Man kann mit guten Gründen bedauern, dass Donald Trump die Handelspolitik der USA machtpolitisch instrumentalisiert. Gleichzeitig wäre eine vernünftige Politisierung der Handelspolitik dringend geboten, denn die Globalisierung der Märkte bringt schon lange zu viele Verlierer in allen Teilen der Welt hervor.
Von Thomas Greven
Ein eiskalter Winter lähmt Washington. Das passt zum politischen Stillstand in der US-Hauptstadt. DGB/Weißes Haus/Gemeinfrei
Als Richard Nixon die Amtsgeschäfte im Weißen Haus übernahm, stand es im Vietnam-Krieg nicht sonderlich gut für die USA. Seine Lösung: die Nordvietnamesen glauben machen, dass er zu allem bereit sei, um den Krieg zu gewinnen – selbst dem Einsatz von Nuklearwaffen. Die „nuclear option“ meint in den USA auch im innenpolitischen Sprachgebrauch die Bereitschaft, ohne Rücksicht auf Verluste zu agieren. Nixons „Madman-Theorie“ mit ihrem Element des unberechenbaren Wahnsinns erweiterte die traditionelle außenpolitische „brinkmanship“, also die Bereitschaft, sich in Verhandlungen am Rande des Abgrunds zu bewegen. Damit wären wir bei Trump: Sein angebliches Verhandlungsgeschick, scheint nur daraus zu bestehen, aus einer Position der Stärke heraus den beratungsresistenten, unkalkulierbaren und zur völligen Zerstörung des Bestehenden bereiten Alleinentscheider zu geben.
Beim nun für drei Wochen ausgesetzten "Shutdown" der Regierung, mit dem der Präsident Geld für seine Mauer an der Grenze zu Mexiko erpressen wollte, hat der Präsident nun möglicherweise seine Meisterin gefunden: die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi. Ohne den Kongress kann Trump nicht agieren – er könnte nur in Mexiko anrufen, um dort das Geld für die Mauer einzuwerben, so wie er es seinen Wählern ja versprochen hatte. Allerdings kann auch Pelosi alleine nichts bewegen, sie braucht letztlich die Republikaner, um ein mögliches Veto des Präsidenten gegen einen Haushaltsentwurf zu überstimmen. Auch im Senat müsste sich die dafür eine notwendige 2/3-Mehrheit finden.
In der Wirtschafts- und Finanzpolitik hatte Trump es bisher nicht nötig, eine erpresserische Politik zu betreiben. Die Republikaner, die bis Ende 2018 in beiden Häusern des Kongresses die Mehrheit stellten, zeigten sich mit Trumps Steuersenkungs- und Deregulierungspolitik äußerst zufrieden. Es störte sie auch nicht, dass viele Stellen in der Regierung unbesetzt blieben. Tatsächlich gab es auch während des Shutdowns Stimmen aus der Partei und der Wirtschaftswelt, die es begrüßten, dass die Regierung auf diesem Wege kleiner und inaktiver wird; "small government" ist schließlich ein traditionelles Ziel dieser Kräfte.
Trump erklärt das Ende des Shutdowns und versucht seine politische Niederlage mit den üblichen Verdrehungen zu kaschieren. DGB/Weißes Haus/Gemeinfrei
Anders sieht es in der Handelspolitik aus. Hier bricht Trump schon im Wahlkampf mit dem Dogma des Freihandels, das bisher in der Republikanischen Partei und in der Wirtschaftswelt recht unumstritten ist. Einige Aussagen deuten an, dass sich Trump als Protektionist versteht ("I am a tariff man"), vielleicht gar als der Wirtschaftsnationalist. Andere Aussagen verweisen jedoch darauf, dass am Ende wohl doch Freihandelslösungen stehen sollen. Beim G7-Gipfel 2018 sagte Trump schließlich: „You go tariff-free, you go barrier-free, you go subsidy-free, ... I mean, that would be the ultimate thing” (Ohne Zölle, ohne Handelsbarrieren, ohne Subventionen, … das wäre die ultimative Sache). Dies ist auch die Erkenntnis einer längeren Studie der Hans-Böckler-Stiftung von Christoph Scherrer und Kollegen 2017. Vor allem ist Trump davon überzeugt, dass die USA angesichts ihrer starken wirtschaftlichen Position Handelskriege leicht gewinnen könnten. Da ist er dann wieder, der Madman, der auch die vollständige und ersatzlose Kündigung von Nafta in Kauf nimmt und der gegenüber China mit handelsrechtlich fragwürdigen, massiven Zollerhöhungen aufs Ganze geht, obwohl nicht nur die Weltwirtschaft darunter leidet, sondern auch seine eigenen Unterstützer.
Sicher, mit den Vorwürfen gegen chinesische Handels- und Währungspraktiken steht Trump keineswegs alleine da, auch wenn kaum jemand seinem handelspolitischen Chefberater Peter Navarro folgt, der den Handel mit China als Nullsummenspiel sieht. Mit seiner "America First"-Strategie stellt Trump die WTO-Mitgliedschaft der USA in Frage und möchte am liebsten nur bilaterale Verhandlungen führen. Das ist gewissermaßen die logische Fortsetzung der Bilateralisierung und Regionalisierung der Handelspolitik aller Industrieländer, seitdem die multilateralen Verhandlungen im Rahmen der WTO stocken. Hinzu kommt eine gewisse Hegemonie-Müdigkeit der USA.
