Im Internet werden viele Arbeitsaufträge vermittelt und vergeben. Die EU will nun Standards für Bezahlung und soziale Absicherung sowie die Kontrolle allzu entscheidungsfreudiger Algorithmen einführen.
People Analytics Systeme kommen immer mehr zum Einsatz in der Personalführung von Unternehmen. Die Programme erleichtern Vorgänge, sind aber nicht frei von Diskriminierung. Vorsicht ist deshalb geboten. Pixabay/Buffik
Anne-Kathrin ist Clickworkerin. Gerade hat sie sich auf einer großen Online-Arbeitsplattform eingeloggt, und sofort gibt es auf der Startseite unterschiedliche Job-Angebote. Google-Recherchen bringen ihr zwischen 5 und 30 Cent pro Suche. Sie könnte auch kurze Produkttexte für ein Onlinekaufhaus schreiben – für 51 bis 80 Wörter pro Text gibt es immerhin 1,55 Euro. Aber sie müsste sechs solcher Texte schreiben, um 9 Euro in der Stunde zu verdienen. Auf Englisch wird ihr das Angebot gemacht, für 2,40 Euro das eigene Auto abzufilmen. Mit dem Video soll angeblich eine künstliche Intelligenz trainiert werden.
Diese sogenannte Clickwork, bei der auf einer Plattform viele kleine Aufträge, sogenannte Mikrotasks, erledigt werden, ist nur eine Form von Crowdwork. Das sind Tätigkeiten, die von vielen Menschen gleichzeitig erledigt werden. Sie arbeiten dabei nicht zusammen, sondern unabhängig und oft ohne jede Kenntnis voneinander, etwa an ihrem eigenen PC. Gemeinsam ist ihnen, dass sie über Onlineplattformen vermittelt werden und ihre Aufträge entweder durch die Zeit oder die Anzahl klar begrenzt sind.
Vor-Ort-Aufträge, womöglich mit Kund*innenkontakt, gehen oft an Frauen, Transportjobs wie Kurierfahrten meist an Männer. Bartz/Stockmar, CC BY 4.0
Die Arbeit für Plattformen unterscheidet sich grundsätzlich in Online- und Offlinearbeit. Personentransport (Uber), Vermietung (Airbnb), Essensauslieferung (Lieferando) oder Bringedienst für Lebenmittel (Gorillas) sind nur offline möglich und an bestimmte Orte gebunden. Die Onlinearbeit ist hingegen von überall möglich und unterscheidet sich vor allem durch die Qualifikationen, die dafür erforderlich sind. Als Arbeit gibt es zum Beispiel Übersetzungen, Softwareentwicklung oder Designaufgaben und eben auch das Clickworking in Mikrotasks, für die nur eine kurze digitale Einführung nötig ist.
Der Europäischen Kommission zufolge arbeiteten in der EU 2021 bereits 28 Millionen Menschen auf digitalen Plattformen. Bis 2025 sollen es 43 Millionen sein. In Deutschland waren es 2018 rund 5 Millionen Menschen. Mit dem Ausbruch der Pandemie dürfte insbesondere der Umfang der Onlinearbeit deutlich gestiegen sein. Der durchschnittliche Crowdworker in Deutschland, das ergab eine Studie der Hochschule Rhein-Waal, ist männlich und 44 Jahre alt. Beim Clickworking auf
Mikrotask-Plattformen sind Männer und Frauen etwa gleich stark vertreten; sie sind mit durchschnittlich 29 Jahren besonders jung. Bei den Onlineplattformen sind die Arbeitenden gut ausgebildet; 32 Prozent der Aktiven haben Abitur. Auf Mikrotask-Plattformen wie Crowdguru oder Lieferando arbeiten mit 49 beziehungsweise 48 Prozent viele Menschen ohne Berufsausbildung.
