Deutscher Gewerkschaftsbund

21.11.2014

Religiöse Vielfalt am Arbeitsplatz

Drei Thesen für Gewerkschaften und Interessenvertretungen

Nicht nur die Regierung und Politik sind aufgefordert, die Voraussetzungen für ein gelungenes Miteinander der Menschen unterschiedlicher Religionen und Konfessionen zu schaffen. Auch die Zivilgesellschaft steht in der Pflicht. Deshalb müssen die Gewerkschaften alte und neue Diskriminierungsgefahren aufgrund der Religionszugehörigkeit erkennen und eindämmen.

VSA Buchtitel

Von der Autorin jüngst erschienen!

»Wir werden den Dialog mit den christlichen Kirchen, Religionsgemeinschaften und religiösen Vereinigungen sowie den freien Weltanschauungsgemeinschaften intensiv pflegen. Sie bereichern das gesellschaftliche Leben und vermitteln Werte, die zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft beitragen. Wir bekennen uns zum Respekt vor jeder Glaubensüberzeugung. Auf der Basis der christlichen Prägung unseres Landes setzen wir uns für ein gleichberechtigtes gesellschaftliches Miteinander in Vielfalt ein.« (CDU/CSU und SPD 2013: 113)

Mit diesem Satz leitet der Koalitionsvertrag für die laufende Legislaturperiode das Kapitel »Kirchen und Religionsgemeinschaften« ein. Daran wird deutlich, dass sich die Politik in der Verantwortung sieht die Vielfalt religiöser Bekenntnisse in Deutschland und die darin liegenden Chancen für das gesellschaftliche Zusammenleben zu fördern.

Jedoch sind nicht nur die Regierung und Politik aufgefordert, die Voraussetzungen für ein gelungenes Miteinander der Menschen unterschiedlicher Religionen und Konfessionen zu schaffen. Auch die Zivilgesellschaft steht in der Pflicht. Deshalb müssen die Gewerkschaften alte und neue Diskriminierungsgefahren aufgrund der Religionszugehörigkeit erkennen und eindämmen. Das gilt gleichermaßen für die politische, als auch für die betriebliche Ebene. Diversity Management kann hierfür eine hilfreiche Strategie sein.

Drei Thesen sollen dafür erste Anregungen und Hinweise geben.

These 1: Die aktive Sorge um Religionsfreiheit ist Teil der DNA der deutschen Einheitsgewerkschaften. Gute Arbeit für Mitglieder aller Religionen zu sichern, ist unser originärer Auftrag.

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die ehemaligen Richtungsgewerkschaften der Weimarer Republik, allen voran »freie« sozialistische und christliche Gewerkschaften, zu Einheitsgewerkschaften zusammengeschlossen. Sie wollen damit die Zersplitterung überwinden, um ein starkes Bündnis für die Interessen der ArbeitnehmerInnnen zu bilden. Der ehemalige DGB-Vorsitzende Heinz-Oskar Vetter beschrieb dieses Bündnis folgendermaßen:

»In ihm haben sich Arbeitnehmer unterschiedlicher Religion, Weltanschauung und parteipolitischer Richtung zusammengeschlossen, um unabhängig von dem, was sie sonst trennen mag, gemeinsam die Interessen der Arbeitnehmer zu formulieren und zu vertreten.« (Vetter 1979: 197)

Das Bündnis konnte nur tragfähig werden, weil die positive und negative Religionsfreiheit, die Weltanschauungsfreiheit als integraler Bestandteil des gewerkschaftlichen Selbstverständnisses gesehen wurde. Der stellvertretende DGB-Vorsitzende Matthias Föcher hat das im Oktober 1955 in seiner Rede zu »10 Jahre Einheitsgewerkschaft in Deutschland« folgendermaßen bekräftigt:

»Die neue deutsche Gewerkschaftsbewegung ist also aus ihrem Prinzip der Einheit heraus ein klärendes (...) Element unseres politischen Systems. Sie dient (…) der politischen und weltanschaulichen Toleranz. (...). Wir bekennen uns zur Achtung vor den verschiedenen religiösen Bekenntnissen unserer Mitglieder. Wir werden diese Achtung immer wieder im praktischen Leben beweisen.« (Föcher 1955)

