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Die innenpolitischen Volten in den USA scheinen mit der Wahl eines neuen "Speakers" im US-Repräsentantenhaus beigelegt. Doch das Land kommt damit nicht zur Ruhe. Thomas Greven beleuchtet die zentralen Konfliktlinien und zeigt, wie wichtig die Rolle der Gewerkschaften ist.
pexels / Andrea Piacquadio
Nach mehreren vergeblichen Anläufen, einen „Speaker“ zu wählen, mal mit dem rechten Hardliner Jim Jordan, mal mit eher traditionellen Konservativen wie Tom Emmer, haben sich die Republikaner im US-Repräsentantenhaus ohne Gegenstimmen hinter dem jungen Mike Johnson aus Louisiana versammelt und die Spitzenposition am 25. Oktober endlich besetzt. Nach der Absetzung von Kevin McCarthy, organisiert von einer Gruppe von „Rebellen“ um den Abgeordneten Matt Gaetz aus Florida, stand die Arbeit des US-Kongresses – und damit teilweise auch der US-Regierung – zuvor drei Wochen lang still.
Johnson hatte sich nicht an der Revolte gegen Kevin McCarthy beteiligt, was darauf deutet, dass er kompromissbereiter als die Rebellen sein könnte, was in den überfälligen Budgetverhandlungen mit Senat und Weißem Haus nützlich sein könnte. Auch scheint es bisher keine persönlichen Animositäten wie zwischen McCarthy und Matt Gaetz zu geben. Johnson nützt es wohl, dass er kaum bekannt ist – selbst Senatoren seiner Partei mussten ihn zunächst einmal googeln. Seine Position könnte also gefestigter sein, auch wenn ihm Führungserfahrung fehlt – er ist erst seit 2017 Abgeordneter. Immerhin gehört Johnson nicht dem radikalen, Trump-hörigen Freedom Caucus in der Fraktion der Republikaner an, sondern er war Vorsitzender des – allerdings ebenfalls erzkonservativen – Republican Study Committee, bevor er 2021 zu einem der Vizevorsitzenden der Fraktion gewählt wurde. Kann Johnson, der wie ein Bibelschüler mit guten Manieren wirkt und sicherlich kein verbaler Scharfmacher ist, die zunehmende Zersetzung der Republikanischen Partei aufhalten? Kann er den „kalten Bürgerkrieg“, der nicht nur zwischen den im erstaunlich passenden Mafia-Sprech „fünf Familien“ genannten Flügeln in der Fraktion, sondern wegen des Personenkults um Trump in der gesamten Partei herrscht, beenden?
Wahrscheinlich ist das nicht, denn tatsächlich bestehen die fundamentalen Probleme weiter und sind nicht allein durch den Speaker lösbar: Da die Fraktion nur über eine knappe Mehrheit verfügt und ein einzelner Abgeordneter die Absetzung des Speakers beantragen kann, hängt bei allen überparteilichen Kompromissen, die den Rebellen zu weit gehen, ein Damoklesschwert über Johnson, wie zuvor über McCarthy. Dieser ist trotz seines ruhigen, scheinbar besonnenen Auftretens, ein äußerst konservativer, christlich-nationalistischer Politiker, der die Bibel als maßgebliche Richtschnur des Regierungshandelns betrachtet und beispielsweise Homosexualität illegalisieren will. Vor allem aber war Johnson hinter den Kulissen einer der treibenden Akteure, als es darum ging, die Wahl von Joe Biden mit scheinjuristischen Begründungen anzufechten. Die große Mehrheit der republikanischen Abgeordneten lehnte im Januar 2021 die Zertifizierung seines Wahlsiegs ab und bestreitet weiterhin die Legitimität Bidens. Die republikanische Fraktion ist einem „election denier“ wie Johnson weiter nach rechts gerückt. War McCarthy noch ein Opportunist, der in alle Richtungen verhandelte, um seine Machtposition zu stärken, werden Kompromisse mit einem „true believer“ wie Johnson nun wohl doch eher schwieriger.
Kompromisse sind aber notwendig im Präsidialsystem der USA, vor allem, weil die Situation des geteilten Regierens („divided government“) seit geraumer Zeit der Normalfall ist – keine der beiden Parteien ist strukturell so dominant, dass sie eine eigene Ära prägen könnte. So braucht es für die Verabschiedung des Haushalts für das nächste Finanzjahr einen Kompromiss zwischen Joe Biden im Weißen Haus, den Demokraten, die im Senat über eine knappe Mehrheit verfügen, und den Republikanern, die im Repräsentantenhaus ebenfalls nur knapp vorne liegen. Aber aus Sicht der Rebellen um Gaetz und vieler anderer in der republikanischen Fraktion sind solche Kompromisse grundsätzlich Produkte des Washingtoner Politiksumpfes, den es um jeden Preis auszutrocknen gelte. Ob Johnson diesem Mythos einer „Einheitsregierung“ anhängt, muss sich noch zeigen. Kompromisse mit den Demokraten abzulehnen, wäre jedenfalls ein Zeichen von ideologisch verblendeter Realitätsverweigerung. Geht er sie aber ein, könnte er sich schnell in der gleichen Zwickmühle wie McCarthy befinden und müsste um seinen Posten fürchten. Allerdings wissen die Rebellen, dass er – anders als McCarthy – das fadenscheinige Impeachment-Verfahren gegen Biden aus Überzeugung mitträgt.
