Deutscher Gewerkschaftsbund

02.08.2022
Atlas der digitalen Arbeit 2022

Wo der Betriebsrat lernt

Gewerkschaftliche Weiterbildung

Wer seine Belegschaft heute kompetent vertreten will, braucht professionelle digitale Kenntnisse auch über Management-, Produkt- und Produktionsprobleme. „Lernfabriken“ an Hochschulen und Universitäten, die das Geschehen in Unternehmen nachbilden, lösen diese Weiterbildungsaufgabe ein.

 

Älterer Mitarbeiter schult jüngere Mitarbeiter an Laptop

Colourbox.de

Wie sich die Digitalisierung auf die Arbeitsbedingungen auswirken kann, ist kaum theoretisch begreifbar – man muss es erleben. Für Betriebsrät*innen ist es eine besondere Herausforderung, hier mitzuhalten. Ihre Arbeit zu professionalisieren war daher das breit diskutierte Thema der vergangenen Jahre, verstärkt durch die arbeits- und sozialpolitischen Folgen der Coronapandemie. Die Nachfrage nach Angeboten zur Fortbildung für Betriebsrät*innen auf akademischem Niveau hat deutlich zugenommen.

Den „Lernfabriken“ kommt hier eine Schlüsselstellung zu. Ursprünglich entstanden als realitätsnahe Lernorte für Studierende, sind sie seit einigen Jahren immer wichtiger auch für die Weiterbildung von Belegschaftsvertreter*innen. Es sind Einrichtungen, in denen – in erster Linie ingenieurwissenschaftliche – Lehre und Forschung in einer realitätsnahen Produktions- und Arbeitsumgebung stattfindet. Wer dort lernt, schaut nicht nur auf Bildschirme und in Bücher, sondern produziert in einem realen Prozess ein physisches Produkt. Seit die Lernfabrik an der Technischen Universität Darmstadt 2007 etabliert wurde, ist die Zahl von Lern- und Forschungsfabriken an Hochschulen sprunghaft gestiegen. 30 bis 50 – je nach Definition – gibt es inzwischen.

Lernort: mittelständische Unternehmen nachgebildet

Die Ruhr-Universität Bochum beispielweise hat die Struktur eines mittelständischen Unternehmens nachgebildet. Betriebsrät*innen lernen hier ebenso wie Studierende Grundlegendes über den aktuellen Stand von Robotik, Digitalisierung und Industrie 4.0. Ein didaktisches Begleitkonzept simuliert Probleme und Lösungswege. Integriert sind arbeitspolitische Lerninhalte, die außerwissenschaftliche Partner wie etwa Gewerkschaften und Betriebsratsmitglieder mit Forschung und Lehre vernetzen und sie in mehreren Themenfeldern qualifiziert.

Im ersten Feld geht es um Arbeits- und Geschäftsprozesse. Wer Mitglied eines Betriebsrates ist, muss sie verstehen lernen, muss horizontale und vertikale Abläufe einordnen können und lernen, sich mit unterschiedlichen Machtressourcen in einem Betrieb kritisch auseinanderzusetzen. Nur so sind kompetente Reaktionen möglich, beispielsweise wenn ein Betrieb umstrukturiert und digitalisiert wird. In den Lernfabriken werden dazu reale Aufgaben aus dem Management der Unternehmen diskutiert und das Vorgehen der Beteiligten geübt. Das Wechselspiel von praktischem Handeln und theoriegeleitetem Wissen führt dazu, dass Technik und Organisation als arbeitspolitisch veränderbar erlebt werden.

Die Gestaltung ist mit dem Einzug neuer Technik nicht vorgegeben, sondern bietet neue Spielräume. Wer zum Beispiel Tablets in der Produktion einsetzt, entwickelt gleichzeitig sein theoretisches Wissen weiter. Durch die Möglichkeiten der Tablets, auch die Lernprofile der Beteiligten aufzuzeichnen, ergeben sich neue wissenschaftliche Fragestellungen sowohl zu Datenschutz als auch zur Weiterbildung, die von Mitarbeitenden der beteiligten Lehrstühle aufgegriffen werden. Eine besondere Herausforderung entsteht dann, wenn es sich nicht nur um Fachinhalte, sondern – wie etwa bei der Entwicklung von Betriebsvereinbarungen – um soziale Anforderungen und arbeitspolitische Erfahrungen handelt. Dieses Wechselspiel wird in den Übungen der Lernfabrik vermittelt.

Lernfabriken erweitern das Lernen durch sinnliche Erfahrungen

Seminare allein, wie sie Betriebsrät*innen meist besuchen, reichen oft nicht aus, um arbeitspolitische Handlungskompetenz weiterzuentwickeln. Eine Lernfabrik erweitert dagegen das Lernen durch sinnliche Erfahrungen. Sie kann wissenschaftliche Weiterbildung mit fachwissenschaftlichem Lernen zu einem sinnvollen Ganzen verknüpfen. Die Inhalte orientieren sich an aktuellen technologischen Entwicklungen bis hin zur künstlichen Intelligenz und den Anforderungen einer proaktiven Arbeitspolitik etwa zur Krisenabwehr. Wer hier professionelle Handlungskompetenzen erwirbt, trägt zu positiven beruflichen Perspektiven bei – auch den eigenen. Die Ausbildung in einer Lernfabrik kann somit auch die Persönlichkeit der Betriebsrät*innen entwickeln und fördern und soziale, ökonomische und arbeits-, also machtpolitische Prozesse reflektieren.

In der bundesdeutschen Hochschullandschaft unterscheiden sich die Lernfabriken bislang stark durch ihre thematischen und konzeptionellen Ausrichtungen. Geschuldet ist das der jeweiligen Kooperation der Ingenieurwissenschaften mit weiteren Fakultäten (interdisziplinär) oder mit außerwissenschaftlichen Partnern (transdisziplinär). Eine Besonderheit stellt dabei die Lern- und Forschungsfabrik des Lehrstuhls für Produktionssysteme in Kooperation mit der IG Metall und der Ruhr-Universität Bochum dar. Universität und Gewerkschaft kooperieren hier seit 1975, um Betriebsrät*innen zu qualifizieren – das Projekt „Arbeit und Innovation“ der dortigen Lernfabrik haben bereits über 500 Betriebsratsmitglieder aus den unterschiedlichsten Industriezweigen besucht.

Ausgewählte Kennziffern aus dem Fachgebiet Wirtschaft und Forschung des Deutschland-Indexes, veröffentlicht vom Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme, Kompetenzzentrum Öffentliche IT, 2021, nach Bundesländern

Deutschland digital und regional: Ausgewählte Kennziffern aus dem Fachgebiet Wirtschaft und Forschung des Deutschland-Indexe vom Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme 2021 Bartz/Stockmar, CC BY 4.0


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Kurzprofil

Prof. Dr. Manfred Wannöffel
Prof. Dr. Manfred Wannöffel ist Geschäftsführer der Gemeinsamen Arbeitsstelle RUB/IGM an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist Hochschullehrer an den Fakultäten für Maschinenbau und Sozialwissenschaft und Vertrauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung.
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