Deutscher Gewerkschaftsbund

20.06.2022
Atlas der digitalen Arbeit 2022

Up To Data, Up to Date

Betriebsvereinbarungen

Betriebsräte brauchen Innovationen, um die neuen, digital geprägten Arbeitsbeziehungen zu gestalten. In „Labs“ erproben sie neue Technologien und Prozesse und bereiten zeitgemäße Betriebsvereinbarungen vor.

Männer und Frauen stehend an Konferenztisch bei Besprechung

DGB/Best Sabel/Philipp Schulze

Wie schnell und umfassend die digitale Transformation in einem Unternehmen stattfinden kann, zeigt das Beispiel Bosch. Seit vielen Jahren treibt der Industriekonzern die Digitalisierung voran. Längst werden nicht mehr nur Produkte wie Antriebstechnik oder Kühlschränke angefertigt. Es geht auch um die digitale Steuerung und Vernetzung von Maschinen und Anlagen, um das „Internet of Things“. Komplexe Systeme kontrollieren und steuern den gesamten Produktionsprozess, vom Wareneingang über die Montage bis zur Qualitätsprüfung.

Die frühzeitigen Investitionen lohnen sich. Der Umsatz ist in diesem Bereich um 25 Prozent gestiegen. Dafür arbeiten allein in Deutschland rund 131.000 Beschäftigte an mehr als 100 Standorten. Für die Belegschaft und deren Betriebsräte ist das eine enorme Herausforderung. Es geht nicht nur um neue Produkte und zusätzliche Geschäfte, sondern auch um neue Jobprofile, Kompetenzen und Lernmöglichkeiten, um Arbeitsplätze, um Rationalisierung und um Kontrollen am Arbeitsplatz.

Die Betriebsräte haben eine schwierige Aufgabe vor sich, zumal, wenn das Ziel eine interessantere Arbeit, mehr Teilhabechancen und Selbstbestimmung oder Schutz vor Rationalisierung ist. Hinzu kommt: Es ist derzeit alles andere als klar, wie genau sich die Arbeit verändert, welche Inhalte und Qualifikation wichtig werden, wie Leistung künftig bewertet wird und wie sich die Arbeitsbedingungen wandeln. Alte Denk- und Arbeitsmuster greifen hier nicht mehr. Die Betriebsrät*innen müssen neue Wege einschlagen, um eine aktive und gestaltende Rolle einzunehmen. Sie müssen die Folgen der Digitalisierung für die Arbeit analysieren, große von kleinen Veränderungen unterscheiden und Lösungsräume definieren. Sie stehen damit vor einer doppelten Transformation: Sie sollen im Betrieb gestalten und müssen selbst ihre Organisation und ihre Methoden umbauen.

Grafik: Durchschnittliche Anzahl von Betriebsvereinbarungen pro Betrieb, 2017

Je mehr Betriebsvereinbarungen, umso besser für die Belegschaft. Denn die Regelungen sind dann verbindlich und müssen nicht immer neu ausgehandelt werden. Bartz/Stockmar, CC BY 4.0

Ein Beispiel für innovative Betriebsratsarbeit ist die 2018 eingeführte partizipative, gemeinsame Nutzung von „Laboren“, kurz „Labs“, bei Bosch. In ihnen erproben die Betriebsparteien neue Technologien, Verfahren oder Prozesse, experimentieren auf niederschwellige Weise – gegebenenfalls virtuell oder durch Simulation – in einem geschützten Raum über mehrere Wochen oder Monate. Ziel kann – neben einer besseren Betriebsratsarbeit – der Abschluss einer Betriebsvereinbarung sein.

