Deutscher Gewerkschaftsbund

27.06.2022
Atlas der digitalen Arbeit 2022

Chemie: Ein langer Weg in die Kreislaufwirtschaft

Langfristig möchte die chemische Industrie die Digitalisierung dazu nutzen, Produkte wiederzuverwerten und Rohstoffe nachhaltig zu nutzen. Stellenausschreibungen zeigen die neuen Anforderungen an die Branche.

Frau mit halb gefülltem Reagenzglas

DGB/Simone M. Neumann

Über Jahrhunderte haben sich Landwirt*innen an Bauernregeln orientiert, um den richtigen Zeitpunkt für Aussaat, Düngung oder Ernte auf den Feldern festzulegen: „Ist der Mai kühl und nass, füllt‘s dem Bauern Scheun‘ und Fass.“ Heute greifen fast alle auf digitale Unterstützung zurück. Eine Vielzahl von Apps und Onlineplattformen hilft ihnen bei der Arbeit. Auch Unternehmen aus der Chemiebranche beteiligen sich. Die Bayer AG etwa bietet kostenlose Apps an, um die Wetterlage einzuschätzen, Schädlinge zu bekämpfen oder Pflanzenkrankheiten zu diagnostizieren.

Apps für die Landwirtschaft

Die Apps sind Teil der Digitalisierungsstrategie des Konzerns. Sein Blick konzentriert sich nicht mehr nur auf die Produktion von Saatgut und Pflanzenschutzmitteln. Ziel ist es, die gesamte Wertschöpfungskette von der Herstellung der Rohstoffe bis zu den Agrarprodukten digital zu vernetzen, Daten zu erheben und so einen Mehrwert zu bieten. Die Landwirt*innen können sich auf einer Plattform einloggen und erhalten je nach gebuchtem Modul gezielt Hinweise, wie hoch der Wasserverbrauch ist und wann sie Saatgut oder Düngemittel am besten auf welche Felder ausbringen.

Die Landwirtschaft ist nur eines von vielen Beispielen, das zeigt, wie sich die chemische Industrie durch die Digitalisierung neu ausrichtet. Branchenverbände sehen die Entwicklung in Verbindung mit der klimagerechten Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Chemische und pharmazeutische Unternehmen liefern die grundlegenden Produkte für den Ausbau der Elektromobilität, der industriellen Biotechnologie, der energieeffizienten Gebäudesanierung oder auch den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft, wie der Verband der Chemischen Industrie erläutert.

Chemische Industrie: Rohstoffe möglichst nachhaltig nutzen

Langfristig sollen Datenanalyse und digitale Technik dazu beitragen, dass die Branche zu einer Kreislaufwirtschaft wird. Doch der Weg bis dahin ist lang. Generell gilt: Rohstoffe sollen möglichst nachhaltig genutzt und Produkte wiederverwertet werden. Wie eine ressourcenschonende Produktion aussehen kann, zeigt das Beispiel der Elektrobatterie, die etliche Chemikalien enthält und künftig in Millionen E-Autos verbaut sein wird. Wie eine Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting darlegt, könnten alte Batterien künftig in Energiespeichern von Häusern wiederverwendet werden.

Grafik: Maximal erwartete Effizienzgewinne bei der Digitalisierung von Wertschöpfungsstufen in der chemischen Industrie

Die Stoffflüsse der chemischen Industrie – vom Einkauf bis zur Produktion – sind auf modernem Stand. In anderen Bereichen soll die Digitalisierung dafür sorgen. Bartz/Stockmar, CC BY 4.0

Dass die Digitalisierung der Chemiebranche Fahrt aufgenommen hat, zeigt eine Analyse von mehr als 200.000 Stellenausschreibungen weltweit. Etwa eine von vier Inseraten der chemisch-pharmazeutischen Industrie verlangt mittlerweile ein Know-how in den Bereichen Datenwissenschaft und Datenanalyse. 15 neue digitale Fähigkeiten und Kenntnisse – auf Englisch „Skills“ – hat die Analyse gezählt. Unter anderem müssen Beschäftigte Wissen über digitale Technologien, zukunftsweisende Materialien und Produktionsprozesse nachweisen können sowie Erfahrungen in modernen Arbeitsmethoden wie etwa dem projektbezogenen Arbeiten mitbringen. Im Detail geht es je nach Berufsbild dann auch um Kenntnisse und Fertigkeiten in den Feldern Biotechnologie, digitaler Vertrieb, maschinelles Lernen oder Blockchain-Technologie. Auch in klassischen Ausbildungsberufen der Chemieindustrie finden sie sich wieder.

Grafik: Durchsetzung neuer Arbeitsformen sowie Work-Life-Balance in den Branchen Bergbau, Chemie und Energie

In nur drei Jahren sprang der Anteil der Beschäftigten, die die neuen digitalen Systeme oft einsetzen, von einem Viertel auf über die Hälfte. Bartz/Stockmar, CC BY 4.0

So müssen Industriemechaniker*innen im Umgang mit sogenannten Wearables – also etwa Datenbrillen bei der Maschinenwartung – geschult sein und die Grundlagen von vernetzt arbeitenden Maschinen, dem „Internet der Dinge“, kennen. Chemielaborant*innen planen und realisieren Abläufe in der chemischen Produktion mit digitalen Hilfsmitteln. Sie setzen in ihrem Arbeitsalltag moderne Analysegeräte und Roboter ein, die sie mit Software und Apps steuern. Die so ermittelten Daten werden von ihnen digital erfasst, analysiert und dokumentiert sowie für die Laborleitung aufbereitet.

Stand der Digitalisierung in der Chemie

Und wie bewerten Beschäftigte in der chemischen Industrie den aktuellen Stand der Digitalisierung? Bekommen sie die Auswirkungen bereits zu spüren? Eine aktuelle Studie der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie zeigt, dass sich in den vergangenen drei Jahren viel bewegt hat. So ist der Anteil von Beschäftigten, die vornehmlich neue Arbeitsformen wie mobiles Arbeiten oder virtuelle Teamarbeit nutzen, seit 2019 von 25 Prozent auf 55 Prozent gestiegen. 44 Prozent der Befragten geben an, dass die digitale Technologie Privatleben und Arbeit besser zu vereinbaren hilft. Wichtiger Treiber dafür war und ist die Coronapandemie.

Grafik: Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen zum Arbeiten mit digitalen Technologien in den Branchen Bergbau, Chemie und Energie.

Die Weiterbildung im Bereich der Digitalisierung hat während der Pandemiejahre etwas zugenommen. Eine klare, stabile Mehrheit blieb aber fern. Bartz/Stockmar, CC BY 4.0

Etwas mehr als die Hälfte der Befragten ist informiert darüber, dass es eine Digitalisierungsstrategie in ihrem Unternehmen gibt. Allerdings hat nur ein knappes Viertel ein klares Bild, wie diese konkret aussieht. Auch bei der Weiterbildung gibt es Nachholbedarf. In den vergangenen zwei Jahren haben nur 15 Prozent einmalig und 19 Prozent mehrfach an einer Weiterbildung zur Arbeit mit digitalen Technologien teilgenommen.


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Kurzprofil

Sebastian Henneke
Sebastian Henneke ist verantwortlicher Redakteur für das DGB-Debattenportal Gegenblende.
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