Dass Weiterbildung wichtig ist, ist in der Gesellschaft angekommen. Aber sie ist zu kompliziert, bundesweite Regelungen fehlen. Und dass sich die Digitalisierung auch digital erlernen lässt, ist in Deutschland noch längst nicht selbstverständlich.
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Mit der digitalen Transformation von Industrie und Dienstleistungen erhält die betriebliche und außerbetriebliche Weiterbildung einen neuen und höheren Stellenwert. Alle Beschäftigten müssen lebensbegleitend lernen, über alle Anforderungsniveaus hinweg, wenn sie mit der Digitalisierung und Automatisierung an ihren Arbeitsplätzen und in den Betrieben mithalten und sie mitgestalten wollen.
Das gilt für alle Beschäftigten, ob gut oder weniger gut qualifiziert. Die umfassenden Veränderungen erfordern neue Arbeitsabläufe und Werkzeuge, neue Kommunikations- und Arbeitsstrukturen sowie grundlegend veränderte Produktlinien und Geschäftsmodelle. Gebraucht werden technologische Fähigkeiten für Sensortechnik, Robotik und neue Fahrzeugantriebe, aber auch digitale Fähigkeiten wie Programmieren und Datenanalysen. Berufliche Kompetenzen in einer digital vernetzten Arbeit und Welt zu erwerben, bedeutet auch, die sozialen Zusammenhänge, in denen die Arbeit stattfindet, zu verstehen, die eigene Rolle zu reflektieren und die neuen Herausforderungen im Beruf zu bewältigen.
Anwendungen stehen im Vordergrund. Bei nur 14 Prozent der Weiterbildungsaktivitäten geht es um Hintergrundwissen über die Digitalisierung Bartz/Stockmar, CC BY 4.0
Es geht nicht nur darum, Innovationen zu schaffen, sie beurteilen und umzusetzen zu können. Es geht zum Beispiel auch darum, mögliche Konflikte um Arbeitsbedingungen erkennen, austragen und die eigene berufliche Entwicklung planen zu können. Der Stifterverband, eine gemeinsame Initiative von Unternehmen und Stiftungen, zählte 2021 zu den „Zukunftsfähigkeiten“ oder „Future Skills“, die in den nächsten fünf Jahren an Bedeutung zunehmen werden, „transformative Kompetenzen“ wie Dialog-, Konflikt- und Urteilsfähigkeit, Innovationskompetenz und „Missionsorientierung“.
Der Weiterbildungsmarkt hat darauf reagiert. Die Sozialpartner – Wirtschaft und Gewerkschaften – haben erste bundeseinheitliche Qualifizierungsstandards für die Industrie 4.0 entwickelt, die bereits umgesetzt werden. Wer Bremshebel fertigt, muss sich künftig auch mit 3-D-Druckern auskennen; für Netzwerkarbeit werden bestimmte Software-, System- sowie Prozesskenntnisse vorausgesetzt. Berufliche Aus- und Fortbildungen werden beschleunigt novelliert. Für elf wichtige Berufe der Metall- und Elektroindustrie gelang den Sozialpartnern die Beschlussvorlage in weniger als einem Jahr. Und es entstehen neue Weiterbildungsformate.
Gelernt wird nicht nur für die Digitalisierung, gelernt wird vor allem mit digitaler Unterstützung. 2020 bildet sich fast jede*r Zweite (47 Prozent) mithilfe digitaler Medien fort, 16 Prozentpunkte mehr als 2018. Blended-Learning-Konzepte – eine Kombination aus klassischem Unterricht und virtuellen Formen – unterstützen Lernprozesse nahe an oder sogar bei der Arbeit, direkt am Arbeitsplatz oder im Betrieb. Neben umfänglichen, tagelangen Kursen mit kompaktem Stoff ergänzen und erleichtern das Lernen kleinere, stufenweise angelegte Einheiten, die videobasiert und digital angeboten werden.
