Deutscher Gewerkschaftsbund

27.05.2022
Atlas der digitalen Arbeit 2022

Frauen: „Flexibel“ ist kein Zauberwort

Die Digitalisierung unterstützt die meisten Frauen weder im Berufsleben noch trägt sie zur Geschlechtergerechtigkeit bei. Von der Schule bis zur Rente dominiert die Benachteiligung. Nur der Bruch mit traditionellen Rollen kann daran etwas ändern.

Dunkelhaarige Frau sitzt auf der Arbeit hinter einem Computerbildschirm

Traditionelle Rollen in der Arbeitswelt sind für Frauen strukturell benachteiligend: Frauen dürfen nicht so häufig mobil arbeiten und sich auf Kosten des Arbeitgebers weiterbilden wie ihre Kollegen. Pixabay/RAEng_Publications

Oft ist von einer digitalen Spaltung der Gesellschaft die Rede. Da sind zum einen die jungen Menschen, also die digital natives, die bereits als Kinder souverän auf dem Tablet gewischt haben und jetzt vielleicht schon im Arbeitsleben stehen. Da sind zum anderen die Älteren, die sich digitale Techniken nur mit Mühe aneignen. Aber es gibt noch eine weitere Kluft, ganz unabhängig vom Alter: die zwischen Männern und Frauen. Denn an den gesellschaftlichen Ungleichheiten und Geschlechterstereotypen hat die Digitalisierung bisher wenig geändert, sie sogar zum Teil verschärft. Sie beeinflusst Bildungschancen, Berufswahl und die Höhe des Lohnes.

Die Polarisierung beginnt oft schon in der Schule und setzt sich bei der Berufswahl fort. Frauen sind in der Ausbildung, im Studium und in den Berufsfeldern der Informations- und Kommunikationstechnologien nach wie vor unterrepräsentiert. Der Frauenanteil in den sogenannten MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) hat zwar zugenommen, er lag aber trotz vieler Werbekampagnen von Politik und Wirtschaft 2021 immer noch bei nur 15,5 Prozent. Gerade in diesen Berufen jedoch werden digitale Technologien deutlich stärker genutzt.

Verdrängungspotenzial von Tätigkeiten für Frauen und Männer in der Unternehmensführung

In Büros mit Leitungsfunktionen und den oft weiblich dominierten Firmensekretariaten wird sich die Arbeit von Frauen stärker ändern als die von Männern. bartz/stockmar, CC BY 4.0

Im digitalen Erwerbsleben setzt sich diese Ungleichheit fort, unabhängig davon, welchen Beruf Frauen wählen. Nach einer Untersuchung des Netzwerks Initiative D21 werden Frauen systematisch benachteiligt. Sie dürfen nicht so häufig mobil arbeiten und sich auf Kosten des Arbeitgebers weiterbilden. Betriebe statten Männer besser mit digitalen Geräten aus, Frauen bekommen zum Beispiel seltener ein Diensthandy. 56 Prozent der befragten männlichen Personen hatten einen Laptop oder ein Notebook, aber nur 36 Prozent der weiblichen. Die Untersuchung attestiert Frauen zudem durchgehend schlechtere digitale Kompetenzen als Männern, unabhängig von Alter, Ausbildung und beruflichem Status.

Traditionelle Geschlechterrollen: Vorurteile über Technikverständnis

Ursache sind tief verankerte Vorurteile über das Technikverständnis von Männern und Frauen – bei den Betroffenen selbst, aber auch bei Lehrenden, Ausbildenden, an Universitäten und in den Familien. Was das heißt, wenn traditionelle Geschlechterrollen weiterhin dominieren, hat COVID-19 verdeutlicht. Vor der Pandemie arbeiteten lediglich vier Prozent der Beschäftigten im Homeoffice. Im April 2020 waren es schon 27 Prozent. Wer in Teilzeit beschäftigt ist, arbeitet grundsätzlich weniger im Homeoffice. Und insgesamt sind Frauen laut einer Befragung des DGB seltener im Homeoffice als Männer – 14 Prozent der weiblichen Befragten gegenüber 22 Prozent der männlichen.

