Der Schauspieler Heinrich Schafmeister ist Schatzmeister des Bundesverbandes Schauspiel (BFFS). Im Interview lobt er die Zusammenarbeit von ver.di und BFFS und erklärt, warum er sich ein unverkrampftes Verhältnis zwischen DGB-Gewerkschaften und „konstruktiven Berufsgewerkschaften“ wünscht.
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Was sind aus Ihrer Sicht die künftigen politischen Themenfelder, denen sich die Gewerkschaften widmen müssen?
Die DGB-Gewerkschaften müssen berücksichtigen, dass immer mehr Menschen – gerade Schauspieler im Kulturbereich – nicht fest in Betrieben, sondern „flexibel“ und atypisch arbeiten. Kulturleute sind Soloselbstständige, Scheinselbstständige oder wie wir Schauspielleute kurz befristet Beschäftigte. Wir werden für wechselnde „Betriebe“ angestellt, die keine feste Belegschaft haben und oft nur für die Dauer des Projekts bestehen. Das bedeutet: Wir haben keinen Betriebsrat, keine betriebliche Altersvorsorge, keine Mitbestimmung – letztendlich also keine soziale Sicherheit.
Wie soll diese Sicherheit aussehen?
Gerade diese Beschäftigten brauchen einen auf sie zugeschnittenen gesetzlichen sozialen Schutz. Die Künstlersozialkasse greift nur bei selbstständigen, nicht bei befristet angestellten Künstlern. Die DGB-Gewerkschaften sollten – wo vorhanden – ihren Widerstand gegen spezielle Lösungsmodelle für diese Menschen aufgeben und sich gemeinsam mit uns für die Anpassung des Sozialversicherungssystems an diese Arbeitsformen einsetzen. Zudem sollten sie verstärkt für eine vernünftige Bürgerversicherung kämpfen, die alle Erwerbsformen einschließt.
Wo sollte man ansetzen?
Gemeinsam mit uns sollten sie betriebliche Altersvorsorgemodelle für „Betriebslose“ entwickeln, fördern und verteidigen. So ist etwa die Pensionskasse Rundfunk eine betriebliche Altersvorsorge für „freie“ Fernseh- und Rundfunkschaffende ohne feste Betriebsanbindung. Sie ist für unsereins sogar das einzige Standbein der Altersvorsorge, aber sie wird von manchen Arbeitgebern angefeindet und benötigt dringend eine gesetzliche Flankierung. Die DGB-Gewerkschaften sollten gemeinsam mit uns gegen die grassierende Scheinselbstständigkeit – gerade im Kulturbereich – vorgehen.
Was sind Ihre Erwartungen und Wünsche an die Gewerkschaften in der Zukunft?
Unsere Schauspielgewerkschaft wünscht sich, dass DGB-Gewerkschaften ein unverkrampfteres Verhältnis zu konstruktiven Berufsgewerkschaften entwickeln, so wie das ver.di bereits versucht. Das von den meisten DGB-Gewerkschaften leider unterstützte Tarifeinheitsgesetz war ein verheerender Rückschlag für die Gewerkschaftsbewegung im Kulturbereich. Das Gesetz bedroht die Tarifeinheit von ver.di und BFFS.
Wie sollen die Gewerkschaften künftig für ihre Ziele eintreten?
Berufsübergreifende Branchengewerkschaften wie ver.di tun sich im Kulturbereich schwer, Mitglieder zu gewinnen, sie zu mobilisieren oder gar zum Arbeitskampf zu motivieren. Wo kein Betriebsleben stattfindet, kann eine Identifikation über die Zugehörigkeit zum Betrieb nicht funktionieren. Als Berufsgewerkschaft bauen wir auf das Zugehörigkeitsgefühl zum Schauspielberuf. So ersetzen etwa Berufs-„Stammtische“ Betriebsversammlungen. Auch müssen in einer betriebslosen, von Werk- und befristeten Arbeitsverträgen geprägten Kulturlandschaft alternative Arbeitskampfformen entwickelt werden – wie der BFFS das macht.
Wo sehen Sie als BFFS-Mitglied Gemeinsamkeiten mit den DGB-Gewerkschaften?
Als mit Abstand größte Berufsgewerkschaft im Film- und Fernsehbereich pflegen wir seit 2010 eine vertrauensvolle Tarifpartnerschaft mit ver.di. Der Erfolg gibt uns Recht. Das ist aber noch lange nicht typisch für andere Berufsverbände im Kulturbereich, die einerseits zu Misstrauen gegenüber Gewerkschaften neigen, aber andererseits kaum soziale Mächtigkeit besitzen, sich allein durchzusetzen. Der BFFS möchte seine Zusammenarbeit mit ver.di weiter ausbauen. Die Berufsverbände brauchen eine berufsübergreifende Klammer, wie sie ver.di als Branchengewerkschaft bieten kann. ver.di braucht umgekehrt mehr Mobilisierungspotenzial durch die Unterstützung vonseiten der Berufsverbände, da diese näher an den Kulturleuten dran sind. Beide Seiten sind aufeinander angewiesen, beide Systeme können voneinander profitieren und lernen.
Wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit in der Zukunft vor?
Das ist jetzt absolute Zukunftsmusik: Aber warum sollte es Berufsgewerkschaften – die wie der BFFS über ihren beruflichen Tellerrand schauen – nicht eines Tages möglich sein, neben den Branchengewerkschaften auch Mitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund zu sein?
Weitere Infos zum BFFS gibt es hier...
DGB/Heiko Sakurai
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