Zwar gibt es aktuell hohe Preissteigerungen, dies ist aber keine übliche Inflation, schreibt der langjährige Direktor des IMK Gustav Horn. Um zu verhindern, dass die breite Masse der Menschen die Kosten für die hohen Energiepreise tragen muss, sind nun Lohnzuwächse in Tarifverhandlungen geboten.
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Manchmal täuschen Lehrbücher. Liest man die gängigen Texte über Inflation, dann wird eine überschäumende Wirtschaft mit voll ausgelasteten Kapazitäten und hohen Lohnsteigerungen beschrieben. Beides treibt die Preise nach oben und droht sich zu verselbstständigen, wenn Lohn- und Preiserhöhungen in einen Wettlauf treten und die vielfach befürchtete Lohn-Preis-Spirale auslösen. Soweit das Übliche. Was wir derzeit sehen, ist jedoch etwas anderes.
An der Wurzel jeder Inflation steht eine zu hohe Nachfrage, die auf ein beschränktes Angebot trifft. Das ist auch jetzt so. Die immer noch schleppend funktionierenden Lieferketten und vor allem der Energiekonflikt mit Russland haben das Angebot auf vielen Gütermärkten verknappt. Insbesondere das Angebot für Erdgas ist durch die Auseinandersetzungen mit Russland stark beeinträchtigt. Die Folge ist ein massiver Preisschub, der am Ende fast alle Güter betrifft, denn Energie wird überall verbraucht.
Das ist aber keine Lehrbuch Inflation. Zwar ist die Nachfrage im Vergleich zum Angebot zu hoch, aber dies liegt nicht an einer überschäumenden Binnenwirtschaft, sondern an lahmenden Lieferungen aus dem Ausland. Nicht Nachfrageüberschuss, sondern Angebotsmangel ist das Problem.
Die belastenden Preissteigerungen haben ihren Ursprung genau hier. Wenn alle Energie brauchen und es wird weniger geliefert, dann steigen die Preise. Immer mehr Geld fließt ins Ausland, die Kaufkraft sinkt und der Wohlstand hierzulande nimmt ab. Das gilt vor allem für jene, die ohnehin schon relativ wenig Energie verbrauchen, weil sie es sich nicht leisten und deshalb nicht einfach mehr einsparen können.
Die Folge ist nicht nur eine sinkende Kaufkraft, sondern auch ein Verteilungskampf. Denn Unternehmen und Dienstleister werden versuchen ihre höheren Kosten durch eigene Preissteigerungen an ihre Kunden weiterzureichen. Am Ende verbleiben nicht nur die ursprünglichen Preiserhöhungen bei den Verbrauchern, sondern auch noch die weitergereichten Kostensteigerungen. Mit anderen Worten, die breite Masse trägt die Kosten dieser Energiekrise, während sich manche schadlos halten können.
Erhöhte Lohnzuwächse bei Tarifverhandlungen sind eine der wichtigsten Möglichkeiten den dadurch bewirkten Kaufkraftverlust breiter Bevölkerungsschichten in Grenzen zu halten und damit auch einen Absturz der Konsumkonjunktur zu verhindern. Dies muss allerdings mit Augenmaß geschehen, denn der ursprüngliche Preisschock kann nicht von den Tarifparteien aufgefangen werden. Ein solcher Versuch wäre von vorneherein zum Scheitern verurteilt, da sich Arbeitgeber und Gewerkschaften dann nur wechselseitig in Preis- und Lohnsteigerungen zu übertreffen versuchten, ohne eine positive Auswirkung auf die reale Kaufkraft zu erreichen.
Dies ist vielmehr Aufgabe der Regierung. Mittels fiskalischer Stützungsmaßnahmen wie der Strompreis -und der Gaspreisbremse sowie einer Reihe von Einmalzahlungen ist in dieser Hinsicht bereits Einiges in Angriff genommen worden. Auch wurden im Rahmen der Konzertierten Aktion vereinbart, Einmalzahlungen, die die Inflation ebenfalls nicht antreiben und zugleich aber die Kaufkraft stützen von Steuern zu befreien. Dies verleiht den Tarifparteien bei ihren Verhandlungen mehr Spielraum für höhere Löhne.
Vor dieser Kulisse der Vernunft sind die Tarifforderungen und auch die bisherigen Abschlüsse wie der jüngste Metallabschluss gesamtwirtschaftlich nicht nur vertretbar, sondern sogar hilfreich. So erwartet die Gemeinschaftsdiagnose der Forschungsinstitute in diesem Jahr einen Lohnanstieg pro Stunde von gut vier Prozent. Das stabilisiert die Kaufkraft, ohne die Inflation zu treiben. Es ist genau das, was gebraucht wird. Folglich sind die Inflationsprognosen z.B. beim Sachverständigenrat für das kommende Jahr für dem gesamten Euroraum nach unten gerichtet. Es gibt also derzeit keine sich verselbständigende Lohn-Preis-Spirale.
Das sollte auch die Europäische Zentralbank zur Kenntnis nehmen, die mit ihrer Politik rascher Zinsanhebungen die Konjunktur zusätzlich gefährdet. Insbesondere verteuert und behindert sie damit dringend benötigte Investitionen. Dabei sind Investitionen in erneuerbare Energien und die dazugehörige Infrastruktur der beste Weg die derzeitige Inflation nachhaltig zu bekämpfen, weil dies über ein höheres Angebot auf Dauer für wieder niedrigere Energiepreise sorgen wird. So wird es dann auch in den künftigen Lehrbüchern zur Inflation stehen.
DGB/Heiko Sakurai
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