Labs: Innovative Betriebsratsarbeit

Die Arbeitnehmervertretung der Robert Bosch GmbH hat solche Einrichtungen genutzt, um eine Vereinbarung über digitales Lernen zu treffen. In fünf Lernlaboren haben 500 Teilnehmende fünf Monate an verschiedenen Standorten an dieser innovativen Übereinkunft gearbeitet. Die neue Betriebsvereinbarung legt nun fest, wo gelernt wird, ob im Betrieb, zu Hause oder an anderen Lernorten, wann gelernt wird, wie Lernorte ausgestattet sein müssen, und ob eine Lernbegleitung erforderlich ist. Das Unternehmen wurde zudem verpflichtet, für jeden Standort eine Strategie zu entwickeln, die den Bedarf an Weiterbildungen ermittelt und die Lernschritte definiert. Für diese Vereinbarung verlieh der Bund-Verlag dem Betriebsrat 2020 einen Sonderpreis für innovative Betriebsratsarbeit.

Grafik: Themen von Betriebsvereinbarungen und ihre Häufigkeit in Betrieben

Trend bei den Betriebsvereinbarungen: Arbeitszeitkonten mit digitaler Zeiterfassung und der Datenschutz allgemein liegen ganz vorn. Bartz/Stockmar, CC BY 4.0

Dabei ist es nicht geblieben. Seit 2021 laufen mehrere Labs zur Digitalisierung in Personalabteilungen, die die Ergebnisse daten- und algorithmenbasierter Analyseprogramme für die Beschäftigten und Führungskräfte untersuchen. Neu ist die Arbeit in Netzwerken. Hier diskutieren Beschäftigte und Betriebsrät*innen mehrerer Standorte ihre Probleme, teilen Wissen, formulieren Handlungsbedarf und entwickeln Projekte oder auch Betriebsvereinbarungen. Bei Bosch gibt es ein Netzwerk, das an der Vereinbarung zur digitalen Qualifizierung mitgewirkt hat, und eines, das sich mit den Auswirkungen digitaler Plattformen in Fertigung und Logistik befasst hat.

Vereinbarungen zur digitalen Qualifizierung

Nicht nur bei Bosch findet sich diese innovative Betriebsratsarbeit. Der Siemens-Betriebsrat hat für das mobile Arbeiten eine agile Vereinbarung getroffen, ein „living document“. Es wird regelmäßig darauf geprüft, ob es Schritt hält mit der realen Entwicklung. Bei Oerlikon Barmag, der deutschen Niederlassung des Schweizer Industriekonzerns, haben sich das Management und der Betriebsrat auf einen Fahrplan für die Digitalisierung der Ausbildung verständigt. Der Lebensmittelmulti Unilever hat über Deutschland hinaus eine Vereinbarung namens „Future of Work“ zu partizipativen Prozessen in der Digitalisierung getroffen, die Weiterbildungskonzepte umfasst und auch neue Arbeitsmodelle ausprobiert.

Grafik: Zitate aus Betriebsvereinbarungen über den Umgang mit Daten

Neue Programme für Büro und Produktion stehen immer im Verdacht, Daten über die Beschäftigten zu produzieren. Aber das lässt sich eindämmen. Bartz/Stockmar, CC BY 4.0

Digitale Arbeitspolitik ist kein Hexenwerk – auch Betriebsräte können Algorithmen. Voraussetzung dafür sind neue Arbeitsweisen bei den Beschäftigten und weitgedachte arbeits- und betriebspolitische Strategien. Dazu gehören auch Zukunftsbilder, in denen die Digitalisierung bereits Teil der traditionellen Vereinbarungen betrieblicher Mitbestimmung ist – von der Entgelt- und Beschäftigungssicherung bis zur gerechten Teilhabe an der Gestaltung der Arbeit. So kann die soziale Transformation der digitalen Arbeitswelt gelingen.


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Kurzprofil

Dr. Constanze Kurz
Referentin im Funktionsbereich Betriebs- und Branchenpolitik beim Vorstand der IG Metall
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Der Atlas der digitalen Arbeit ist ein Gemeinschaftsprojekt des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Hans-Böckler-Stiftung (HBS).