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Seit zehn Jahren veröffentlicht der Internationale Gewerkschaftsbund im Sommer eine Untersuchung wie es um die gewerkschaftlichen Rechte auf allen Kontinenten bestellt ist. Der diesjährige Globale Rechtsindex zeigt ein erschreckendes Bild zunehmender Angriffe auf grundlegende Arbeitnehmerrechte weltweit.
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Drei Namen, drei Schicksale. Sie verdeutlichen, was der Globale Rechtsindex 2023 des Internationalen Gewerkschaftsbundes mit den Mitteln der Statistik, in dürren Zahlen und abstrakten Begriffen zu fassen versucht.
Sein Befund, erhoben in 149 Staaten dieser Erde (Russland und die Ukraine sind wegen des Krieges nicht berücksichtigt), ist durchweg erschreckend. Danach wurde in fast 90 Prozent der Länder das Recht auf Streik verletzt. In fast 80 Prozent der Länder war das Recht auf Kollektivverhandlungen nicht gewährleistet. In 77 Prozent der Länder waren Arbeitnehmer*innen vom Recht auf Gründung einer Gewerkschaft oder Beitritt zu ihr ausgeschlossen. Und in fast drei Vierteln der Staaten wurde die Registrierung von Gewerkschaften behindert oder sie wurden verboten.
Der Zehnjahrestrend des Globalen Rechtsindex ist eindeutig negativ: Die Verhältnisse für Gewerkschafter*innen haben sich weltweit durchweg verschlechtert. Die zehn schlimmsten Länder für Arbeitnehmer*innen sind laut Index: Bangladesch, Belarus, Ecuador, Ägypten, Eswatini (das frühere Swasiland), Guatemala, Myanmar, Philippinen, Tunesien und Nato-Partner Türkei.
Der Index verzichtet fast vollständig darauf, Schicksale einzelner verfolgter Kolleginnen und Kollegen darzustellen. Es würde seinen Rahmen sprengen. Denn Seite um Seite ließe sich mit den Namen füllen, die in den letzten Monaten inhaftiert und misshandelt worden sind. Erschreckend die Zahl der getöteten Gewerkschafter*innen der jüngsten Zeit, über die von den internationalen Zusammenschlüssen der Gewerkschaftsbewegung berichtet wurde:
· Im Januar 2023 Ermordung des Gewerkschaftsanwalts Thulani Maseko in Eswatini,
· im Januar mehr als 60 Todesopfer von Polizeigewalt bei gewerkschaftlichen Demonstrationen in Peru,
· im April Ermordung des Rechtsvertreters Alex Dolorosa auf den Philippinen,
· im Juni 2023 Ermordung der Gewerkschaftsfunktionäre Xiomar Cocas, Delmer Garcia, Lesther Almendarez und José Rufino Ortíz in Honduras,
· im Juni 2023 Ermordung des in der Textilindustrie von Bangladesch aktiven Gewerkschafters Shahidul Islam. Die Aufzählung ist nicht vollständig.