Dafür braucht es eine ausreichende technische Ausstattung und klare, mitbestimmte Rahmenbedingungen. Die Lernzeiten der Beschäftigten müssen angerechnet und bezahlt werden. Entsprechend haben die Betriebe die Aufgabe, ihre Personalplanung darauf einzustellen und diese Trends in die betrieblichen sowie tariflichen Vereinbarungen einfließen zu lassen.
Durch bezahlte Digital-Weiterbildung sind Frauen in Vollzeit viel eher zu erreichen als durch Umsonstangebote, für die die Familie keine Zeit lässt Bartz/Stockmar, CC BY 4.0
Dass Weiterbildung wichtig ist, ist in der Gesellschaft insgesamt angekommen. Rund 67 Prozent der Erwerbstätigen nahmen 2020, auch coronabedingt, ein derartiges Angebot an – das ist mehr als je zuvor. In der betrieblichen Fortbildung ist es allerdings weiterhin nur fast jede*r zweite Beschäftigte, und weiterhin nehmen Personen mit hohem Schulabschluss immer noch deutlich öfter teil als solche mit niedriger Qualifikation.
Eine Lösung dafür wären Weiterbildungsmentor*innen, die die Beschäftigten in den Betrieben beraten und begleiten könnten, wie es die Gewerkschaften vorgeschlagen und bundesweit in zahlreichen Branchen – von der Politik gefördert – auch schon eingeführt haben. Als Expert*innen kennen sie die Weiterbildungsstrukturen im Betrieb und Bildungssystem sowie die Bildungszeitgesetze und unterstützen die Beschäftigten bei ihrer Bedarfsanalyse. Sie wissen, wie man Qualifizierungen finanziert bekommt, und sie beraten und sammeln Informationen, um betriebliche und berufliche Bildung auf den Weg zu bringen.
Diese Investitionen sind besonders in der aktuellen demografischen Entwicklung wichtig. Beschäftigte sollten so lange wie möglich an ihrem Arbeitsplatz bleiben können, auch wenn er sich stark verändert. Die Politik hat erkannt, dass hier weit mehr geschehen muss. Mit der Nationalen Weiterbildungsstrategie (NWS), schon 2019 angelaufen, wollen Bund, Länder, Wirtschaft, Gewerkschaften und die Bundesagentur für Arbeit Ideen und Initiativen bündeln und weiterentwickeln, zum Beispiel im Rahmen einer Nationalen Online-Weiterbildungsplattform.
Triumpf des alten Kurssystems: Mehr als ein Drittel aller Weiterbildungen kommt komplett ohne den Einsatz digitaler Medien aus. Bartz/Stockmar, CC BY 4.0
Mit dem Qualifizierungschancen- und dem Arbeit-von-morgen-Gesetz werden die arbeitsmarktpolitischen Qualifizierungsinstrumente wie die staatliche Förderung zwar verbessert. Aber der Bericht der Industrieländer-Organisation OECD zur beruflichen Weiterbildung in Deutschland von 2021 zeigt, dass hierzulande zu wenig für geringer Qualifizierte getan wird. Und er zeigt weitere Schwächen auf. Deutschland habe eine der kompliziertesten Weiterbildungsstrukturen, bemängelt die OECD. Die Qualitätssicherungssysteme – also Gütesiegel – seien unübersichtlich. Es fehle ein bundesweites Rahmengesetz, das Orientierung bietet.
Drei Forderungen stellt die OECD deswegen auf: Dass noch mehr und noch ambitionierter in der Nationalen Weiterbildungsstrategie zusammengearbeitet wird, dass ein bundesweites Weiterbildungsgesetz entwickelt wird und dass für die rund 18.000 Weiterbildungsanbieter Mindestqualitätsstandards entwickelt werden. Nur – im Koalitionsvertrag der Bundesregierung von 2021 finden sich diese Stichworte nicht wieder.
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Der Atlas der digitalen Arbeit ist ein Gemeinschaftsprojekt des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Hans-Böckler-Stiftung (HBS).