Das Motto »Für alle soll dasselbe gelten« charakterisiert diesen betrieblichen Universalismus. In der Praxis erfährt diese Grundhaltung der Einheitsgewerkschaft eine aktive Unterstützung. Aus der Perspektive der Betriebs- und Personalräte ist besonderer Wert darauf zu legen den betrieblichen Universalismus zu garantieren. Er basiert auf Tarifverträgen, die zentrale Merkmale des Arbeitsverhältnisses für alle gleich regeln. Seine rechtlichen Grundlagen sind das Betriebsverfassungsgesetz und das Personalvertretungsgesetz, die beide nicht zwischen Beschäftigten unterschiedlicher Herkunft und Konfession, Alter oder sexueller Orientierung unterscheiden. Die Chancen der Beschäftigten ihre eigenen Interessen erfolgreich zu vertreten, sind – so ist die allgemeine betriebliche Erfahrung – besonders groß, wenn sie ihre Interessen als Arbeitnehmer_innen und nicht als Zugehörige einer Gruppe vertreten.

Der betriebliche Universalismus hat harte Bewährungsproben überstanden, etwa im Herbst 2001. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center und rund um den Milzbrandalarm in Deutschland gab es begründete Angst, der Islamismus und eine auf ihn reagierende Islamophobie könnten in die Betriebe hineingetragen werden. Das ist weitgehend ausgeblieben. Gott sei Dank!

Ein Artikel der ver.di-Zeitung »PUBLIK« beschreibt anschaulich die damalige Situation im Internationalen Postzentrum in Frankfurt am Main: 2.100 Beschäftigte aus über sechzig Nationen arbeiteten dort. Unter ihnen Mohammed Jellouli, ein gläubiger Mann, der – so schildert es PUBLIK – »beten geht «, wenn »andere Kollegen zum Rauchen gehen«. Jellouli bestätigt dankbar: »Nationalität und Religion waren hier nie ein Konfliktthema«. Auch nach den Anschlägen hat er keine islamfeindliche Stimmung feststellen können. »Doch nach dem Inhalt des Koran werde er jetzt häufiger gefragt«. (Erzeren 2001) Was Jellouli beschreibt, ist die Veränderung von »religious blindness « hin zur »Wahrnehmung religiöser Vielfalt «. Sie steht am Anfang einer responsiven gewerkschaftlichen Diversity-Arbeit, die Unterschiede nicht leugnet, sondern Vielfalt aktiv in strategisches Handeln einbezieht.

These 2: Diskriminierung aufgrund der Religion trifft Frauen stärker als Männer.

Die Einbindung in den Arbeitsmarkt ist weniger von der Religionszugehörigkeit allein als von der Geschlechtszugehörigkeit in Kombination mit der Religion abhängig. Zu diesem Ergebnis kommen Stephanie Müssig und Anja Stichs (2013), die sich mit der Rolle der Religion für die Arbeitsmarktintegration beschäftigt haben. Religiöse Aspekte, so die Autorinnen, wirken sich nachweislich auf die Erwerbsbeteiligung von Frauen, nicht aber auf die von Männern aus: »Betrachtet man die Religionszugehörigkeit, so zeigt sich, dass Musliminnen in Deutschland bei sonst gleichen Voraussetzungen signifikant seltener erwerbstätig sind als Christinnen mit entsprechendem Migrationshintergrund«. (Stichs/Müssig 2013: 69)

Die Arbeitsmarktintegration nimmt sowohl bei christlichen als auch bei muslimischen Frauen mit dem Grad der Gläubigkeit ab. Bei Männern hingegen spielt die Gläubigkeit für die Erwerbsbeteiligung keine Rolle. Diese Tatsachen aus gewerkschaftlicher Perspektive gründlicher zu analysieren, ist eine Aufgabe, die noch vor uns liegt. Ein Grund, weshalb Religiosität und Religionsunterschiede in der gewerkschaftlichen Wahrnehmung als Themen in der Arbeitswirklichkeit bislang kaum bemerkt wurden, mag damit zusammenhängen, dass Gewerkschaften traditionell Männer stärker organisieren als Frauen. Außerdem erreichen die Gewerkschaften meist in den Betrieben nur jene Frauen, die weniger religiös sind, weil die Arbeitsmarktintegration von Frauen mit dem Grad ihrer Gläubigkeit abnimmt.

