Deutscher Gewerkschaftsbund

16.06.2022
Atlas der digitalen Arbeit 2022

Einkommen: Zwischen Tarifvertrag und Lohn per App

Viele, die mit Programmierung, digitaler Technik und Internet zu tun haben, verdienen gut. Doch ein Streifzug durch die Arbeitswelten zeigt enorme Unterschiede.

Grafik: Geldscheine, Münzen, Kreditkarte und Bezahlen per Smartphone

Pixabay/PabritaKaity

Wer in der digitalen Arbeitswelt wie viel verdient, lässt sich nur annäherungsweise beschreiben. Eine Spur dorthin führt über IT-Berufe etwa aus dem Bereich der Programmierung und Softwareentwicklung, der IT-Netzwerktechnik, -Administration oder -Anwendung. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg hat die Entwicklung der Einkommen von 411 Berufen zwischen 2012 und 2018 verglichen.

Einkommen im IT-Bereich: Lohnvorteil in tarifgebundenen Unternehmen 

Eine unveröffentlichte Analyse zeigt zwei Entwicklungen. Erstens sind die Einkommen in den IT-Berufen relativ hoch. Das gilt für Fachkräfte mit Ausbildung, Spezialist*innen mit einer erweiterten Ausbildung wie einem Meisterbrief, und erst recht für Expert*innen mit mehrjährigem Studium an Fachhochschule oder Universität. Im Vergleich zu anderen Arbeitnehmer*innen sind die Durchschnittseinkommen der IT-Kräfte in dem untersuchten Zeitraum zwar gesunken. Dies ist aber ein statistischer Effekt, der durch die stärkeren Zuwächse im unteren Einkommenssegment hervorgerufen wird, etwa durch den Mindestlohn ab 2015. So sind die Einkommen im IT-Bereich in den Jahren von 2012 bis 2018 um durchschnittlich 11,2 Prozent gestiegen, die der Nicht-IT-Berufe im Schnitt um 14,3 Prozent.

Grafik: Lohnvorteil in den Berufen der Informations- und Kommunikationstechnik bei tarifgebundenen gegenüber tariflosen Unternehmen

Auch wenn Betriebe ohne Tarifvertrag aufholen, bieten diejenigen mit Tarifvertrag rund sechs bis sieben Wochenlöhne Bonus aufs Jahr. Bartz/Stockmar, CC BY 4.0

Zweitens wird in der Untersuchung deutlich, dass Arbeitsplätze in Unternehmen, die in die Digitalisierung investieren, durchschnittlich sicherer sind als in Firmen, die dort nicht investieren. Auch das Lohnwachstum ist im Schnitt höher. Das kann daran liegen, dass die Unternehmen wettbewerbsfähiger sind und höhere Gehälter zahlen können. Eine andere Erklärung ist, dass IT-Kräfte mit ihrer Expertise für solche Unternehmen wichtiger sind und entsprechend besser bezahlt werden. Diese Aussagen treffen für IT-Kräfte branchenübergreifend zu.

Die IG Metall untersuchte in einer Entgeltanalyse die „ITK-Branche“, die Unternehmen der Informationstechnologie- und Telekommunikationsbranche. Erfasst sind Ausrüster, Software-Anbieter, IT-Services, Beratungs- und Consulting-Unternehmen sowie auch reine Callcenter. Die IGM kommt zu folgenden Ergebnissen: Wer innerhalb der ITK-Branche in einem Dienstleistungsberuf tätig ist, verdient zwischen knapp 25.000 Euro und 118.000 Euro im Jahr; die individuelle Eingruppierung erfolgt etwa nach Ausbildung und Betriebszugehörigkeit. Die Analysen der IG Metall wie auch der Gehaltsrechner des Statistischen Bundesamtes Destatis zeigen, dass die Gehälter in Betrieben höher sind, in denen Tarifverträge gelten. So verdienen ITK-Beschäftigte mit Tarifvertrag im Schnitt 14 Prozent mehr als ihre Kolleginnen und Kollegen ohne Tarifvertrag – das übersteigt sogar den Durchschnitt von 11 Prozent, den tarifgebundene Unternehmen branchenübergreifend mehr zahlen als ungebundene.