Trump befürwortet auch einen harten Brexit, um mit Großbritannien allein verhandeln zu können. Dass die USA angesichts der Größe und hohen Kaufkraft des amerikanischen Marktes in bilateralen Verhandlungen überlegen sind, zeigte sich an den Nach- oder Neuverhandlungen des Nafta-Abkommens, das Trump im Wahlkampf immer wieder als "Desaster" bezeichnet hatte. Hier setzte die Herauslösung Mexikos Kanada unter Druck, die amerikanischen Bedingungen zu akzeptieren. Aber auch wenn Kanada etwa einer weiteren Öffnung des Marktes für amerikanische Milch zustimmen musste, halten die meisten Beobachter den Erfolg Trumps doch für weitgehend symbolisch. Zudem müssen noch die Parlamente dem neuen Abkommen zustimmen, was durch die Demokratische Mehrheit im US-Repräsentantenhaus unsicher geworden ist. Trump hat allerdings seinen erpresserischen Protektionismus bereits innenpolitisch gewendet und angedroht, Nafta aufzukündigen, sollte der Kongress dem neuen Abkommen nicht zustimmen.
Protektionismus gegen Waren und Menschen. Donald Trump (im Hintergrund) macht sich für sein Symbolprojekt stark, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko. DGB/Weißes Haus/Gemeinfrei
Es lassen sich also durchaus Begründungen für eine politische Neuausrichtung der US-Handelspolitik finden. Hinzu kommt die innenpolitische Dynamik: Trump konnte 2016 die Wahl nur deshalb gewinnen, weil er in den Industriestaaten des „Rostgürtels“ der USA viele Freihandelsskeptiker mobilisieren konnte, die sich bei den Vorwahlen noch für Bernie Sanders, den linken Herausforderer Hillary Clintons, entschieden hatten. Die protektionistische Handelspolitik ist der letzte verbliebene Kern des populistischen Wahlprogramms von 2016; die Mauer nach Mexiko wird wohl nicht gebaut. In allen anderen Politikbereichen hat Trump letztlich die traditionelle Politik des Republikanischen Establishments exekutiert, vor allem Steuersenkungen für Wohlhabende und Deregulierungen für Unternehmen.
Trump muss in der Handelspolitik stur bleiben – konsequenter als er oder viele seiner Berater es wirklich wollen –, um überhaupt noch einen Bezug zu seinen populistischen Versprechen aufrecht zu erhalten. Ein zusätzlicher Faktor ist die Persönlichkeitsstruktur des Präsidenten, der Schwierigkeiten hat, ausgesprochene Drohungen zurücknehmen oder auf Drohungen und provokante Handlungen anderer deeskalierend zu reagieren – und nicht wie ein Madman. Wer auf einen nur symbolischen oder verhandlungstaktischen Protektionismus hofft, unterstellt somit eine Kontinuität rationalen Regierungshandelns, die wohl nicht länger gegeben ist. Insbesondere die Eskalationsspirale der Zollerhöhungen zwischen den USA und China zeigt zudem, dass es für beide Kontrahenten um mehr geht als um Handelspolitik. Die Auseinandersetzung ist auch ein außenpolitisches Kräftemessen.
Man kann mit guten Gründen bedauern, dass es zur derzeitigen Re-Politisierung der Handelspolitik gekommen ist. Gleichwohl ist eine Politisierung der Handelspolitik dringend geboten, wenn auch unter völlig anderen Vorzeichen, weil die Globalisierung der Märkte zu viele Verlierer in allen Teilen der Welt hervorgebracht hat. Die vielfach versprochene Kompensation für die vom globalisierungsbedingten Strukturwandel benachteiligten Menschen und Regionen bleibt aus; tatsächlich begegnet man den Verlierern oft mit Herablassung. Daher machen sie und diejenigen, die fürchten, zu Verlierern zu werden, in den entwickelten Demokratien nun von ihrer Möglichkeit des Widerstands Gebrauch, um die angeblich neutrale, regelbasierte Herrschaft von Handelstechnokraten herauszufordern, die doch immer zugunsten von Wirtschaftsinteressen ausgeübt wird.
Die von vielen Rechtspopulisten propagierte Alternative, Nationalismus und Protektionismus, ist aber nicht nur ökonomisch und ökologisch gefährlich, sondern auch politisch und kulturell. Ökonomisch, weil internationaler Handel produktiv Arbeitsteilung organisieren kann und zu Wohlfahrtsgewinnen führt. Ökologisch, weil weniger Handel und weniger grenzüberschreitende Produktionsprozesse zwar Energie sparen, große Probleme wie der Klimawandel aber nur international gelöst werden können. Politisch und kulturell, weil bornierter Nationalismus oft genug kriegerische Formen annimmt und selten Probleme löst. Bei der Verteidigung des Welthandelssystems gegen seine nationalistischen Kritiker kann man aber nicht stehenbleiben: Notwendig ist ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel hin zu einer umfassenden Regulierungsperspektive für die Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts und einer globalen Sozialpolitik gegen die weltweite ökonomische Ungleichheit.
DGB/Heiko Sakurai
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