Während die Haushaltsverhandlungen stocken und vermutlich eine weitere „continuing resolution“ – ein Übergangshaushalt – notwendig ist, streiten Weißes Haus und Repräsentantenhaus derzeit um die Hilfen für Israel und die Ukraine. Die Unterstützungsbereitschaft für die Ukraine sinkt in der republikanischen Partei und Johnson spricht von „Bedingungen“. Zunächst soll die Hilfe für Israel von derjenigen für die Ukraine abgekoppelt werden, was Biden und der Senat ablehnen, so wie sie auch die extremen Kürzungsforderungen der Republikaner für den Gesamthaushalt ablehnen.
Sie kennen die Strategie der Republikaner nämlich nur zu gut. Diese wollen immer dann weniger Schulden machen und den Bundeshaushalt ausgleichen, wenn die Demokraten an der Regierung sind – was sie aber nicht davon abhält, zugleich massive Steuererleichterungen zu fordern. Regieren sie selbst, dann spielen Schulden angeblich keine Rolle, weil man durch Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche das Wachstum so ankurbeln kann, dass alle davon profitieren und der Haushalt trotzdem ausgeglichen werden kann. Zwar hat es diesen „trickle-down effect“ empirisch nie gegeben, aber die wachsenden Schulden beschneiden die Möglichkeiten für demokratische Präsidenten, die dann unbedingt sparen sollen – und dies lange Zeit auf der Basis neoliberaler Überzeugungen sogar wollten. Zwar ist diese republikanische Hegemonie in der Wirtschafts- und Sozialpolitik abgeschwächt, seit der Aufstieg von Bernie Sanders und den Democratic Socialists die neoliberalen Kräfte bei den Demokraten unter Druck setzt, aber politisch geht die Rechnung immer wieder für die Republikaner auf: Sie machen Steuergeschenke, wenn sie regieren, und hindern mit ihrem in der Opposition immer wieder neu entdeckten Schuldenbewusstsein die Demokraten daran, so zu regieren, dass der Staat für seine Bürger vernünftig funktioniert. Die inhaltliche Übereinstimmung der verschiedenen Strömungen der Republikaner ist das Ziel der Delegitimierung der Bundesregierung. In den Worten Ronald Reagans ist die Regierung „das Problem, nicht die Lösung“. Und das soll auch schön so bleiben.
Weil die Kompromissfindung wohl schwierig bleibt, steht ein „Government Shutdown“, die vorübergehende Schließung aller nicht-essentiellen Einrichtungen der US-Bundesregierung, weiterhin im Raum. Die meisten Bundesbediensteten müssten dann ohne Bezahlung zu Hause bleiben („furlough“). Als „essentiell“ gewertete Beschäftigte – insbesondere für Landesverteidigung, Sicherheit und Luftverkehr zuständige – müssten ohne Bezahlung weiterarbeiten. Immerhin: Inzwischen ist gesetzlich geregelt, dass sie alle nach Verabschiedung des neuen Haushalts ihre ausstehenden Gehälter ausgezahlt bekämen.
Wer würde am Ende politisch profitieren? Bislang sind Versuche der Republikaner, demokratisch geführte Regierungen zu erpressen, bei den folgenden Wahlen meist zu ihren Lasten ausgegangen. Doch es sieht nicht so aus, als würde dies die Rebellen in der republikanischen Fraktion beeindrucken. Ihre eigenen Wahlkreise sind sicher in republikanischer Hand. Für sie zählen nur die Vorwahlen, wo die radikalisierte, Trump-hörige Basis dominiert.
Reist man durch die USA, kann man die gesellschaftliche Polarisierung und politische Radikalisierung außerhalb von Wahlkämpfen leicht übersehen. Vordergründig bewegt man sich durch sehr ähnlich strukturierte Räume und sieht Menschen, die scheinbar sehr ähnlich leben und ähnliche Vorlieben haben: die immer gleichen Ketten dominieren die omnipräsenten Strip Malls entlang der großen Straßen. Doch selbst bei so etwas Alltäglichem wie Kaffeetrinken gibt es ideologische Spaltpilze, wenn man genauer hinschaut. Hier die radikal inklusive Kaffeehausinitiative, wo geistig Behinderte gefördert werden, dort die von Militärveteranen geführte „Black Rifle Coffee Company“, deren Merchandise-Artikel von Militarismus nur so strotzen. Wie kann die amerikanische Gesellschaft ihren Zerfall in Tribalismus aufhalten? Wie können wieder Politiker gewählt werden, für die demokratische Kompromisse nichts Verachtenswertes sind?
Ein Weg könnte die Solidarität am Arbeitsplatz sein, das kollektive Handeln von Menschen mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen, zur Erreichung gemeinsamer Ziele. Die Biden-Regierung hat mit diversen Regeländerungen die gewerkschaftliche Organisierung zuletzt erheblich erleichtert. Vor allem aber zählen tarifliche Erfolge: Die Automobilarbeitergewerkschaft UAW hat gerade die „großen Drei“ der amerikanischen Autoindustrie mit einer geschickt austarierten Streikstrategie in die Knie gezwungen und nicht nur hohe Lohnabschlüsse erzielt, sondern auch die im Zuge der Transformation zur Elektromobilität neu entstehenden Batteriewerke in das Tarifsystem integriert. Zwar müssen die Abschlüsse noch ratifiziert werden, aber dieser Erfolg eröffnet der UAW hoffentlich den Weg, auch im weitgehend gewerkschaftsfreien amerikanischen Süden, wo sich nicht zufällig die meisten Werke deutscher und japanischer Hersteller befinden, erfolgreich zu organisieren.
DGB/Heiko Sakurai
Der Gegenblende Podcast ist die Audio-Ergänzung zum Debattenmagazin. Hier sprechen wir mit Experten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt, es gibt aber auch Raum für Kolumnen und Beiträge von Autorinnen und Autoren.