, handelt es sich trotzdem nicht. Denn aus gleichstellungspolitischer Perspektive sendet Paus ein katastrophales Signal.
Die Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007 war keine Hilfe für Bedürftige, wie Hartz IV oder jetzt die Kindergrundsicherung. Die finanziellen Anreize zielten vorrangig darauf, akademisch gebildete Mütter schneller in die Erwerbsarbeit zu reintegrieren – und die starre hierarchische Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern aufzuweichen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Plan der Ministerin ein klarer Schritt rückwärts. Das Gehalt der Väter, die wegen des Gender Pay Gap meist mehr verdienen als ihre Partnerinnen, wird noch dringender gebraucht, wenn die Lohnersatzleistung komplett wegfällt. Zu Hause beim Kind bleibt als Konsequenz mit erhöhter Wahrscheinlichkeit Mama. Egalitäre Experimente bei der Arbeitsteilung können sich dann selbst reiche Familien – um die geht es hier zweifelsohne – nicht mehr so einfach leisten. Es sei denn, sie haben geerbt oder leben in einer preisgünstigen Wohnung, was bekanntermaßen selten geworden ist.
Zugegeben, die öffentliche Aufregung über die Kürzung ist Klagen auf hohem Niveau. Wofür, kann man berechtigterweise fragen, benötigen Paare mit insgesamt fünfstelligen Monatseinkünften staatliche Hilfe - während das Elterngeld wirklich armen Menschen auf ihre Sozialleistungen angerechnet wird? Lisa Paus, von ihrem Kabinettskollegen Christian Lindner (FDP) wegen der Schuldenbremse unter Druck gesetzt, musste abwägen: entweder die Höhe der Unterstützung von maximal 1800 Euro für alle senken oder diese für Privilegierte ganz streichen. Sie entschied sich für Letzteres – und verfestigt auf diese Weise traditionelle Geschlechterrollen.
Yasmin Fahimi hat die Brisanz des Themas erkannt. Die DGB-Vorsitzende positionierte sich in Interviews unmissverständlich gegen die Streichungen – nicht nur beim Elterngeld, das sie als „bewährtes Instrument“ würdigte. Skandalös findet die Gewerkschafterin auch, dass die für die Kindergrundsicherung eingeplanten zwölf Milliarden Euro von Finanzminister Lindner auf lediglich zwei Milliarden abgespeckt wurden. Noch kritikwürdiger ist die Misere bei der Kinderbetreuung: Eine aktuelle Studie der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung (HBS) kommt zu dem Ergebnis, dass 57 Prozent der erwerbstätigen Eltern regelmäßig mit Kita-Schließungen oder verkürzten Öffnungszeiten konfrontiert sind - zehn Jahre nach Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz nach dem ersten Lebensjahr. Hauptgrund für die Ausfälle sind fehlende Mitarbeiter*innen. Bettina Kohlrausch, Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der HBS, fordert deshalb bessere Personalschlüssel und eine “Ausbildungsoffensive für Erziehungsberufe”.
SPD-Chef Lars Klingbeil stellte im Sommerloch alternativ zur Elterngeld-Kürzung die Abschaffung des Ehegattensplittings zur Diskussion. Jutta Allmendinger vom Wissenschaftszentrum Berlin vermisst ein schlüssiges und zeitgemäßes Gesamtkonzept. Für die Soziologin gehören sämtliche familienpolitischen Leistungen auf den Prüfstand, als Beispiel nennt sie die Beitragsfreiheit nicht oder geringfügig erwerbstätiger Ehefrauen in der Krankenversicherung. Groß sind die Meinungsverschiedenheiten auch in Milieus, die bei der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sonst an einem Strang ziehen. So hat das Bundesforum Männer (BFM), der Dachverband männerpolitischer Initiativen, mit dem Paus-Vorschlag zum Elterngeld überraschenderweise kein Problem. “Die soziale Dimension ist uns in diesem Falle wichtiger als die gleichstellungspolitische”, sagt BFM-Fachreferent Karsten Kassner. Weder vom Deutschen Frauenrat noch vom Bundesforum Männer war bislang öffentlicher Widerspruch zu vernehmen - zum Erstaunen von Aktivisten in den eigenen Mitgliedsorganisationen.
„Das ist ein gleichstellungspolitischer Offenbarungseid“, spricht etwa Volker Baisch Klartext. Der Hamburger hat vor über 20 Jahren das Beratungsunternehmen „Väter gGmbH“ gegründet und ist seither dessen Geschäftsführer. Zu seinen Kunden zählen große Konzerne wie das in der Hansestadt ansässige Unternehmen Airbus. Bei dem Flugzeugbauer arbeiten viele männliche Ingenieure, deren Einkommen weit über dem gesellschaftlichen Durchschnitt liegt. Bleibt es bei der neuen Regelung, werden sie künftig noch mehr zögern, in Väterzeit zu gehen.
Mehr als die Hälfte des Etats der Bundesfamilienministerin fließt in das Elterngeld, acht von insgesamt gut 13 Milliarden Euro. Daher erscheint es naheliegend, dass Ressortchefin Lisa Paus hier den Rotstift ansetzt. Ganz wohl ist der Ministerin dabei allerdings selbst nicht, das wurde schon bei der öffentlichen Präsentation ihrer Pläne deutlich. Schließlich richtet sich ihr Vorhaben auch gegen die eigene, meist gut situierte Wählerklientel. Paus stand unter Zugzwang, sie wollte ihr Lieblingsprojekt, die Einführung der Kindergrundsicherung, nicht völlig gegen die Wand fahren.
Zwei sinnvolle Förderinstrumente wurden gegeneinander ausgespielt. Das hat mit dem Bemühen um die „Schwarze Null“ zu tun, aber auch damit, dass dem Staat andere Ausgaben wichtiger sind. Lindners Ansage war eindeutig: Alle Ressorts müssen finanziell kürzertreten, nur das Ministerium von Boris Pistorius (SPD) nicht. Sein Rüstungsetat ist der einzige Haushaltsposten, der steigt und steigt. Direkt nach der Bekanntgabe der Elterngeld-Streichung orderte die Regierung beim US-Konzern Boeing neue Kampfhubschrauber. Die jetzt anstehenden Sparmaßnahmen sind ein erstes Anzeichen dafür, was noch kommt. Weitere Zumutungen dürften folgen, weil immer mehr Geld für Waffen ausgegeben wird.
DGB/Heiko Sakurai
Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.