Es bedarf deshalb einer selbstkritischen Analyse der blinden Flecken unserer eigenen Wahrnehmung, um auf der Basis wissenschaftlicher Befunde dem Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungsmerkmale auf die Spur zu kommen. Diversity Management bietet uns neue Chancen, multiplen Diskriminierungsrisiken wirksam entgegen zu treten.

These 3: Die vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gestalteten Rechte und Pflichten der Personalvertretungen und Tarifpartner werden zur Durchsetzung des präventiven Schutzes vor Diskriminierung aufgrund der Religion im Arbeitsleben noch nicht in vollem Umfang genutzt.

Mit dem 2006 verabschiedeten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zur Umsetzung verschiedener europäischer Gleichstellungsrichtlinien sollen alle Arten der Diskriminierung – namentlich auch Diskriminierung aufgrund von Religion oder Weltanschauung – präventiv verhindert oder beseitigt werden (§ 1 AGG). Um den Schutz des Gesetzes effektiv zu gewährleisten, haben auch die Interessenvertretungen und die im Betrieb oder der Verwaltung vertretene Gewerkschaft »in besonderen Fallkonstellationen« das Recht erhalten, sich zur Unterstützung der Betroffenen an Klageverfahren zu beteiligen (§ 17 Absatz 2 AGG). Darüber hinaus werden Tarifvertragsparteien und Beschäftigtenvertretungen aufgefordert, im Rahmen ihrer Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten an der Verwirklichung des Gesetzesziels mitzuwirken (§ 17 Absatz 1 AGG).

Dieser gesetzliche »Appell« des § 17 erhält durch § 75 Absatz 1 BetrVG den Charakter einer betriebsverfassungsrechtlichen Pflicht (Hayen 2006: 732). Für den Betriebsrat bedeutet das zunächst einmal, darüber zu wachen, dass die Bestimmungen des AGG im Betrieb angewendet werden. Der Betriebsrat kann diesbezüglich Betriebsvereinbarungen zur Regelung präventiver Schutzmaßnahmen fordern. Solche Vereinbarungen wurden im Jahr 2012 von der Hans-Böckler-Stiftung ausgewertet. Dabei kam heraus, dass viele Regelungen nur gesetzliche Vorgaben umsetzen, ohne den konkreten Bezug zur betrieblichen Situation einzubringen (Ullenboom 2012: 12).

Die unklare Übertragung der gesetzlichen Vorgaben kann aber dazu führen, dass der Geist der Vereinbarung nur schwer nachvollzogen wird. Die Auswertung zeigt insgesamt: »Die Betriebsparteien haben aus unterschiedlichen Gründen großes Interesse an einem wertschätzenden, respektvollen Umgang aller Akteure im Unternehmen und auch darüber hinaus«. (ebd.: 124) Die Tatsache, dass Vielfalt von Seiten der Arbeitgeber zunehmend als Ressource entdeckt wird (ebd.: 43), müsse von Seiten der Betriebsräte noch stärker als Chance für konkrete Vereinbarungen genutzt werden. Interessenvertretungen sollten über Maßnahmen nachdenken, die ein von Toleranz und Respekt geprägtes Miteinander im Unternehmen fördern. »Dazu müssen Personal- und Betriebsräte selbst sensibel sein und etwa Gespräche mit Beschäftigten führen, um zu hören, wo der Schuh drückt«. (ebd.: 130)

Die in der Studie angemahnten Konkretisierungen könnten auch die Gestaltung von Arbeitsabläufen unter Berücksichtigung der religiösen Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreffen. Dorothee Frings hat dazu im Rahmen der Deutschen Islamkonferenz angeregt, die Beschäftigtenvertretungen sollten ebenso wie die Arbeitgeber bei »der Festlegung von Regelungen zu Arbeitszeiten und -abläufen, Urlaubsregelungen, Ausnahmen von Bekleidungsvorschriften und zur Bereitstellung von Gebetsmöglichkeiten (...) in besonderer Weise auf eine Beteiligung der verschiedenen im Betrieb vertretenen« religiösen Gruppen achten (Frings 2012).