Schon aus älteren Homeoffice-Studien ist bekannt, dass das Arbeiten von zu Hause erhebliche Auswirkungen hat. Die Arbeitszeit verändert sich, die Sorgearbeit – Haushalt, Kinder, Betreuung von Pflegebedürftigen – verteilt sich anders, und die beruflichen Chancen verändern sich. Die Folgen für Frauen sind deutlich andere als die für Männer. Beide arbeiten länger, die Männer mehr in der Lohnarbeit, die Frauen übernehmen einen noch größeren Anteil der Sorgearbeit. Leben Kinder im Haushalt, bleibt Frauen im Homeoffice nur noch wenig Freizeit. Sie profitieren damit seltener von der neuen Flexibilität. Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zu diesem „Gender Care Gap“ investieren sie im Schnitt drei Stunden pro Woche mehr in die Kinderbetreuung, wenn sie von zu Hause aus arbeiten. Diese Retraditionalisierung der Geschlechterrollen hat sich in der Pandemie vor allem für Mütter noch verschärft. Dennoch ist die Digitalisierung und insbesondere das Arbeiten im Homeoffice für viele Frauen auch eine Chance, ihren Arbeitsalltag flexibler zu gestalten oder als Mütter den Kontakt zur Arbeitswelt nicht zu verlieren. Die Zufriedenheit am Arbeitsplatz kann im Homeoffice also auch zunehmen.

Grafik: Frauen in IT-Berufen

Wenig attraktiv bleibt für viele Frauen weiterhin der Einstieg in Informatikberufe, die am meisten von der Nachfrage nach Digitalisierung profitieren. Bartz/Stockmar, CC BY 4.0

Auch digitale Arbeitsformen wie Crowdworking und plattformbasiertes Arbeiten verbessern die Qualität der Teilhabe von Frauen am Arbeitsleben nicht. Zwar bieten sich vielfältige Möglichkeiten, flexibel zu arbeiten – als Nebentätigkeit, in Vollzeit und mobil. Aber die Arbeitsbedingungen sind hier in der Regel prekär, feste Anstellungen sind selten. Es fehlen Lohnregelungen, feste Arbeitszeiten und Urlaubs- und Lohnfortzahlungsansprüche.

Verdrängung durch Digitalisierung: Büroarbeiten eher ersetzbar als Managementposten

Welche Berufe künftig digital ersetzt werden können, hängt von den Tätigkeitsprofilen ab. Die Forschung sieht hier vor allem routinebasierte Fertigungen und Dienstleistungen im mittleren Qualifikations- und Einkommensbereich, weniger dagegen manuelle, nur bedingt automatisierbare Tätigkeiten im Kreativ- und Managementbereich. Laut dem „Dritten Gleichstellungsbericht“ der Bundesregierung liegt das Substituierbarkeitspotenzial in vielen vorwiegend von Frauen ausgeübten Berufen bei knapp unter 70 Prozent. In Berufen, die von Männern ausgeübt werden, sind es knapp über 70 Prozent. Allerdings verdecken die Zahlen, dass es im Detail anders aussehen kann – Büroarbeiten, immer noch überwiegend von Frauen erledigt, sind digital eher ersetzbar als Managementposten, die bis heute größtenteils Männern übertragen werden.

Grafik: Patentanmeldungen von Frauen

Ohnehin melden Frauen kaum Technikpatente an. Im digitalen Sektor liegt der Prozentsatz sogar noch einmal niedriger. Bartz/Stockmar, CC BY 4.0

Auch bei der Personalauswahl besteht die Gefahr, dass sich algorithmusbasierte Auswahlverfahren an männlichen Berufsbiografien orientieren und dadurch Frauen benachteiligen. Vor allem mit Blick auf den sich voraussichtlich verschärfenden Fachkräftemangel ist der „Digital Gender Gap“ ein Problem. Hier führen auch analoge Ansätze zur Lösung: Eine gerechte Arbeitsteilung im Haushalt gilt als einer der Schlüsselfaktoren, um das Potenzial an weiblichen Fachkräften künftig nutzen zu können. Der „Gender Gap“ im Digitalisierungsprozess kann nur überwunden werden, wenn wir mit traditionellen Lebens- und Arbeitsmodellen brechen. Und: Frauen müssen gezielt qualifiziert werden. Um die Teilhabe an Weiterbildungsmaßnahmen zu messen, wäre die Einführung einer Frauenquote sinnvoll.


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Kurzprofil

Julia Hoffmann
ist Politik- und Medienwissenschaftlerin. Sie arbeitet als freie Journalistin und Redakteurin zu den Themen Arbeitsmarkt, Digitalisierung und Medienwirtschaft.
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Der Atlas der digitalen Arbeit ist ein Gemeinschaftsprojekt des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Hans-Böckler-Stiftung (HBS).