Keine Exotik mehr, nicht einmal ein Insider-Tipp – mehr als 4 Prozent der EU-Bürger*innen haben bereits für Onlineplattformen gearbeitet. Bartz/Stockmar, CC BY 4.0
Durchschnittlich arbeiten die Crowdworker*innen in Deutschland 25 Stunden in der Woche. 32 Prozent der aktiven Crowdworker*innen gaben an, 40 Stunden oder mehr zu arbeiten, 26 Prozent verbrachten 5 oder weniger Stunden mit der Netzarbeit. Auch zum Einkommen liegen Erhebungen vor, die, wie es in der Studie heißt, „mit Vorsicht“ zu genießen sind, allerdings klare Tendenzen zeigen. Ein großer Anteil (43,3 Prozent) der Online-Arbeitenden verdient mehr als 1.000 Euro in der Woche, recht viele (17,3 Prozent) immerhin noch 500 bis 1.000 Euro, etwa 18 Prozent weniger als 25 Euro pro Woche, also nur ein Taschengeld. Doch für die meisten Crowdworker*innen stellt die Arbeit einen wesentlichen Teil des Einkommens dar.
Bei der Regulierung dieser Arbeit setzt die EU-Kommission an drei wesentlichen Stellen an: Arbeitsbedingungen, Bezahlung und soziale Absicherung. Die meisten Plattformen ziehen sich auf den Standpunkt des „neutralen“ technischen Vermittlers zurück und übernehmen selten Verantwortung für die Arbeitsbedingungen. Schon im Dezember 2020 wurde diese Haltung vom Bundesarbeitsgericht gekippt. Es stufte einen Plattformarbeiter auf der Mikrotask-Plattform „Roamler“ als angestellten Arbeitnehmer ein, weil er bis in Einzelheiten hinein weisungsgebunden arbeitete. Die IG Metall hatte den Kläger unterstützt. Dieses Urteil könnte Millionen Crowdworkern*innen, die als Selbstständige eingestuft sind, einen Arbeitnehmerstatus ermöglichen. Allerdings soll diese Regulierung laut den Kommissionsplänen bislang nur für Beschäftigungen gelten, die nach dem Inkrafttreten der Direktive begonnen haben, was Gewerkschaften kritisieren.
Online zu erledigende Arbeitsaufträge auf Plattformen sind für die unterschiedlichsten Erwerbssituationen und Altersgruppen attraktiv. Bartz/Stockmar, CC BY 4.0
Die Plattformen prägen die Arbeit der Menschen, die auf ihnen tätig sind. Sie legen fest, ob diese von Auftraggebern überhaupt gefunden werden, oder umgekehrt, welche Aufträge die Arbeitenden finden können. Sie bewerten die Arbeitsleistungen, sie bestimmen wesentlich die Höhe der Bezahlung und die Art und Weise, wie diese ausgezahlt wird. Dabei werden die Entscheidungen in vielen Fällen gar nicht mehr von Menschen, sondern von Algorithmen getroffen. Bei der Taxi-Konkurrenz Uber etwa bestimmt ein Algorithmus fast alles. Aus dem Angebot an Drivern kann er die Höhe der Bezahlung ableiten und streicht vermutlich auch Fahrer und Fahrerinnen aus dem Auftragssystem.
Ein Einspruch gegen solche algorithmischen Entscheidungen ist in der Regel nicht vorgesehen. Die EU plant jetzt eine Vorschrift, die automatisierte Entscheidungen anfechtbar macht. In Deutschland haben einige der großen Crowdworking-Anbieter einen von der IG Metall entworfenen selbstverpflichtenden „Code of Conduct“ unterzeichnet, der in solchen Fällen die Rechte der Arbeitnehmenden stärkt und ermöglicht, dass bei einer zentralen Ombudsstelle eine Beschwerde eingereicht werden kann.
Die EU will noch mehr: Die Plattformbetreiber sollen enger mit den jeweiligen nationalen Behörden zusammenarbeiten und ihnen melden, wer wo und wie für sie tätig ist. Nur mithilfe dieser Informationen sind Behörden in der Lage, auch nationale Vorgaben zum Beispiel zu den Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Dies sei mit Blick auf künftige globale Standards für die grenzüberschreitend arbeitenden Plattformen wichtig. Denn Crowdworking über Ländergrenzen hinweg und mit Algorithmen, die Arbeitsbedingungen festlegen, ist Teil der Arbeit der Zukunft – und damit regulierungsbedürftig.
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Der Atlas der digitalen Arbeit ist ein Gemeinschaftsprojekt des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Hans-Böckler-Stiftung (HBS).