Die CDU erleidet das erwartete Wahldebakel, und die SPD holt ein gutes Ergebnis, aber nur in etwa so gut wie 2013. Nach einem oft müdem Wahlkampf, gibt es keine großen Volksparteien mehr - und dafür viele Koalitionsmöglichkeiten von drei Partnern. Eine wenigstens halbwegs soziale und ökologische Politik wird nur mit der Ampelkoalition möglich sein. Trotz vieler überholter Vorstellungen der FDP.
Von Daniel Haufler
DGB/dah
Es mag seltsam klingen. Doch: Das Ergebnis dieser Bundestagswahl zeugt vor allem von einer Normalisierung. Deutschland hat im Guten wie im Schlechten noch mehr als vor vier Jahren aufgeschlossen zu den politischen Kulturen und Spektren anderenorts. Die Parteienlandschaft ist nun ebenso zersplittert wie in vielen europäischen Staaten, die großen Volksparteien sind zu mittelgroßen Parteien geschrumpft – mit ein paar Ausnahmen in den Bundesländern. Die Personen haben eine wesentlich größere Rolle gespielt als die Programme. Und die radikale Rechte hat sich trotz Verlusten mit populistischen und rassistischen Parolen etabliert.
Diese Normalisierung hat ungewöhnlich lange auf sich warten lassen. Dafür war zum einen Angela Merkel verantwortlich, deren Politik und deren moderate Erscheinung die Unionsparteien lange vor dem wohl unvermeidlichen Absturz bewahrt hat. Zum anderen war die politische Kultur in der Bundesrepublik stärker als in den meisten anderen Staaten darauf ausgelegt, einen Konsens in wesentlichen Streitfragen zu erreichen. So haben Kompromisse vielfach gesellschaftliche Spaltungen verhindert oder zumindest verdeckt.
Diese Kultur hat auch verhindert, dass das Parteiensystem so zerbröselt ist wie in Frankreich oder Italien oder dass Populisten wie in Österreich oder eben Italien an die Macht gekommen sind. Vor allem dank der Union, der Sozialdemokraten und der Grünen ist es immer wieder gelungen Regierungen der Mitte zu bilden. Regierungen, die einen Ausgleich suchten zwischen den Interessen von Staat, Wirtschaft und Bürger*innen, zwischen Arbeitnehmer*innen und Kapitalinteressen. Das war nicht selbstverständlich und oft ein ungewöhnlicher Balanceakt. Er gelang auch deshalb, weil die deutsche Geschichte zumindest eine Lehre unübersehbar bot: Die Polarisierung von Politik und Gesellschaft kann nur zu leicht ins Elend führen.
DGB/dah
Das Land kann so auf 72 Jahre Frieden und Demokratie zurückblicken mit Macht- und Kurswechseln wie Ende der Sechzigerjahre, zu Beginn der Achtzigerjahre und nach der deutschen Einheit. Trotz erheblicher gesellschaftlicher Verwerfungen, zwischenzeitlicher Massenarbeitslosigkeit, der Integration eines vormals diktatorischen Staates in einen demokratischen Staat war Deutschland so stabil wie kaum ein anderer Staat auf der Welt – und die Menschen wirkten ziemlich zufrieden.
Doch seit einigen Jahren erodiert das deutsche Modell auf den verschiedenen Ebenen. Viele Bürger*innen, zumal im Osten, fühlen sich nicht ausreichend repräsentiert, radikalisieren sich, lehnen zunehmend das politische System ab und wählen rechtsextreme Parteien, vor allem die AfD. Deren Vertreter tragen den Frust und den Hass in die Parlamente und die politischen Debatten, was wiederum die anderen Parteien zu Reaktionen zwingt. Die Konfliktlinien sind anders als früher weniger sozio-ökonomisch definiert als vielmehr kulturell. Politisch wie gesellschaftlich tritt auch deshalb die Suche nach Konsens in den Hintergrund. Die verhärteten kulturellen Diskurse und der Verlust von Empathie und Kompromiss markieren den Übergang vom lebendigen Pluralismus zur verständnis- und kompromisslosen Polarisierung. Die polarisierte Politik wiederum verstärkt die Spaltung der Gesellschaft.
Für die Zeit nach den Wahlen ist das keine einfache Ausgangsbasis. Würde eine große Koalition weiter regieren, könnte das die Ränder noch mehr stärken; fände eine Ampel-Koalition zusammen, bestünde das Risiko eines Rechtsrucks der Union; kämen CDU/CSU, FDP und Grüne an die Regierung droht die soziale Spaltung sich zu vertiefen. Keine dieser Perspektiven ist verlockend. Wer jetzt eine Mehrheit in dieser verzwickten Konstellation finden muss, ist wahrlich nicht zu beneiden.
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Dennoch muss die SPD nun mutig sein. Sie hat sich acht Jahre lang unter der Führung von Merkel einbinden lassen und so wesentliche Versprechen nicht einlösen können. Will sie das nun leisten, will sie die Abgehängten wieder einbinden, die soziale Ungleichheit wenigstens verringern, hat sich gar keine Wahl als mit Grünen und FDP eine Koalition zu bilden – nachdem es für Rot-Grün-Rot nicht reichen wird. Diese Chance auf ein Linksbündnis haben die Sozialdemokraten verweigert, als es noch eine Mehrheit hatte.
Sicher, problemlos wird eine Ampel-Koalition nicht sein. Besonders die FDP müsste etliche bislang hoch gehaltene Grundsätze relativieren – Stichwort: Steuersenkungen, Solidarzuschlag zugunsten der Reichen ganz abschaffen, "schwarze Null" etc. Ein Problem, dass die Grünen nur zu gut kennen. Gleichzeitig sind genau sie das Vorbild, an der sich die FDP nun orientieren könnte. Schließlich haben sie sich erst gewandelt und dann die Rolle des "Kellners", die ihnen einst Gerhard Schröder zugewiesen hat, genutzt für Meilensteine in der Umweltpolitik wie den Atomausstieg. Die Regierungsbeteiligung im Bund ebnete auch den Weg dafür, dass sie heute einen Ministerpräsidenten stellen und in mehr Landesregierungen als die Union beteiligt sind. Heute sind sie mithin Chef oder mindestens Sous-chef.
Trotz der schwierigen Umstände, der Gefahr einer weiteren Polarisierung und der Streitigkeiten, die unvermeidlich kommen werden – die Ampel-Parteien müssen die Chance ergreifen und regieren. Jede andere Lösung wird die Unzufriedenheit und die gesellschaftliche wie soziale Spaltung im Land nur vertiefen. Also: Glückauf Ampel!
DGB/Heiko Sakurai
Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.