Die Zunahme der Repression steht in einem klaren Zusammenhang mit den Krisen der letzten Jahre, der Pandemie, dem Krieg Putins in der Ukraine, der weltweiten Inflation. Überall haben in der Folge die sozialen Konflikte an Schärfe zugenommen. Während die Millionen Arbeitnehmer* ihre Existenzgrundlage mit Hilfe ihrer Gewerkschaften verteidigen müssen. Konzerne und Regierungen wollen sie durch Unterdrückung der gewerkschaftlichen Rechte daran hindern - im Interesse von Macht und Profit. „Der globale Anstieg der Lebenshaltungskosten geht mit Angriffen auf die Rechte der Arbeitnehmer*innen in jeder Region der Erde einher“, stellt Luc Triangle, amtierender Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes, fest. Und mit den Rechten der arbeitenden Menschen steht für ihn auch die Demokratie als solche auf dem Spiel, denn: „Die Erosion der einen führt zum Zerfall der anderen.“
Es wäre ein fataler Irrtum, anzunehmen, das alles wäre ein Geschehen weitab unserer Realität. Die Unterdrückung von Gewerkschaften in fernen Ländern hat Konsequenzen auch in Europa. Denn wo gewerkschaftliche Rechte fehlen, sind Löhne und Arbeitsbedingungen miserabel. Sie führen als attraktive Bedingungen der Kapitalverwertung zur Verlagerung von Produktion oder ganzen Standorten aus Europa in Regionen, die dank massiver Repression Investorenparadiese sind. Dazu kommt: Auch in Europa breiten sich demokratie- und arbeitnehmerfeindliche Tendenzen aus. Man denke nur an das Antistreikgesetz in England, das unlängst in Kraft getreten ist. Unter dem Vorwand der Sicherung von Notdiensten schließt es die Kolleg*innen des Öffentlichen Dienstes vom Recht auf Streik praktisch aus. In Deutschland hat es prompt Begehrlichkeiten beim Bundesverband der deutschen Arbeitgeber und in Teilen der CDU geweckt, die Ähnliches auch in Deutschland für erforderlich halten.
Auch in der EU, auch in Deutschland ist nichts gesichert, manches ist bereits gefährlich ins Rutschen geraten, wie antidemokratische Entwicklungen in Polen und Ungarn, in Finnland, Schweden und Italien zeigen. Auch die Umfragewerte der AfD in Deutschland sind bedenklich.
Der Globale Rechtsindex ist nicht nur eine Bestandsaufnahme. Er ist zugleich ein unausgesprochener Appell an die lange und stolze gewerkschaftliche Tradition der internationalen Solidarität. Aliaksandr Kapshul, Reza Shahabi, Chhim Sithar und all die anderen in den Gefängnissen eingekerkerten und misshandelten Gewerkschafter*innen brauchen unser Engagement.
Es ist um so dringlicher, als die Regierungen der EU gerade im Begriff sind, eben die Machthaber, die die Gewerkschaften am liebsten aus der Welt schaffen würden, in die Arme zu schließen. So beispielsweise im Falle Tunesiens oder Ägyptens. Im Index unter den zehn schlimmsten Ländern rangierend, zählen sie neuerdings zu von der EU umworbenen Partnern. Sie sollen die Menschen abwehren, die über das Mittelmeer nach Europa gelangen wollen. Sie sind auf der Flucht vor eben der Unterdrückung und ihren sozialen Folgen, die der Globale Rechtsindex dokumentiert. Es braucht nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, wie das die ohnehin schon sehr schwierigen Bedingungen unserer Kolleginnen und Kollegen dort weiter verschlechtern wird.
Doch was kann man tun? Ein Beispiel: Seit 2020 gibt es „Gewerkschaftsfreiheit International“, eine Initiative der IG Metall in Kooperation mit Amnesty International. Sie informiert über verfolgte Kolleg*innen auf allen Kontinenten und organisiert Solidaritätsaktionen, etwa um den 1. Mai 2023 herum für die verfolgten unabhängigen Gewerkschafter*innen in Belarus. rund 10.000 Kolleginnen und Kollegen unterschrieben Protestpostkarten an die Botschaft von Belarus in Berlin und forderten die sofortige Freilassung der inhaftierten Kolleg*innen und aller politischen Gefangenen. Solche Aktionen sollten Schule machen. Damit der negative Trend, den der Globale Rechtsindex 2023 aufzeigt, gestoppt werden kann. Damit Gewerkschafter*innen weltweit für Arbeitnehmerinteressen eintreten können, ohne verfolgt und ermordet zu werden.
Link zum Globalen Rechtsindex 2023: https://www.globalrightsindex.org/de/2023/
Link zu „Gewerkschaftsfreiheit International“ auf der Homepage des Bildungszentrums Sprockhövel der IG Metall: https://www.igmetall-sprockhoevel.de/verfolgte-gewerkschafterinnen
DGB/Heiko Sakurai
Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.