 

Entlohnung für das Crowdworking, Umfrage, 2017/18

In der Debatte um die Zukunft der Arbeit war vor der Pandemie noch kaum erforscht, wie finanziell attraktiv und zufriedenstellend Crowdworking für viele bereits war. Bartz/Stockmar, CC BY 4.0

In vielen Unternehmen der sogenannten Plattformökonomie finden derzeit Auseinandersetzungen um Tarifverträge statt. Diese Unternehmen erwirtschaften ihre Umsätze nicht zwingend in der Digitalbranche, sondern etwa in der Logistik oder im Catering, setzen aber in ihrer Organisationsform auf die Digitalisierung. Über Plattformen – Apps oder Internetseiten – bringen sie Angebot und Nachfrage von Produkten oder Dienstleistungen zusammen. Ein Beispiel hierfür sind Dienste für die Essensauslieferung. Laut Selbstauskunft von Lieferando können Fahrer*innen mit der Lieferung von Speisen aus dem Restaurant insgesamt 18 Euro pro Stunde verdienen. Hierbei rechnet das Unternehmen Trinkgeld, Kilometergeld und Auftragsboni für Vollzeitbeschäftigte mit eigenem Fahrrad zusammen.

Lieferdienste: Einkommensdurchschnitt liegt unter dem, was die Unternehmen angeben

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten geht bei Lieferando hingegen von einem Durchschnittseinkommen von 13 Euro aus – inklusive Trinkgeld. Im Januar 2022 hat sich das Unternehmen verpflichtet, einen Stundenlohn von 11 Euro zu garantieren, der Mindestlohn liegt seit Januar 2022 bei 9,82 Euro pro Stunde. Da betriebliche Strukturen wie gemeinsame Arbeits- oder Aufenthaltsräume und regelmäßige Betriebsversammlungen fehlen oder es auch keinen gemeinsamen Treffpunkt gibt, an dem die Arbeit begonnen wird, fällt es den Ausliefernden schwer, eine gemeinsame Interessenvertretung zu bilden, die darauf drängen könnte, die Einkommen zu verbessern.

Grafik: Bereinigtes Gender-Pay-Gap für IT-Berufe in Deutschland, 2021

Tarifverträge verringern das Gender-Pay-Gap, doch selbst hier lauert Diskriminierung. Gehaltselemente können auf „persönlichen Einschätzungen“ des Arbeitgebers beruhen. Bartz/Stockmar, CC BY 4.0

Irgendwo zwischen Mindestlohn und Reichtum schwanken die Einkommen in einem besonders exotischen Bereich der Digitalwirtschaft, bei den Influencer*innen. Sie profilieren sich als persönliche Marke in sozialen Netzwerken wie YouTube oder Instagram und sind meist selbstständig. Mit ihren Reichweiten, die sich in Followern bemessen, können sie entsprechende Einkommen generieren. Ab 10.000 Followern zahlen Unternehmen Werbepreise von 5 bis 15 Euro pro 1.000 Followern. Die Preise unterscheiden sich nach der Interaktionsrate, die zeigt, wie viele Menschen auf die Werbebeiträge mit Kommentaren oder „Gefällt mir“-Angaben reagieren. Im Schnitt verdient die C-Liga mit 1.000 bis 5.000 Followern auf Instagram 10 bis 60 US-Dollar pro Post. Mega-Prominente mit über einer Million Follower – wovon es in Deutschland Dutzende gibt – kommen auf bis zu 15.000 US-Dollar. Rund zwei Drittel aller Influencer*innen haben nur zwischen 1.000 und 20.000 Follower – die Einkünfte der meisten liegen also im Bereich eines Taschengelds.


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Kurzprofil

Heike Holdinghausen
Heike Holdinghausen ist Redakteurin der taz für Wirtschaft und Umwelt und schreibt als freie Autorin vor allem über Kreislaufwirtschaft und Rohstoffthemen.
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