Der UN-Berichterstatter für Religionsfreiheit, Heiner Bielefeldt, hat diese Forderung in seinem jüngsten Bericht noch einmal zugespitzt. Der UN-Behindertenrechtskonvention folgend, votiert er für die durchgängige Anwendung des Konzepts der „angemessenen Vorkehrung“ (reasonable accomodation) auf Fragen der Religionsfreiheit am Arbeitsplatz. Der Ball liegt also im Spielfeld der Tarifpartner und des Gesetzgebers.

 

Literatur

CDU/CSU und SPD (2013): Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, Berlin, https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf

Dam, Peter van (2010): Religion und Zivilgesellschaft, Münster

Empowerment für Arbeitnehmer (2013): Interview mit Eva M. Welskop-Deffaa über Adolph Kolping und christliche Minderheiten in den Gewerkschaften, in: Die Politische Meinung Nr. 523, Nov./Dez. 2013, S. 103-107

Erzeren, Ömer (2001): In der Krise beweist ein gutes Betriebsklima seine ganze Stärke, in: Publik 00.1, November, S. 4

Föcher, Matthias (1955): Zehn Jahre Einheitsgewerkschaften in Deutschland, Rede des stellvertretenden DGB-Vorsitzenden am 23.10.1955, ACDP, Nachlass Bernhard Tacke, 01-455-011/4

Frings, Dorothee (2012): Musliminnen und Muslime im Arbeitsleben – Rechtliche Grundlagen, Vortrag auf der Fachtagung der Deutschen Islamkonferenz, Berlin, 18. April 2012 (www.deutsche-islam-konferenz.de )

Halm, Dirk/Meyer, Hendrik (Hrsg.) (2013): Islam und die deutsche Gesellschaft, Wiesbaden

Hayen, Ralf-Peter (2006): Das AGG und die Betriebsräte. Auswirkungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf die betriebliche Praxis, in: AiB 2006, Heft 12, S. 730-737

Lübbe-Wolff, Gertrude (2009): Integration durch Verfassung, in: djb 4/2009, S. 174-180

Schroeder, Wolfgang (1992): Katholizismus und Einheitsgewerkschaft, Bonn

Special Rapporteur of freedom of religion or belief (2014), Report on tackling religious intolerance and discrimination on the workplace: www.ohchr.org/documents/issues/religion/A.69.261.pdf

Stichs, Anja/Müssig, Stephanie (2013): Muslime in Deutschland und die Rolle der Religion für die Arbeitsmarktintegration, in: Halm, Dirk/Meyer, Hendrik (Hrsg.): Islam und die deutsche Gesellschaft, Wiesbaden, S. 49-85

Ullenboom, Detlev (2012): Toleranz, Respekt und Kollegialität. Betriebs- und Dienstvereinbarungen. Analyse und Handlungsempfehlungen, Frankfurt a. M.

Vetter, Heinz Oskar (1979): Die Einheitsgewerkschaft als ständige Aufgabe, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 4/79, S. 193-204

Welskop-Deffaa, Eva M. (2013): Arbeitswirklichkeit von Muslimen und Christen in Deutschland – Sieben Thesen aus gewerkschaftlicher Perspektive, Vortrag im Allianz-Forum in Berlin anlässlich der Vorstellung des »Lexikons des Dialogs « (www.arbeitsmarkt-und-sozialpolitik.verdi.de)

Welskop-Deffaa, Eva M. (2014): Mitten in dieser Welt. Katholische Kirche und Einheitsgewerkschaften im Dialog, Herder Korrespondenz 68, 5/2014, S. 227-231

Wippermann, Carsten (2014): »Von Gewerkschaften erwarte ich, dass sie sich für sichere Arbeitsplätze einsetzen!« , ver.di sopodialog, Berlin


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Eva M. Welskop-Deffaa
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