Computer werden künftig Geschäftsfelder definieren, so sagen einige Experten voraus. Hermann Soggeberg ist Vorsitzender des Konzern-Betriebsrats und des Europäischen Betriebsrats beim Lebensmittelkonzern Unilever. Er erklärt, wie Gewerkschaften und Betriebsräte auf diese Herausforderungen reagieren müssen.
Manchmal stelle ich mir die Frage, wie wir uns als Betriebsräte zusammen mit den Gewerkschaften in der Zukunft aufstellen müssen. Vor allem frage ich mich, wir mit den Anforderungen des demografischen Wandels und der voranschreitenden Globalisierung umgehen, die durch die Digitalisierung enorm an Tempo zunimmt.
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In den Unternehmen müssen wir täglich Antworten und Lösungen für unterschiedliche Gruppen und ihre jeweiligen Probleme und Erwartungen bereit haben. In meiner täglichen Arbeit erlebe ich, dass vor allem jüngere KollegInnen uns teilweise als Relikte aus vergangenen Zeiten verstehen. Gleichzeitig sind es vorwiegend ältere KollegInnen, besonders in den Fabriken, die von uns kämpferische Gegenwehr in Bezug auf die Veränderungen erwarten. Dieses Dilemma ist nicht neu, jedoch hat sich das Tempo des Wandels deutlich erhöht. Die Digitalisierung macht es möglich – sie ist aus meiner Sicht Segen und Fluch zugleich.
Was passiert aktuell in den Unternehmen? Wir haben es mit ständig neuen Anforderungen an die Arbeitsprozesse und -methoden zu tun. Für die KollegInnen in der Verwaltung ist es inzwischen Normalität, auch im Homeoffice zu arbeiten. Die Anforderungen, die aus dieser beschleunigten Digitalisierung resultieren, verändern sich beständig und rasant: Nicht nur in den Fabriken haben wir es vom Rohwarenlieferanten bis zum Kunden mit vernetzten Prozessen zu tun. Profunde Kenntnisse über Steuerungstechnik werden unerlässlich. In den Marketing- und Verkaufsbereichen werden die Weichen neu gestellt. Die Werbung im Internet, auf Facebook, Twitter, Instagram etc. ist dabei, der klassischen Fernsehwerbung mehr und mehr den Rang abzulaufen. Produkte werden schnell mal „gehypt“ und machen Rekordumsätze, genauso schnell verschwinden sie mitunter wieder. Es gilt, immer schneller und kreativer zu reagieren. Es gehört mittlerweile der Normalität an, dass Projekte in globalen Teams 24 Stunden am Tag von Menschen verteilt über den Globus bearbeitet werden.
Während etwa das Online-Telefonprogramm „skype“ noch vor drei Jahren als unzulässiges Programm von meinem Firmenrechner gelöscht wurde, ist „skype for business“ heute eines unserer Hauptkommunikationsmittel im Unternehmen. Viele Geschäftsreisen sind seitdem überflüssig. Als beängstigend empfinde ich Zukunftsszenarien, die davon ausgehen, dass Computer künftig Geschäftsstrategien vorgeben und die Arbeit in Verwaltungen und im Management übernehmen. Ob uns diese Entwicklung nun gefällt oder nicht – wir werden uns damit auseinandersetzen müssen. In diesem Kontext kommt gerade den Gewerkschaften eine besondere Bedeutung zu. Meine Meinung: Der Umgang mit diesen Entwicklungen wird die Zukunftsfähigkeit des deutschen Mitbestimmungsmodells auf die Probe stellen.
Es gilt, Antworten auf ganz zentrale Fragen zu finden: Wie wirken sich diese technologischen Entwicklungen auf die Anforderungen an die Gewerkschaften und Betriebsräte aus? Sind die Möglichkeiten und Strukturen, mit und in denen wir arbeiten, noch zeitgemäß? Wir brauchen dringend eine Modernisierungsoffensive in Fragen der Mitbestimmung. Wie hat das Betriebsverfassungsgesetz der Zukunft auszusehen? Was müssen Tarifverträge der Zukunft bieten, um den wachsenden individualisierten Ansprüchen unserer Kolleginnen und Kollegen gerecht werden zu können?
Auf diese Fragen habe ich bislang keine konkreten Antworten. Aber eines ist aus meiner Sicht Fakt: Wir brauchen nicht weniger Mitbestimmung, sondern MEHR! Wir brauchen größeren Einfluss auf Unternehmensentscheidungen auch innerhalb des Betriebsverfassungsgesetzes. Die Internationalisierung unserer Gewerkschaften muss noch besser funktionieren. Die Rechte für europäische Betriebsräte müssen dringend ausgeweitet werden, und die Möglichkeit, globale Betriebsräte zu gründen, sollte zur Selbstverständlichkeit werden.
DGB/Heiko Sakurai
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